75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Donnerstag, 21. November 2024, Nr. 272
Die junge Welt wird von 2993 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 04.09.2024, Seite 16 / Sport
Schach

König ohne Reich

Alireza Firouzja gewinnt zum zweiten Mal die Grand Chess Tour. Weltmeister Ding Liren enttäuscht erneut
Von Sören Bär
16_schach Kopie.jpg
Der Kulminationspunkt: Ding Liren verliert mit 29…exd4? die Nerven

Schon nach der achten Runde hat sich der französische Schachgroßmeister Alireza Firouzja seinen zweiten Gesamterfolg bei der Grand Chess Tour nach 2022 gesichert. Entscheidend war ein heroisches Schwarzremis nach 80 Zügen gegen Jan Nepomnjaschtschi. Der 22jährige Firouzja führte mit 5,5 Punkten das Zehnerfeld beim Sinquefield-Cup in Saint Louis (19.–29. August) an und stand dicht davor, zusätzlich den Turniersieg zu erringen. Der mit 4,5 aus acht einzige verbliebene Verfolger Fabiano Caruana (USA) gewann seine Weißpartie gegen Tabellenschlusslicht Anish Giri (Niederlande, drei) und erhöhte den Druck.

Firouzja benötigte als Anziehender ein Remis gegen Rameshbabu Praggnanandhaa (Indien), um als Erster ins Ziel zu laufen. Der 19jährige Inder spielte die seltene französische MacCutcheon-Variante. Firouzja ließ sich nicht ins Bockshorn jagen und wählte mit 5.exd5 statt 5.e5 eine solide Fortsetzung. Praggnanandhaa schleppte die ausgeglichene Partie bis zum 47. Zug, ehe die Friedenspfeife geraucht wurde. Firouzja (sechs) gewann somit das Turnier vor Caruana (5,5) und ist aktuell der fünftbeste Spieler des Planeten.

Als ausschlaggebend erwiesen sich sein glücklicher Schwarzsieg gegen Caruana zum Auftakt und sein Gewinn als Anziehender gegen Weltmeister Ding Liren (China) im siebenten Durchgang. Der Champion hatte zuvor alle sechs Partien remis gestaltet. Firouzja sicherte sich in dem nuancenreichen italienischen Manövrierkampf leichten Vorteil. Mit seinem 29. Zug beging Ding in Zeitnot einen groben Fehler, dem er einen weiteren Patzer folgen ließ. Dadurch verlor der 31jährige zwei Bauern. Seiner ohnehin fragilen Psyche war dies nicht zuträglich. In Runde acht gab er eine vorteilhafte Position gegen Nodirbek Abdusattorow (Usbekistan) remis, und im letzten Durchgang musste er eine Schwarzniederlage gegen Maxime Vachier-Lagrave (Frankreich) quittieren. Dadurch kam er mit Nepomnjaschtschi, der zum Abschluss Abdusattorow unterlag, auf den Rängen acht und neun ein (je 3,5). Vachier-Lagrave und Abdusattorow (je fünf) belegten die Plätze drei und vier. Der auf Position 15 der Weltrangliste gestrandete Ding wirkt wie ein König ohne Reich.

Noch nie erlebte ein Champ nach dem Titelgewinn einen solchen Niedergang. Bei der Schacholympiade ab dem 10. September in Budapest wird er am Spitzenbrett für China spielen und muss wieder in Form kommen, um im WM-Duell gegen seinen 18jährigen Herausforderer Dommaraju Gukesh (Indien) ab dem 20. November in Singapur Chancen auf die Titelverteidigung zu haben. Gukesh erreichte in Saint Louis wie sein ein Jahr älterer Landsmann Praggnanandhaa ausschließlich Remisen (4,5/neun). Beide Inder teilten sich mit Wesley So (USA) die Ränge fünf bis sieben.

Alireza Firouzja – Ding Liren, Grand Chess Tour, Sinquefield Cup, Saint Louis, 7. Runde, 26. August 2024, Italienisch – Giuoco Piano

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6 4.d3 Lc5 5.c3 d6 6.a4 (Droht Läuferfang mittels 7.b4 Lb6 8.a5. Mit 6.Lg5 gewann So auf chess.com 2022 eine Schnellpartie gegen Ding, weil dieser nach 6…h6 7.Lh4 g5 8.Lg3 0-0 9.b4 Lb6 10.Sbd2 Se7 11.Lb3 Sg6 12.Sc4 Kg7 13.0-0 Lg4 14.Te1 h5 15.h3 h4 16.Sxb6 axb6 17.hxg4 hxg3 18.fxg3 Sxg4 19.Dd2 in ausgeglichener Stellung statt 19...f6 = mit 19…Th8?? 20.Dxg5 Dxg5 21.Sxg5 +- den Farmer g5 einstellte.) 6...a5 (Ding sichert seinem Läufer nicht nur den Rückzug, sondern unterbindet auch weißen Raumgewinn durch 7.b4, der nach 6…a6 möglich gewesen wäre.) 7.Lg5 h6 8.Lh4 De7 (Im Januar siegte Ding in Runde 3 beim Tata-Steel-Turnier in Wijk aan Zee gegen Gukesh mit 8…La7 9.Sa3 De7 10.Sb5 Lb6 11.Db3 g5 12.Lg3 0-0 13.0-0-0 Sh5 14.d4 exd4 15.Sbxd4 g4 16.Sh4 Lxd4 17.cxd4 Dxe4 =/+ in 37 Zügen.) 9.O-O g5 (Ebenfalls in Wijk aan Zee 2024 geriet Ding in Runde 5 mit 9…La7 10.Sbd2 Ld7 11.Tb1 g5 12.Lg3 0-0 13.Te1 g4 14.Lh4! gxf3 15.Dxf3 Kg7 16.Sf1 Th8 17.Se3 +/- gegen Parham Maghsoodloo in Nachteil.) 10.Lg3 Lg4 (In Firouzjas Œuvre ist nach 10...Ld7 11.Te1 Tg8 12.d4 La7 13.Sa3 h5 14.h4 gxh4 15.Lxh4 0-0-0 16.Sc2?! Tg4! 17.Lb5? exd4 18.cxd4 Tdg8 19.Se3 Txh4!? 20.Sxh4 Sxe4 21.Sef5 Dg5 -/+ eine Weißniederlage beim FTX Crypto Cup 2021 gegen Giri zu finden.) 11.Sbd2 La7 12.Lb5 N (In Demtschenko-Kurmangalijewa beim »Titled Tuesday« am 14. Mai 2024 geschah schwächer 12.Dc2?! Sh5!) 13.Te1 Sh5! 14.Kh1 (Der Monarch verlässt die Diagonale g1-a7, um nach 14…Sxg3 15.fxg3 zu ermöglichen.) 14…Sg7 (Plant 14...f5, was Firouzja geschickt vereitelt.) 15.h3 Lh5 16.Lc4 Kh8 17.Ld5! (Verhindert erneut 17…f5 auf subtile Weise.) 17…Sd8 (17…f5? 18.exf5 Sxf5 19.Lxc6 bxc6 20.Sxe5!! war die Pointe, denn auf 20…Lxd1 folgt die Gabel 21.Sg6+ Kg7 22.Sxe7 mit weißem Vorteil. 17…Dd7 kam in Betracht.) 18.d4 f6 (Dings W-Bauernkette d6-e5-f6-g5-h6 wirkt solide, doch seine weißen Felder sind schwach.) 19.Sf1 c6 20.La2 Sde6 21.Se3 Tad8 22.Sg4 Kh7 23.Lb1 Lg6 24.Dd2 Sf4 25.Lc2 De6 26.Tad1 (26.Lxf4 exf4 27.Sh4!! gxh4 28.Dxf4 h5 29.Dh6+ Kg8 30.e5! Lxc2 31.exf6 Df7 32.fxg7 Dxg7 33.Dxh5 +/= war aussichtsreich, aber Firouzja will in Zeitnot nichts forcieren.) 27.Sgh2 Df7 28.Sf1 Sfe6 29.Se3 exd4? (Die ersten Steine werden getauscht! Ding verliert die Nerven. Er hätte mit 29...Lb6 oder 29...Lb8 abwarten sollen.) 30.cxd4 (Nun droht 31.Dxa5.) 30...d5? (30…Lb6 war Pflicht, obwohl es nach 31.b4! nicht rosig aussieht, denn 31…Ta8? scheitert an 32.Lxd6 und 31...axb4 an 32.Dxb4.) 31.exd5 cxd5 32.Lxg6+ Dxg6 33.Dxa5 Lb8 34.Lxb8 Txb8 35.Dxd5 +- (Mit zwei Minusbauern ist der Weltmeister pleite.) 35...Sf4 36.Db5 g4 37.hxg4 hxg4 38.Sh4 Dg5 39.Sef5! (Nach 39.Dxg5?? fxg5 = hätte der Springer h4 kein Feld.) 39...Sxf5 40.Dxf5+ Dxf5 41.Te7+ Kh6 42.Sxf5+ Kg6 43.Sh4+ 1:0

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Mehr aus: Sport