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Aus: Ausgabe vom 04.09.2024, Seite 4 / Inland
Nach den Landtagswahlen

Alles Mathematik

Thüringen und Sachsen vor komplizierter Regierungsbildung. Ramelow bietet »Mehrheit« an
Von Philip Tassev
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In einer Schlüsselposition: Die BSW-Bundesparteiführung mit ihren Kandidaten aus Sachsen und Thüringen (Berlin, 2.9.2024)

Es ist doch ein Kreuz mit dieser Demokratie. Monatelang haben die Ampel- und Unionsparteien samt angeschlossenen Medienhäusern und NGOs die Wähler davon zu überzeugen versucht, dass AfD und BSW des Teufels sind. Gebracht hat es alles nichts: In Thüringen holte die AfD fast 33 Prozent der abgegebenen Stimmen und stellt damit die größte Fraktion im Erfurter Landtag, das BSW mit 15,8 Prozent immerhin die drittgrößte von insgesamt fünf Fraktionen. Da (noch) keine andere Partei mit der Höcke-AfD zusammenarbeiten will und die CDU bislang an ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss bezüglich der Linkspartei festhält, dürften die nun anstehenden Verhandlungen kompliziert werden: Von den möglichen Koalitionen hat kein Modell eine Mehrheit der 88 Sitze. Eine Regierung aus CDU, BSW und SPD käme der mit 44 Sitzen noch am nächsten. Ihr würde für eine knappe Mehrheit nur eine Stimme fehlen.

Darauf vom Spiegel (Dienstag) angesprochen, erklärte der bisherige Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow (Die Linke): »Die Lage ist ganz einfach. Ich habe schon im Wahlkampf gesagt, dass ich in Thüringen keine Minderheitsregierung empfehlen kann und es eine demokratische Mehrheit im Parlament braucht. Eine Stimme sitzt vor Ihnen.« Diese Aussage wollte er aber auf keinen Fall als Austrittsankündigung oder Bruch mit seiner Fraktion verstanden wissen: »Ich bleibe in der Linksfraktion und bei meinem Angebot, einer Regierung zur Mehrheit zu verhelfen.« Thüringens ehemalige CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht sprach sich bereits dafür aus, über die Annahme eines solchen Angebots nachzudenken: »Schon allein für eine Duldung führt an der Linken kein Weg vorbei. Das ist Mathematik – nichts anderes«, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Nach der Thüringer Landesverfassung muss der Landtag spätestens am 1. Oktober zur Konstituierung zusammenkommen. Diese Sitzung droht eine längere zu werden: Die AfD hat als stärkste Fraktion das Recht, den Landtagspräsidenten vorzuschlagen. Erst wenn der AfD-Kandidat in zwei Wahlgängen abgelehnt wurde, können die anderen Parteien Bewerber aufstellen. Am Ende entscheidet die Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen. Bei der Regierungsbildung immerhin können sich die Thüringer Parteien Zeit lassen. Die Landesverfassung gibt für die Wahl des Ministerpräsidenten keine Frist vor. Ramelow könnte also noch eine Weile im Amt bleiben.

Etwas anders sieht die Sache in Sachsen aus. Hier hat der Landtag in Dresden nach der Konstituierung – die ebenfalls spätestens am 1. Oktober stattfinden muss – vier Monate Zeit, einen Ministerpräsidenten zu wählen. Gelingt das nicht, wird das Parlament wieder aufgelöst, und es muss erneut gewählt werden.

Auch an der Elbe wird die Regierungsbildung wohl davon abhängen, ob das BSW mitspielt oder in die Opposition geht. Das Wagenknecht-Bündnis hatte bei den Wahlen 11,8 Prozent geholt und ist damit nach CDU (31,9 Prozent) und AfD (30,6 Prozent) drittstärkste Kraft. Da auch die sächsische Union nicht mit der Rechtsaußenpartei koalieren will, bleibt eigentlich nur eine Zusammenarbeit mit BSW und SPD. In den Medien kursiert bereits ein mögliches Etikett für eine solche »schwarz-lila-rote« Regierung: die »Brombeer-Koalition«.

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  • Leserbrief von Riggi Schwarz aus Büchenbach (4. September 2024 um 10:11 Uhr)
    Ausgerechnet Bodo Ramelow, einer der größten Wahlverlierer in Thüringen, der will sich jetzt als Königsmacher oder als ein linkes Zünglein an der Waage aufspielen!

    Dieser Herr Ramelow sollte lieber in sich gehen, um über die Gründe zu reflektieren, warum er bei den Landtagswahlen in Thüringen so mächtig gescheitert und dafür so hart abgestraft worden ist?

    Dieser Herr Ramelow kam damals nur durch einen gewissen (faulen) Trick in das Amt des Ministerpräsidenten von Thüringen; ganz demokratisch war dieses Verfahren nicht gerade!

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