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Radio im Hühnerstall

Von Pierre Deason-Tomory
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Die angenehm sedierende Wirkung der Finsternis: Horst Tappert (l.) als Oberinspektor Stephan Derrick

Das Hörspiel lebt. In Halle (Saale) sogar on demand. Seit 20 Jahren läuft beim Freien Radio Corax einmal im Monat das »Hörspiel auf Verlangen«. Die Darsteller, Improtheaterfreaks aus der Stadt, entwickeln in der Show auf Zuruf live ein Theaterstück mit Drama, Bums und Musik, und Corax strahlt es aus. Fester Sendeplatz ist jeweils der zweite Sonntag im Monat um 19 Uhr. In den ersten Jahren fand die Inszenierung immer in den Corax-Studios statt, inzwischen ist »HaV« auf einer »Couchtournee« und spielt an besonderen Orten oder bei Leuten zu Hause, in deren Küche, im Garten oder im Hühnerstall. Zu sich einladen kann man die Truppe über eine E-Mail-Adresse, die auf der Homepage hoeren.kulturagitator.de zu finden ist. Am Wochenende wird gefeiert: Die Jubiläumsausgabe »Wir werden 20!« kommt am Sonntag, schon um 18 Uhr, vom Vulkanspielplatz an der Boulderhalle Kletter-Thalia. Was sich das Ensemble zum Geburtstag wünscht? Nachwuchs. Vor allem: »Mehr Frauen!«

Vorschläge für die Radiowoche: In der Reihe »Das Wissen« wird am Mittwoch und Donnerstag über die Droge »Kokain« aufgeklärt, die jedem anempfohlen sei, der ein Vollarschloch werden will (je 8.30 Uhr, SWR Kultur). Die »Querköpfe« präsentieren Auftritte legendärer Kabarettistinnen zwischen den Kriegen, als »Diven, Dragkings und Diseusen« tönen höhnend Trude Hesterberg, Erika Mann und Claire ­Waldoff (Mi., 21.05 Uhr, DLF). Wo wir es gerade vom Dreckrüsseln hatten: »Der Einsatz von Drogen in therapeutischen Behandlungen«, genauer der von MDMA und dem Pilzgift Psilocybin, wird im »Zeitfragen-Feature« durchgenommen (Do., 19.30 Uhr, DLF Kultur). Tatsächlich kann man mit Zauberpilzen Hektiker therapieren. Ich saß einmal auf »Psilos« einen ganzen Abend lang schweigend in der Kneipe, ohne mich zu bewegen. Wenn ich nur einen Finger gerührt hätte, wäre ich vom Stuhl gefallen. Eine ähnlich sedierende Wirkung hatte die unerklärlicherweise hochpopuläre Krimiserie »Derrick«, in der ein Waffen-SS-Veteran jahrzehntelang den anständigen deutschen Polizisten mimte und die wiedergesehen laut Rafael Jové »Die heile Welt des Verbrechens« in einer düsteren BRD veranschaulicht (RBB 2018, Fr., 20.05 Uhr, DLF).

In Bayerns finstere Ecken leuchtete in den Sechziger- und Siebzigerjahren der Dramatiker Martin Sperr. Das »Bayerische Feuilleton« erinnert an den Volksdichter in »Überall rausgeschmissen …« (Sa., 8.05 Uhr, So., 12.05 Uhr, Bayern 2). Berühmt wurde Sperr mit dem Stück »Jagdszenen aus Niederbayern«, dessen Hörspielfassung mit dem Autor sowie Rainer Werner Fassbinder und Walter Sedlmayr Bayern 2 am Sonntag bringt (BR 1970, 15.05 Uhr). Wir blättern noch einige Jahre zurück und hören uns an, was »Der Herr Karl« zu sagen beziehungsweise was ihm Helmut Qualtinger in den Mund gelegt hat (1961, Preiser Records, Sa., 14 Uhr., Ö 1). »So ein abgelichtetes Leben will verkraftet sein«, meinte Helmut Kohls Gattin Hannelore einmal, ihres endete eingesperrt in einem abgedunkelten Bungalow. Der Schriftsteller Patrick Findeis hat versucht, in einem Monolog im Hause der Frau vom Kohl den »Abgrund von Entbehrungen und Lieblosigkeiten« aufzuzeigen, in den sie gestürzt wurde (SWR 2014, So., 17.04 Uhr, SR 2). Nach so viel zartbitterer Radiokost hier noch zwei schwarzhumorige Erstsendungen: »Der Krieg ist vorbei« von Jakob Nolte, Hörspiel mit Bomben und Kartoffeln (DLF Kultur 2024, So., 18.30 Uhr), und »Die Rassistin«, Teil eins von sechs der Vertonung des neuen Romans von Jana Scheerer (MDR 2024, Mo., 9.04 und 19.04 Uhr, MDR Kultur).

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