Ein sehr deutsches Ticket (1)
Von Bernhard SpringZwischen Dresden und Leipzig gibt es nicht viel zu sehen. Der Zug hält an einem Porzellanwerk und einer Nudelfabrik, ansonsten gähnt die Leere hinter Bahnsteigen, die wohl nur deshalb angesteuert werden, weil irgendein Landrat ganz sicher abgewählt würde, wenn jetzt auch noch der Bahnhof stirbt.
Hier also kontrolliert die Zugführerin die Passagiere und scannt ein »Deutschland-Ticket« nach dem anderen. Das muss sehr langweilig sein, denn die Frau ist ziemlich mies drauf. »Personalausweis!« knurrt sie den jungen Mann an. Der kramt in seinem Rucksack, wird immer nervöser, entschuldigt sich. Sie schüttelt den Kopf. »Ohne Ausweis ist das Ticket nicht gültig.« Da hilft kein Protest. Beim nächsten Zwischenhalt im Nirgendwo muss der Ausweislose den Zug verlassen.
Man könnte vermuten, dass es sich um eine Art Wiederbesiedlungsprogramm der Bahn handelt. Wie soll der arme Kerl je wieder in die Zivilisation gelangen, wenn nicht mit dem Zug? Doch dürfte ihm dieser Ausweg verwehrt bleiben, weil er eben keinen Ausweis mit sich führt. Der nächste Zugführer würde ihn möglicherweise gleich wieder rausschmeißen.
Die Szene veranschaulicht, weshalb der Schaffner bzw. Oberschaffner auch Zugführer heißt. Das erinnert nicht von ungefähr an den Zugführer beim Militär. Zack, zack, Disziplin und Gehorsam.
Zwischen Halle und Leipzig zuckelt die Bahn dahin. Wieder eine Dame, wieder ein sehr breiter sächsischer Dialekt. Wieder ein junger Mann, der ihr nur das Ticket hinhält. Ein Ausländer. »Ausweis? Sprechen Sie Deutsch? Passport? Sie brauchen eine Identity Card. Verstehen Sie mich? Ja, genau.« Geduldig und gestenreich wird erklärt, was fehlt. »Genau«, nickt sie wieder. »Beim nächsten Mal. So machmer das!« Entscheidungsspielraum nennt man das.
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