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Aus: Ausgabe vom 03.09.2024, Seite 5 / Inland
Berliner Schulbauoffensive

Teures Berliner Geschäftsgeheimnis

Hauptstadtsenat hält Verträge zu sogenannter Schulbauoffensive unter Verschluss
Von Ralf Wurzbacher
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Keine Kunst: Kritiker sehen bei der »Berliner Schulbauoffensive« eine Privatisierung durch die Hintertür

Dass der Bau von Schulen in Berlin deutlich mehr Geld verschlingt als überall sonst in Deutschland, ist schon länger kein Geheimnis mehr. Allen voran »Gemeingut in BürgerInnenhand« (GiB) hat darauf wiederholt hingewiesen. Auch zu den Hintergründen haben die Aktivisten reichlich Aufklärung betrieben. Allerdings sind die Ressourcen des Vereins begrenzt und seine Reichweite ebenso. Fraglos mehr Aufmerksamkeit erregte es, würden die politisch Verantwortlichen die Karten auf den Tisch legen – also der Senat, die Bezirke und die städtische Wohnungsbaugesellschaft Howoge. Aber: Die Beteiligten halten dicht, versperren sich echter Transparenz, um weiter ihr Ding durchzuziehen – koste es, was es wolle.

In der Vorwoche ließ die Finanzverwaltung die Wissbegierigen erneut abblitzen. GiB hatte jüngst Einblick in die Verträge zur 2016 aufgelegten »Berliner Schulbauoffensive« (BSO) beantragt und erhielt nach acht Wochen Bedenkzeit eine Absage. Durch Offenlegung der Inhalte würden Betriebs- oder Geschäftsinterna der Howoge berührt, wodurch dieser »ein nicht nur unwesentlicher wirtschaftlicher Schaden entstehen« könnte, verlautete durch die Behörde von Finanzsenator Stefan Evers (CDU). Die Begründung wirkt fadenscheinig: Der angeführte Ausschlussgrund nach Paragraph 7 des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) gilt nur für Privatfirmen, und die Howoge ist, obwohl in Landesbesitz, als GmbH privatwirtschaftlich verfasst.

Merkwürdig nur: Die BSO ist dem Namen nach eine öffentlich-private Partnerschaft (ÖPP), zumindest wird sie den Menschen als solche verkauft. Kritiker sehen dagegen eine Privatisierung durch die Hintertür. Der frühere Senat hat das stets bestritten, und der jetzige unter Regierungschef Kai Wegner hat die Linie übernommen, obwohl dessen CDU die Howoge-Einbindung vor Jahren selbst in Frage gestellt hatte. »Wenn die Verantwortlichen heute unter Verweis auf den Schutz von Geschäftsgeheimnissen die Verträge zurückhalten – was am Howoge-Schulbau ist dann bitte schön öffentlich?« fragt sich GiB-Sprecher Carl Waßmuth. Die Initiative hat anhand eigener Recherchen errechnet, dass ein Schulplatz unter Howoge-Regie teilweise mit dem Zehnfachen des Bundesdurchschnitts zu Buche schlagen werde, obwohl sich die reinen Baukosten auf vergleichbarem Niveau bewegten. »Das heißt: Irgendwer muss gewaltige Gewinne einstreichen«, bemerkte Waßmuth am Montag gegenüber junge Welt. »Deshalb ist es so wichtig, dass die Vereinbarungen zur Miete endlich öffentlich bekanntwerden.«

Tatsächlich lag der Konstruktion einst das Motiv zugrunde, die Schuldenbremse zu umgehen, da man die BSO mit rund 120 Bauvorhaben sonst angeblich nicht hätte stemmen können. Die geplanten 40 Howoge-Projekte wurden anfangs mit einer Milliarde Euro veranschlagt, die sich die Gesellschaft am freien Kapitalmarkt besorgen sollte. Ende 2023 schraubte der Senat allein den Bedarf der Howoge auf 11,7 Milliarden Euro hoch. Die Berliner müssen den Betrag über einen Zeitraum von bis zu 37 Jahren in Form von Mieten begleichen, die für die Nutzung der Schulen fällig werden. Der Quadratmeterpreis wird sich nach GiB-Schätzungen auf im Mittel 115 Euro belaufen. Zum am Montag begonnenen neuen Schuljahr ging nach acht Jahren Vorlauf das erste Objekt mit Howoge-Label im Bezirk Lichtenberg in Betrieb. Die Bezirke und öffentlichen Bauverwaltungen haben im selben Zeitraum bereits weit über 40.000 Schulplätze geschaffen, davon 25.000 zu Gesamtausgaben von knapp über 900 Millionen Euro.

»Wenn die Howoge in dem Tempo weitermacht, ist sie vielleicht Anfang der 2030er durch. Aber der Steuerzahler ist jetzt schon der Dumme, während sich Baulöwen, Banken und Investoren ins Fäustchen lachen«, befand Waßmuth. Einer der wenigen vernehmbaren Kritiker ist der BSW-Politiker Alexander King, der im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt. Wie er am Montag jW sagte, habe er das ÖPP-Konstrukt während seiner Linke-Parteimitgliedschaft kritisiert, »war aber mit meiner Position in einer radikalen Minderheit, da ja insbesondere die Linke diese Schnapsidee für hervorragend hielt«. Auch King beklagt fehlende Transparenz und eine gewaltige Kostenexplosion. »Auch wenn diese außerhalb des Haushaltes stattfindet und irgendwie unsichtbar zu sein scheint, wird sie uns trotzdem irgendwann teuer zu stehen kommen.«

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