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Aus: Ausgabe vom 04.09.2024, Seite 7 / Ausland
Nahostkonflikt

Greuel im Westjordanland

Schwere Vorwürfe gegen Israel: Getötete Kinder, Verwüstung ziviler Infrastruktur, Mädchen als menschliches Schutzschild
Von Jakob Reimann
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Systematische Zerstörung der Infrastruktur: Während des Angriffs auf Dschenin reißen Bagger die Straßen auf (2.9.2024)

»Die israelischen Streitkräfte verwehrten den Rettungskräften über eine halbe Stunde lang den Zugang zum Unfallort und ließen das Mädchen dort verbluten«, berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur WAFA unter Berufung auf Vertreter des Palästinensischen Roten Halbmonds am Dienstag. Gemeint ist die 16jährige Palästinenserin Ludschain Osama Musla, die bei einer Razzia von israelischen Soldaten mit scharfer Munition erschossen wurde. Der Angriff hatte sich am Montag in der Stadt Kafr Dan nahe Dschenin im Norden des Westjordanlands zugetragen. Damit stieg die Zahl der vom israelischen Militär getöteten Palästinenser seit Beginn der erneuten Offensive in dem besetzten Gebiet am vergangenen Mittwoch auf 32, hieß es bei WAFA weiter, davon 19 Tote in Dschenin, sechs in Tulkarem, vier in Tubas und drei in Hebron. Insgesamt sei die Zahl der Getöteten seit dem 7. Oktober 2023 im Westjordanland demnach auf 683 gestiegen.

Am Dienstag morgen war auch ein 14jähriger Junge in Tulkarem von israelischen Scharfschützen in den Hals geschossen und getötet worden, als er zusammen mit seinem Vater in die Moschee zum Gebet gehen wollte, berichtete vor Ort die Al-Dschasira-Reporterin Nida Ibrahim. Der Vater sei durch Schüsse in den Bauch schwer verletzt worden. Bei den Angriffen der vergangenen Tage kam es außerdem zu weiträumiger mutwilliger Zerstörung ziviler Infrastruktur durch die israelischen Streitkräfte, darunter Geschäfte, Wohnhäuser oder Anlagen der Wasser- und Stromversorgung. Ein von AP veröffentlichtes Video zeigt israelische Bulldozer, die in Dschenin ganze Straßenzüge aufreißen. Bei den Razzien im Westjordanland sind nach Angaben des Palestinian Prisoner’s Club seit Montag abend auch Dutzende Palästinenser verhaftet worden.

Unterdessen veröffentlichte der britische Guardian Berichte von Zeugen aus Tulkarem, die im Zuge der Offensive schwere Vorwürfe gegen die israelische Armee erheben. Nach Angaben der israelischen Streitkräfte wurden bei einem Feuergefecht der Anführer der Nur-Schams-Brigade, Mohammed Dschaber, besser bekannt als Abu Shudschaa, und vier seiner Kämpfer getötet. Im Zentrum des Camps wiesen danach nahezu alle Häuser Schäden auf. Die Straßen waren in »mit Schutt übersäte Wege verwandelt worden«, indem Bulldozer der Armee sie mit massiven Pflügen aufrissen und so unpassierbar machten. Alle männlichen Personen seiner Familie, darunter mehrere Kinder, berichtet ein Bäcker, seien mittwochs in den frühen Morgenstunden zusammengetrieben und mit gefesselten Händen in ein Lagerhaus getrieben worden. Dort seien sie verhört und dabei mit Tritten und Schlägen misshandelt worden. »Es gab keine Gnade, auch nicht gegenüber Kindern«, erklärt der Bäcker dem Guardian. »Warum sollte man einen 13- oder 14jährigen Jungen aus seinem Haus holen, die Scheiße aus ihm rausprügeln und sein Telefon zerstören?«

Die britische Zeitung berichtet weiter über den Vorwurf, israelische Soldaten hätten ein palästinensisches Mädchen als menschliches Schutzschild missbraucht, was allgemein als Kriegsverbrechen verurteilt wird. Als die Soldaten Mittwoch nacht das Haus der Schihab-Familie im Lager Nur Schams stürmten, trieben sie demnach zunächst alle Anwesenden aus dem Haus, bis auf die zehnjährige Malak, die sie von ihrer Tante und den anderen vier Kindern trennten. Einem Hund nahmen sie im Haus den Maulkorb ab, der daraufhin direkt auf das Mädchen zulief. Zutiefst verängstigt, flehte sie, zu ihrer Mutter gehen zu dürfen, doch die Soldaten erließen in gebrochenem Arabisch eine einzige Order: »Öffne die Türen!« Die Soldaten schoben das Mädchen nach dessen Schilderung von einer Tür im Haus zur nächsten und versteckten sich dabei hinter ihr, bereit, »auf jeden zu schießen, der sich im Haus aufhalten könnte«, heißt es im Guardian. Eine Tür ließ sich nicht öffnen, erinnert sich Malak, so dass sie in ihrer Verzweiflung, unbedingt gehorchen zu müssen, mit dem Kopf dagegenhämmerte. Auf die Frage, wie sie sich drei Tage später fühlte, sagte sie: »Verängstigt, aber auch wütend. Ich weiß nicht, warum ich wütend bin, aber ich bin es einfach.«

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