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Aus: Ausgabe vom 04.09.2024, Seite 2 / Ausland
EU-Migrationspolitik

»Er musste diese gefährliche Reise machen«

Griechenland: Iraner zu 18 Jahren Haft wegen »Schleuserei« verurteilt. Ein Gespräch mit Mahtab Sabetara und Anne Noack
Interview: Annuschka Eckhardt
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Grenzübergang in der Nähe von Thessaloniki

Homayoun Sabetara ist ein iranischer Asylsuchender, der im August 2021 in Thessaloniki unter dem Vorwurf der »Schleusung« festgenommen wurde. Was war passiert?

Mahtab Sabetara: Die Geschichte hat 2021 angefangen, als mein Vater den Iran verlassen wollte. Er ist zuerst in die Türkei gegangen und hat dort eine Gruppe von Menschen gefunden, die ihm angeboten haben, dass sie ihn gegen eine Bezahlung nach Griechenland bringen. Er und andere Asylsuchende sind dann im Wald in der Evros-Region angekommen, keiner hatte Wasser oder Nahrung dabei. Nach drei Tagen hat der Schmuggler gesagt, dass nun jemand das Auto nach Thessaloniki bringen müsse und auf meinen Vater gezeigt. Vermutlich, weil er der Älteste war und einen Führerschein hat. Die Schlepper und er hatten abgemacht, dass er die Hälfte der Summe nach Ankunft in Griechenland bezahlt, damit setzte er meinen Vater unter Druck. Er stieg also mit sieben anderen Geflüchteten ins Auto und fuhr sie alle nach Griechenland. In Thessaloniki sind sie von der Polizei angehalten worden. Er wurde direkt verhaftet und sitzt seitdem im Gefängnis.

Am 26. September 2022 wurde er vom erstinstanzlichen Gericht für schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren verurteilt. Wie sind die Haftbedingungen?

M. S.: Die Gefängnisse sind total überfüllt, es gibt viel zu wenig Platz für die Gefangenen. Die Anstalten sind schlecht ausgestattet, und es gibt häufig Probleme mit dem Trinkwasser. Alles im Gefängnis ist sehr teuer, und viele Gefangene können sich selbst die grundlegendsten Sachen nicht leisten. Eine Zahnbürste zum Beispiel kostet allein sechs Euro. Homayoun ist jetzt schon seit drei Jahren im Gefängnis. Er ist 60 Jahre alt und hat mehrere schwere Krankheiten, die dort nicht ausreichend behandelt werden. Auch die Isolation und die psychische Belastung machen ihm zu schaffen. Das wird nun noch einmal verstärkt durch die Verschiebung des Berufungsprozesses.

Prozessbeobachter berichteten über mehrere Verstöße gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens während des Prozesses. Welche Rechte wurden missachtet?

M. S.: Im April haben mehrere Organisationen das Berufungsverfahren von Homayoun beobachtet. Sie haben verschiedene Verstöße gegen internationales Recht bestätigt. Zum Beispiel beruht die ganze Verurteilung auf der Aussage von einem einzigen Zeugen, die nur vorgelesen wurde. Dieser Zeuge wurde nie vor Gericht geladen, und die Anwälte konnten ihn nicht befragen. Im April 2024 sollte sein Berufungsprozess stattfinden. Dieser wurde jedoch um fünf Monate verschoben, da der einzige Belastungszeuge nicht vor Gericht geladen wurde. Ob er bis heute gefunden wurde, wissen wir nicht. Dass sich das Gericht dafür fünf Monate Zeit nimmt, ist wieder ein Verstoß, denn mein Vater hat das Recht auf eine schnelle Entscheidung.

Anne Noack: Ein anderes Problem sind die fehlenden oder sehr schlechten Übersetzungen. Im April konnte Homayoun vor dem Prozess nicht mit seinen Anwälten in Anwesenheit eines Dolmetschers sprechen. So konnten sie sich nicht gut auf den Prozess vorbereiten.

Was erwarten Sie vom Berufungsprozess?

A. N.: Ich erwarte von den Richtern, dass sie sich zumindest an die eigenen Gesetze halten und einsehen, dass es einfach keine gültigen Beweise für Homayouns Verurteilung gibt. Ich wünsche mir, dass wir dieses Mal gemeinsam mit Homayoun den Gerichtssaal verlassen können.

M. S.: Ich mache mir sehr große Sorgen, dass der Prozess noch einmal verschoben wird. Oder dass sie ganz willkürlich entscheiden und bei der hohen Strafe von 18 Jahren Gefängnis bleiben. Wir haben leider die Erfahrung mit der griechischen Justiz, dass sie ihre Entscheidungen sehr willkürlich treffen.

Wie würden Sie den Prozess politisch einordnen?

M. S.: Für Menschen wie Homa­youn gibt es keine sicheren Einreisemöglichkeiten in die EU, um einen Asylantrag zu stellen. Er musste diese gefährliche Reise machen und sitzt jetzt dafür im Gefängnis, genauso wie über 2.000 weitere Menschen – allein in Griechenland. Dabei wissen wir, dass Menschen immer migrieren werden, trotz Mauern, Zäunen oder hohen Strafen.

Mahtab Sabetara ist die Tochter von Homayoun Sabetara. Zusammen mit Anne Noack setzt sie sich mit der Kampagne »FreeHomayoun« für dessen Freilassung ein.

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