75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 14. / 15. September 2024, Nr. 215
Die junge Welt wird von 2939 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 04.09.2024, Seite 8 / Ansichten

Jubilarin des Tages: Die Currywurst

Von Maximilian Schäffer
8_portrait.jpg
Spezialität: Tomatenmark, Worcestershiresoße und Currypulver über hergeschnittener Brühwürst

Am 4. September 1949 soll in Berlin-Charlottenburg die Currywurst erfunden worden sein. Imbissbudenbesitzerin Herta Heuwer mischte aus Langeweile Tomatenmark, Worcestershiresoße und Currypulver. Das Gebräu schüttete sie über eine hergeschnittene Brühwürst. Auch Hamburger und Ruhrpottler vereinnahmen die Currywurst für sich, aber nur in der Hauptstadt ist sie bis heute eine hautlose, labbrige Angelegenheit, die einem Axolotl in der Speiseröhre ähnelt. In Bayern bekommt man eine Bockwurst serviert, die in Pflanzenöl angebraten und der Quere nach eingeschnitten wurde. Darüber ordentlich Curryketchup.

Längst ist das schnelle Vergnügen vom Straßenrand zur »Spezialität« verkommen. »Spezialitäten« sind Nahrungsmittel, die man in den Adelsstand der Delikatesse berief. Zur Verarschung von Touristen und Youtubern verlangt beispielsweise das Hotel Adlon am Brandenburger Tor 26 Euro für seine Currywurst. Dafür dann irgendwie mit Zitronengras und Blattgold und Brioche. Dasselbe Schicksal ereilte bereits den Döner. Tatsächlich ist so ein Grillfleisch im Brot mit Gemüse trotz der unsäglichen Cocktailsoßen drumrum immer noch ernährungsphysiologisch wertvoller als Schweinebrät mit Ketchup.

Frau Heuwer jedenfalls, die selbstgekürte Erfinderin qua Patent, verstarb 1999. Seit 2003 ziert eine Gedenktafel den Ort ihres Imbissstandes. Zur Enthüllung verkündete damals die Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen (SPD), dass es bis dahin keine Tafel gab, »die an einen Menschen erinnert, der sich um das Wichtigste verdient gemacht hat, was es für uns gibt: das Essen«. Korrekt. Neben Künstlern, Wissenschaftlern und Opfern des Faschismus erinnern die Tafeln oft an Leute, die anderen die Grundlagen fürs gesunde Essen materiell entzogen haben: Adlige, Bischöfe und Generale haben stets dafür gesorgt, dass Drecksfressen wie die Currywurst in erschöpften Mägen landet. Darauf einen Toast (Hawaii)!

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Frank Lukaszewski (6. September 2024 um 10:21 Uhr)
    Endlich darf man wieder einen äußerst wichtigen Artikel in der jW lesen. Über die Currywurst. Currywurst entscheidet Lebenswege! Das hat nix mit Grönemeyer zu tun und witzig ist es auch nicht. Bei uns sagt man: Is(s) so!
    Ergänzend sei erwähnt:

    a) Es gibt eine Reihe nachvollziehbarer Argumente als auch, seitens zweier Essener Autoren recherchierter Belege, welche besagen, dass jene Currywurst 1936 (trotz Nazis erlaubt; vielleicht, da entsprechende Sauce bräunlich war?) in Duisburg von Peter Hildebrand erfunden wurde. Die eher exotischen Gewürze für den historischen Dip erhielt jener zu verehrende Erfinder offensichtlich von einer hanseatischen Gewürzhandlung. Damit sind Frau Heuwer und somit auch Berlin (West) bestenfalls als "Vizemeister" zu bezeichnen. Immerhin etwas für Berlin.

    b) Der Schuppen "Ahoi by Steffen Henssler", bekannter Nullsternekochnamensgeber, übrigens eine Franchise-Geschichte, verlangt (zumindest in Scharbeutz) 15,50€ für einen schlecht gesaucten Bratling, der mit dem authentischen Produkt eher wenig zu tun hat. Ausser Fleischbestandteile. Dann doch lieber die vom Autor erwähnte, vergoldete Wurst des Adlon-Hotels für 26 Mücken wählen? Vielleicht kann man das überbewertete, gelbe Zeug ja abkratzen und sammeln. Schlechte Zeiten kommen wieder und Gold klebte schon immer in den Zähnen Hungernder.

    c) Currywurst verallgemeinernd als "Drecksfressen" zu bezeichnen, zeugt irgendwie von einem gewissen kulinarischen Hipster-Lifestyle des Autors. Berlin halt. Gegebenenfalls wäre ein Testessen in Peter-Pomms-Puszettenstube, Duisburg-Marxloh, hilfreich. Traut er sich? Zu gewagt, gelle?! Es könnte ja schmecken...
  • Leserbrief von Reinhard aus Berlin (4. September 2024 um 10:25 Uhr)
    »Herjeschnitten wollen Se se? Soll ick se Ihnen nich lieber hinschneiden? Vielleicht nehm Se dit mit die Schneiderichtung ja janz jenau in Bayern«, würde Frau Heuwer den Autor fragen.

Mehr aus: Ansichten