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Aus: Ausgabe vom 03.09.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Wahlen in Sachsen und Thüringen

Erstmals?

Parteien nach den Landtagswahlen
Von Arnold Schölzel
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Stephan Protschka, Landesvorsitzender der bayerischen AfD, spricht beim politischen Aschermittwoch der AfD hinter einer Strauß-Figur (Osterhofen, 22.2.2023)

Diese Landtagswahlen wirken sich auf die Bundesregierung aus: Die FDP ist in Sachsen und Thüringen kaum auffindbar, Bündnis 90/Die Grünen flogen in Erfurt aus dem Landtag. Die SPD kam aber mit einem blauen Auge davon, kann in beiden Ländern Königsmacherin spielen und wird das mit Blick auf die Bundestagswahlen tun. Die Sozialdemokraten lagen kürzlich in Umfragen in Thüringen und Sachsen noch bei weniger als fünf Prozent, überwanden die Hürde aber nun relativ problemlos. Die Folge dürfte sein, dass die sonst fällige Kanzlerdebatte und die über vorgezogene Neuwahlen nicht stattfinden. Das wird nach gegenwärtigem Stand auch nach dem 22. September so bleiben: Die SPD in Brandenburg wird voraussichtlich bei den dortigen Landtagswahlen nicht abstürzen, selbst wenn sie nicht mehr den Ministerpräsidenten stellen sollte. Das Hauptziel, das angesichts der miesen Umfragewerte für den Kanzler in weite Ferne gerückt schien, scheint den Parteistrategen wieder greifbar: Im Bund weiterhin mitregieren. Die Ergebnisse in Thüringen und Sachsen können, wie in Hessen vor einem Jahr, als die CDU überraschend die SPD an Stelle der Grünen ins Regierungsboot holte, Weichenstellungen für die nächste Koalition aus CDU/CSU und SPD auf Bundesebene sein.

Dieses Resultat bedeutet auch: Für die Wähler in beiden Bundesländern waren Krieg und Frieden nicht die entscheidenden Themen – außer beim BSW-Ergebnis. Die AfD als »Friedenspartei« nahmen nicht einmal ihre Wähler ernst: Sie stimmten laut Wahlforschern zu großen Teilen aus rechter Überzeugung für die Bundeswehr- und Kapitaltruppe.

Die Selbstauflösung der Partei Die Linke haben die Wähler fortgesetzt. Wer in Thüringen Bodo Ramelow, der wiederholt Waffenlieferungen an Kiew befürwortet hat, als Spitzenkandidaten aufstellt, benötigt keine konkurrierende Friedenspartei. Die Behauptung des Linke-Kovorsitzenden Martin Schirdewan am Sonntag, das BSW sei »ein Geschenk für die AfD, weil die gesellschaftliche Linke und auch meine Partei vor allem darunter leiden, aber die extreme Rechte durch das BSW und seine Positionen gestärkt wird«, ist unterirdisch. Umgekehrt gilt: Die zweimal rund 30 Prozent für die AfD haben damit zu tun, dass sich die Bundesspitze der Linkspartei mehr und mehr auf NATO-Positionen begab und sich die Thüringer Landesregierung stets vorrangig dem Kampf gegen die DDR widmete.

Historische Bedeutung hat es nicht, dass angeblich erstmals eine vom stets rechten Verfassungsschutz als »gesichert rechtsextrem« eingestufte Partei in einem Bundesland die meisten Stimmen auf sich vereinigte. CDU/CSU und FDP waren bis in die 60er Jahre hinein personelle Fortsetzungen der NSDAP unter anderen Parteinamen und mit antisowjetischen sowie Anti-DDR-Kriegsprogrammen – von Satellitenparteien wie BHE oder DP abgesehen. Die AfD von heute ist ungefähr die CSU des Franz-Josef Strauß, der Unterstützer des Apartheidregimes in Südafrika, der Freunde Pinochets und der Stay-behind-Gruppen der NATO mit ihren Attentaten von München bis Bologna. Der Bedarf des bundesdeutschen Bürgertums an so etwas ist konstant, zumal in Zeiten wirtschaftlichen Niedergangs, zugespitzter Konkurrenz unter Arbeitern und des sozialen Zerfalls. Neu ist, dass Blut und Boden wieder offen abgefeiert werden, aber Ampel und CDU/CSU helfen ja und verwirklichen sorgfältig jeden AfD-Programmpunkt. Die Rechten regieren in diesem Sinn faktisch seit langem mit. An die Staatsmacht will die deutsche Monopolbourgeoisie die Partei für Faschisten aber gegenwärtig nicht lassen. Der Krieg gegen Russland und China hat obersten Vorrang. Das ist größenwahnsinnig und gefährlich genug.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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  • Leserbrief von Reinhard Sandrock aus Dresden (3. September 2024 um 13:44 Uhr)
    Gelegentlich werden in verschiedenen Kommentaren die heutigen Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen mit denen vor 100 Jahren verglichen, als die faschistische NSDAP den Anlauf auf die Parlamente probte. Geflissentlich wird dabei aber gern »vergessen«, dass die Reichswehr im Auftrag einer sozialdemokratischen Reichsregierung 1923 linke Regierungen aus SPD und KPD in Sachsen und Thüringen stürzten. Mit Sicherheit ist die heutige Situation nicht unbedingt vergleichbar, aber vielleicht zum Nachdenken geeignet.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (3. September 2024 um 07:38 Uhr)
    Diesem Artikel ist im Grunde nichts hinzuzufügen. Dass sich das Mainstreammedium ZDF in Persona einer wütenden Frau Schausten zu einem unglaublichen Vergleich herablassen darf, zeigt, wie man auf höchster medialer Ebene Menschen verdummt und manipuliert. Den Wahlsieg der AfD mit Hitlers Überfall auf Polen vor 85 Jahren gleichzusetzen und damit den Tod von fast 100 Mio. Menschen zu relativieren, ist an Demagogie nicht zu überbieten. Dies sollte, wenn es dem ÖRR tatsächlich um Objektivität und Ausgewogenheit geht, für einen sofortigen Rausschmiss einer außer Rand und Band geratenen »Journalistin« reichen.
  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (3. September 2024 um 05:54 Uhr)
    Arnold Schölzel schreibt: »Die AfD als ›Friedenspartei‹ nahmen nicht einmal ihre Wähler ernst: Sie stimmten laut Wahlforschern zu großen Teilen aus rechter Überzeugung für die Bundeswehr- und Kapitaltruppe.« Nun, man kann ja wie ehedem der reaktionäre Reichskanzler Bismarck durchaus sehr rechte Überzeugungen haben und trotzdem den festen Grundsatz, gegen Russland niemals Krieg zu führen. Warum? Ein einfacher Blick auf die Landkarte genügt. Wie Teile der PdL sich äußern, kann man durchaus linke Überzeugungen mit Waffenlieferungen für den Krieg gegen Russland vereinbaren. Damit stellt sie sich auf den Standpunkt der SPD von 1914, die noch vor der Regierungszeit von Ebert und Noske weit nach rechts abgerutscht war. Das BSW wendet sich von Formulierungen wie links und rechts ab, spricht sich gegen Waffenlieferungen und für Verhandlungen aus, lässt aber an der Kriegsschuld von Russland keinen Zweifel. Keine der drei Parteien propagiert den Austritt aus der NATO oder der EU. Damit ist Deutschland dann weiterhin eingebunden in die Politik dieser Organisationen, welche von den USA dominiert werden (auch die EU). Eine NATO ohne permanente Expansion ihres Staatenbundes, Hochrüstung, Drohungen und Kriege gegen andere Staaten hat es niemals gegeben. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Wer nicht an die Ursachen geht, die Mitgliedschaft in der NATO, welche vom aggressivsten Staat der Welt angeführt wird, der mag mit Friedensreden Wähler hierhin oder dorthin schieben. Es wird dennoch alles beim Alten bleiben. Rückwirkend betrachtet, bestand der Grund für die Schaffung der EU unter anderen auch darin, die vielen Mitgliedsstaaten zu veranlassen, große Teile ihrer Kompetenzen einer vom Volk nicht gewählten Führung in Brüssel zu übertragen, welche sich dann ihrerseits mehr und mehr den USA unterordnet, deren Vorherrschaft in Europa absichert. Der Einfluss einer Regierung in Erfurt, Dresden oder Berlin sinkt und sinkt, egal, wer da regiert.

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