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Aus: Ausgabe vom 03.09.2024, Seite 10 / Feuilleton
Faschismus

Aus der Mitte entspringt ein Hass

Das Ding mit der AfD, dem Osten und dem Westen. Ein Kommentar
Von Felix Bartels
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Im AfD-Protest der Gutgesinnten wird das Ostproblem gleich mit entsorgt

Ewig rollt das Rad des Scheins. Die Wiederholung des Immergleichen ist derart vulgär, dass selbst Zarathustra überrascht wäre. Auf ein Wahldesaster folgt die Erklärung des Desasters, und die wird verlässlich selbst zum Desaster. Warum bloß, fragen die Gelehrten, erhält die AfD im Osten so viel mehr Zustimmung als im Westen? Unstrittig durchaus, dass Migration und der Import ferner Kulturen das Haupt­thema dieser Partei und ihrer Wähler ausmachen. Und die Erklärung für dieses Verhältnis finden Feuilletonisten und Akademiker in – nun ja: dem Import einer fernen Kultur ins schöne Land.

Einer jener nachahmenden Vorturner heiß Niklas Potrafke, er lehrt an der LMU München und schreibt in der Montagausgabe des Handelsblatts, was schon oft geschrieben wurde: Das Gespenst der DDR geht noch immer um in den östlichen Ländern, hier als Umstand, dass »die Bürger im Osten einander viel weniger vertrauen als die Bürger im Westen«. Gesät worden sei das vor allem durch das MfS, dessen Bespitzelung habe die Leute traumatisiert, ein »kritisches Wort konnte zu viel sein«. Vermutlich wurde deswegen zu DDR-Zeiten so wenig gemeckert, vermutlich sind die unzufriedenen Ossis deswegen bis heute so still. Wer kennt sie nicht, die AfD, Partei der leisen Töne.

Das kollektive Unternehmen jener Gelehrten ist rasch auf den Punkt gebracht: Ein Problem unserer Gegenwart, bedingt durch allerheutigste Verhältnisse, wird ausgelagert, verschoben in die Vergangenheit. Gäbe es das schwere Erbe der DDR nicht, hätten wir eigentlich kein Problem mit der AfD. Wir sind die Guten, gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen.

Offensichtlich ist die Zustimmung zur AfD in den östlichen Ländern höher als in den westlichen, und wo eine Evidenz vorliegt, muss sie erklärt werden können. Gewiss wären Adornos »Studien zum autoritären Charakter« zu bemühen, als empirisch begründeter Entwurf einer Typologie gedanklicher und affektiver Quellen des politischen Ressentiments. Aber deren Frage nach Charaktereigenschaften und Haltungen, die Faschismus begünstigen, ist zu allgemein und führt eher weg vom Gefälle, das sich in der Bundes­republik zwischen Ost und West seit Jahrzehnten abzeichnet. Dem beizukommen, muss man zunächst das Gemeinsame vom Trennenden trennen. Erkennbar rekrutiert die AfD sich zu einem festen Anteil aus Leuten, die – ob Ost, ob West – nicht anders denn »genuin faschistisch« verfasst sind. Deren Fremdenhass sich längst zur geschlossenen Ideologie ausgeformt hat. Dieser selbstbewusst-rassische Typus scheint kaum verrückbar, er wird bei jeder Gelegenheit möglichst rechts wählen.

Zum anderen gibt es eine größere Gruppe von Anhängern, deren Vorbehalte gegen Migranten und fremde Kulturen eher impulsiv situiert sind und Projektion sozialen Missbehagens. Die affektive Ebene, auf der sich das abspielt, liegt auch dem selbstbewussten Rassismus zugrunde, wird dort aber in einem ausgeformten System gewissermaßen versteckt. Und die Affekte, um die es da jeweils geht, sind – ähnlich der Typologie bei Adorno – nicht immer dieselben, sie scheinen zum Teil sogar gegenläufig.

Wenn man eine spezifische Neigung zur AfD im Osten von einer im Westen unterscheiden will, spielt die aktuelle Lebenssituation der Leute die Hauptrolle. Im wohlhabenden Westen geht es primär um die Angst, den eigenen Lebensstandard und die beschaulichen Gepflogenheiten zu verlieren. Der Osten dagegen steht als depravierter Landstrich da – deindustrialisiert, arm, strukturschwach, kulturell abgehängt. Das Zusammentreffen dieser Eigenheiten führt zum einen dazu, dass der Hass im Osten intensiver wird – denn das Gefühl, etwas verlieren zu können, ist weniger bitter als das Gefühl, es längst verloren zu haben –, und zum anderen erklärt es, warum die AfD im Osten selbst von Menschen, denen es individuell gut geht, Unterstützung erfährt. Die Menschen im Osten fühlen sich nicht nur als Individuen zurückgesetzt, sondern auch als kollektives Subjekt, und was man seit zehn Jahren – seit Pegida und dem Aufstieg der AfD – im Osten beobachten kann, lässt sich kaum anders denn als Blowback von 35 Jahren Ungleichmachung verstehen.

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