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Aus: Ausgabe vom 04.09.2024, Seite 1 / Titel
Krise bei Volkswagen

Der Golf frisst seine Kinder

Volkswagen-Konzern kündigt Beschäftigungssicherung auf und erwägt Werkschließungen. Beschäftigte wollen Kopf nicht für Missmanagement hinhalten
Von David Maiwald
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Der Verkaufsschlager Golf II im gerade geschluckten ehemaligen Werk des VEB Sachsenring in Zwickau-Mosel (1991)

Nun brennt es auch bei Volkswagen. Erstmals erwägt der Automobilkonzern auch hierzulande Werkschließungen, um die Lücke von bis zu drei Milliarden Euro in der Geschäftsbilanz bis Jahresende zu stopfen. Noch im Juni hatte der Konzern seinen Aktionären 4,5 Milliarden Euro Gewinn für 2023 ausgezahlt. Die Nachricht kam am Montag, nur wenige Tage, nachdem der Rücktritt des Aufsichtsrats bei der Thyssen-Krupp-Stahltochter in Duisburg für Aufsehen gesorgt hatte. VW-Gesamtbetriebsratschefin Daniela Cavallo hatte am Montag schon »erbitterten Widerstand« angekündigt und einen »strategischen Befreiungsschlag« gefordert, »anstatt sich einseitig zu Lasten der Belegschaft kaputtzusparen«.

Das Land Niedersachsen hält 20 Prozent an VW und galt lange als Sicherheitsgarant für Beschäftigung und Standorte. Durch Ankündigung der Konzernspitze, die Beschäftigungssicherung nach 30 Jahren aufzukündigen, ist das hinfällig. Die Umbrüche könnten für die niedersächsische Landtagswahl im Jahr 2027 entscheidend werden, sollten die Erwerbsstellen in den Standorten Wolfsburg, Hannover, Emden und Osnabrück schon vor 2029 auf der Kippe stehen. Es verstehe sich, »dass Unsicherheit im Raum und der Druck hoch ist«, erklärte die Gewerkschaft IG Metall am Dienstag auf jW-Anfrage. Die Beschäftigungssicherung im Gesamtkonzern müsse bleiben und weiter entwickelt werden, Standortschließungen seien »kein Instrument im Werkzeugkasten des Managements«.

Sie drohen dennoch. Berichten zufolge ist die Produktion etwa in Osnabrück bereits im Umbruch begriffen. Die Produktion der Porsche-Modelle »Boxter« und »Cayman« würden zum Herbst auslaufen, hieß es im Januar. Im Werk sind aktuell rund 2.400 Menschen beschäftigt. Dem Zwickauer VW-Werk drohe ein »Aufschub« bei der Produktion des »Trinity«-Elektroautos, teilte der Gesamtbetriebsrat am Montag mit. Im belgischen Brüssel steht das Werk von Konzerntochter Audi längst auf der Kippe. Ein Sprecher erklärte am Dienstag, die Suche nach einem Ersatz für den schwach nachgefragten Q8 E-Tron gehe weiter.

Die Krise bei VW sei beispielhaft für die Entwicklung der BRD, kommentierte der britische Guardian am Dienstag. Für Großbritannien »oder irgendein anderes Land« sei die BRD-Wirtschaft nun »kein geeignetes Vorbild« mehr. Die Bundesrepublik habe Investitionen in »physische, menschliche und digitale Infrastruktur« vernachlässigt, falle bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz zurück und sei »seinem Ruf für langfristige Planung« in Bezug auf Elektromobilität nicht gerecht geworden. Die Autokonzerne als Flaggschiffe der Industrie hätten sich »erschreckend kurzsichtig« gezeigt, »während sie der existentiellen Bedrohung durch billige chinesische Modelle begegneten«, so der Guardian.

»Die Hybridentwicklung wurde vernachlässigt und als Nische betrachtet, das Elektrosegment wurde stiefmütterlich behandelt«, fasste die IG Metall ihre Kritik am Kurs des Vorstands am Dienstag gegenüber jW ähnlich zusammen. Volkswagen müsse noch im September rund einen Monat früher als ursprünglich geplant in Verhandlungen treten, um »schnelle Klarheit für die vielen tausend Kolleginnen und Kollegen« zu schaffen, so die IG Metall. Die Gewerkschaft steht mit der Auseinandersetzung bei Thyssen-Krupp und den Verhandlungen im Volkswagenkonzern vor schwierigen Aufgaben. Hinzu kommt: In wenigen Wochen beginnt die bundesweite Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (4. September 2024 um 13:00 Uhr)
    Laut Anklage gegen Winterkorn hat der Dieselskandal den Konzern bis jetzt 33 Milliarden Euro gekostet. Laut Frankfurter Rundschau vom 24.07.2024 bekam VW-Boss Oliver Blume (ich spare mir verdiente) – 10,32 Millionen Euro im Jahr 2023 Gehalt, das sind sage und schreibe knapp 28280 Euro am Tag. Und das ist nur einer, der den Kolleginnen und Kollegen so exorbitant auf der Tasche liegt. Und nun sollen die Kolleginnen und Kollegen bei VW die Rechnung bezahlen – angedrohte Werksschließungen, Aufkündigung des Kündigungsschutzes usw. usf. Der Kapitalismus wirkt sich hier am schmutzigsten aus. Was soll man dagegen tun? Schlüsselindustrien, aber nicht nur, gehören nicht dermaßen dem Markt ausgesetzt, schon gar nicht, wenn wie bei VW das Land Niedersachsen allein mit 20% der Anteile mit in der Verantwortung ist. Hier hat der Staat vor allem eine Fürsorgepflicht gegenüber den Arbeitern. Denn der Staat kommt dafür auf, wenn es zu Entlassungen kommt, wenn es vielleicht Auffanggesellschaften oder Umschulungsprojekte gibt, die dann finanziert werden müssen. Und was man vor allem dagegen tun muss – man muss diese riesigen Gehälter und die anderen Vorzüge der oberen Manager deckeln. Es ist Zeit für einen vernünftige und gerechte Wirtschaftspolitik. Habeck und die anderen Ampelmänner und -frauen sind dazu unfähig, genau wie Blackrock-Merz und seine sogenannte Christlich- Demokratische Union.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (5. September 2024 um 12:20 Uhr)
      »Schlüsselindustrien, aber nicht nur, gehören nicht dermaßen dem Markt ausgesetzt«. In China weiß man das. Und wenn es hart auf hart kommt (wie derzeit z. B. in der Bundesrepublik), verlegen sich auch die USA – das große Vorbild der hiesigen Wirtschaftsliberalen – auf einen gnadenlosen Protektionismus, um die strategisch wichtigen Bereiche ihrer (eigenen) Wirtschaft zu schützen. Andererseits liegt es m. E. auch in der Verantwortung der Regierenden, strategisch bedeutsamen Fehlentwicklungen in der Wirtschaft des Landes beizeiten entgegenzuwirken.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (4. September 2024 um 10:03 Uhr)
    Drei aktuelle Beispiele für die »Wirtschaftspolitik« eines Robert Habeck: Vermutliches Aus für die geplante Intel-Fabrik in Magdeburg, staatlicher Eingriff bei der Meyer Werft, um die Insolvenz zu verhindern und nun, Krise beim VW-Konzern, mit der Aufkündigung der Beschäftigungsgarantie bis 2029. Herr Habeck, treten Sie zurück, bevor Sie die Wirtschaft dieses Landes endgültig ruinieren.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (4. September 2024 um 06:37 Uhr)
    Wer es bisher nicht wahrhaben wollte: Die Krise hat Deutschland erreicht. Das Flaggschiff der deutschen Wirtschaft, die Autoindustrie, hat hohes Fieber. Es greift zu kurz, schaut man bei Volkswagen nur auf Managementfehler. Die Entscheidungen, dem Autobau eine so überragende Rolle in der Industriestruktur beizumessen, hat etwas mit den Profitraten zu tun, die sich dort jahrzehntelang problemlos erzielen ließen. Der Niedergang war absehbar, seit erkennbar ist, dass das Auto in seiner herkömmlichen Bauart seinen bisher unangefochtenen Platz im Transportwesen wird hergeben müssen. Und der früher inbrünstig verlachte Konkurrent aus China eher begann, über neue Formen der Mobilität nachzudenken. Viele von den Ideen, die dort heute inzwischen Alltag sind, hat Volkswagen über lange Zeit vom Markt gekauft und des aktuellen Profits wegen ungenutzt in den Tresoren verschimmeln lassen. Eben nicht aus Dummheit. Sondern weil der Kapitalismus nun eben mal so funktioniert, wie er funktioniert.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in josef w. aus Delbrück (3. September 2024 um 20:45 Uhr)
    Sollte die Überschrift nicht eigentlich lauten: »Der Golf frisst seine Käfer!«?

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