Macron klebt an der Macht
Von Hansgeorg HermannSeit zwei Monaten herrscht in Frankreich nur noch einer: Präsident Emmanuel Macron. Eine Regierung, die dem Parlament bis zur gesetzlich vorgeschriebenen Frist am 1. Oktober den Staatshaushalt für 2025 vorlegen müsste, gibt es nicht, weil der Staatschef seiner gesetzlichen Pflicht, einen Ministerpräsidenten zu ernennen, nicht nachkommt. Der immer deutlicher erkennbare Grund: Macron müsste Macht abgeben. Da seine eigene Koalition am 7. Juli die von ihm selbst ausgeschriebenen vorzeitigen Neuwahlen zur Nationalversammlung verloren hatte, kann der nächste Regierungschef nur aus der Opposition kommen. Eine andere Konstellation geben die neuen Mehrheitsverhältnisse nicht her. Macron müsste also in die »Cohabitation«, die von der Verfassung für diesen Fall vorgesehene Zusammenarbeit mit einem politischen Gegner, der über die gesamte Innenpolitik – Finanzen, Soziales, Kultur, Bildung – zu entscheiden hätte. Dem Präsidenten blieben immerhin die Außenpolitik und der finale Zugriff auf das atomare Waffenarsenal.
Seit dem Ende der in Paris veranstalteten sogenannten Olympischen Sommerspiele, für die Macron einen von der Opposition nur zähneknirschend ertragenen »politischen Waffenstillstand« angeordnet hatte, gaben sich die von den Wahlsiegern der politischen Linken ebenso wie die von der bürgerlichen und der extremen Rechten ausgesandten Kandidaten die Klinke zum präsidialen Palais Élysée in die Hand. Obendrein mehr oder weniger bekannte Vertreter der Zivilgesellschaft, die Macron offenbar gern als eine Art neutrale, »technische« Regierung ohne größere Machtansprüche aufgebaut hätte. Den linken Nouveau Front Populaire (NFP, Neue Volksfront), wies Macron von Beginn an zurück. Und das, obwohl die Neue Volksfront mit ihrem Wahlsieg nicht nur eine zuvor möglich erscheinende absolute Mehrheit des rechten Rassemblement National (RN) der Marine Le Pen verhindert hatte, sondern vor allen anderen auch den Anspruch erwarb, mit seiner Kandidatin Lucie Castets den Posten des Ministerpräsidenten zu besetzen.
»Keine Macht der Linken«, ließ der – dem Kapital seit dem Beginn seiner politischen Karriere verpflichtete – Präsident die 50 Millionen Wahlberechtigten wissen. Vor allem nicht der Partei La France Insoumise, die mit ihren Anführern Jean-Luc Mélenchon und Manuel Bompard im Juni die Gründung der Volksfront eingeleitet und deren Wahlerfolg erst möglich gemacht hatte. Dem Zusammenschluss gehören auch die Sozialdemokraten des Parti Socialiste, die Ökologen sowie die Kommunisten an. Macron hat seither alte Weggefährten wie Bernard Cazeneuve begutachtet, wie er selbst ein ehemaliger Kabinettskollege unter dem früheren Staatschef François Hollande. Ein rechter Sozialdemokrat also, den in Macrons Machtspiel vielleicht auch ein Teil der Volksfront hätte akzeptieren können und der – noch wichtiger – dessen Einheit hätte sprengen sollen.
Rechts wie links, weder Kandidatin noch Kandidat passten bis Mittwoch in das Schema des Präsidenten. Nicht Xavier Bertrand, ehemaliger Sozialminister des früheren Staatschefs Nicolas Sarkozy, des großen Einflüsterers von Macron, der die »Ernennung eines rechten Regierungschefs« verlangt hatte. Und auch nicht Ségolène Royal, vor 17 Jahren erfolglose Präsidentschaftskandidatin des Parti Socialiste gegen Sarkozy und seither für jede politische Konstellation zu haben. Im Amt bleibt vorerst die abgedankte, nun geschäftsführende Regierung mit ihrem jungen Chef Gabriel Attal. Dieser spricht mit seinem ehemaligen Gönner Macron nur noch – so wollen es die Hauptstadtmedien wissen –, wenn das Dienstverhältnis es verlangt. Um den Regierungsapparat in Paris am Laufen zu halten, habe Attal seit seinem Abschied von der politischen Macht mehr als 1.500 Dekrete unterschreiben müssen.
In all dem Chaos kündigte am Mittwoch Édouard Philippe, Macrons früherer Ministerpräsident und seit 2022 Koalitionspartner des Chefs, seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2027 an. Er stehe allerdings auch schon früher bereit, falls dieser Termin vorverlegt werden müsse.
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