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Aus: Ausgabe vom 05.09.2024, Seite 6 / Ausland
Indien

»Bombardiert sie heimlich!«

Gewalt gegen Minderheiten in Indien: »Manipur-Leaks« belasten Regierungspartei BJP
Von Thomas Berger
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Protest gegen die vermutete heimliche Zusammenarbeit von Chief Minister Biren mit den marodierenden Banden in Manipur (Neu-Delhi, 31.8.2024)

Von »Völkermord« und »ethnischen Säuberungen« ist auf Plakaten die Rede. Massenproteste hat es am vergangenen Wochenende nicht nur in Manipur selbst gegeben, jenem Unionsstaat in der sonst eher selten im Rampenlicht stehenden Nordostregion Indiens, der seit Monaten von gewaltsamen Auseinandersetzungen erschüttert wird. Auch in der Bundeshauptstadt Delhi fanden Demonstrationen statt, nachdem die sogenannten Manipur-Leaks zuletzt Öl ins Feuer gegossen hatten.

Es geht um Statements, die von Chief Minister Nongthombam Biren Singh stammen sollen, dem Chef der Regionalregierung. Er ist seit 2017 im Amt und ein Parteifreund von Indiens Premier Narendra Modi aus der hindu-nationalistisch Indischen Volkspartei (BJP). Außerdem gehört er zur in Manipur dominierenden Bevölkerungsgruppe der Meitei. Diese sind wie die Mehrheit der Inder vorrangig Hindus. Seit über einem Jahr ist ein schon länger schwelender Konflikt mit der zweitstärksten Ethnie, den vorrangig christlich eingestellten Kuki-Zo, blutig eskaliert.

Die Audioleaks, in denen die Stimme von Biren Singh zu hören sein soll, wurden von mehreren Kuki-Verbänden und den zehn Abgeordneten der Bevölkerungsgruppe im Regionalparlament in Erklärungen als »unumstößlicher Beweis« dafür angeführt, dass Manipurs derzeitige politische Führung, statt zu deeskalieren, ein »Komplize bei ethnischen Säuberungen« und anderen Verbrechen gegen die Minderheit sei. Die nationale Regierung unter Modi müsse deshalb dringend einschreiten, lautet die Forderung. Der Chief Minister und seine Getreuen nennen die Aufnahmen jedoch »manipuliert«. Eine von einem Richter angeführte Sonderkommission des Innenministeriums in Delhi hat die Ermittlungen aufgenommen.

Seit dem 3. Mai 2023, als die weiter anhaltende Gewaltwelle in dem Unionsstaat ausgebrochen war, seien dort mindestens 200 Menschen getötet und 60.000 zur Flucht gezwungen worden. So hatte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) Mitte Juli die bisherige Schreckensbilanz zusammengefasst. Nicht nur Hunderte Wohnhäuser und Geschäfte in unzähligen Ortschaften, sondern auch Gebetsstätten verschiedener Religionsgemeinschaften wurden zerstört. »Die seit 14 Monaten anhaltende Inaktivität und Straflosigkeit der staatlichen Autoritäten muss endlich aufhören«, forderte Aakar Patel, Präsident von AI Indien, vor allem mit Blick auf die Zentralregierung. Es gehe nicht länger an, dass »Vergewaltigungen von Frauen, das Niederbrennen ganzer Dörfer und Abschlachten von Menschen« ohne Konsequenzen blieben.

Modi hatte sich aber schon im Vorjahr zu Beginn der Krise, als binnen weniger Wochen weit mehr als 100 Tote zu beklagen waren, auffallend in Schweigen gehüllt – auch nachdem ihn diverse Vertreter der liberale, linke und regionale Parteien einschließenden Oppositionsfront via Medien und im Parlament immer wieder aufgefordert hatten, Stellung zu beziehen und einzuschreiten. Selbst im Wahlkampf zu den Parlamentswahlen im April und Mai dieses Jahres sparte Modi Manipur bei seinen vielen persönlichen Auftritten explizit aus. Inzwischen, so nicht nur der AI-Bericht vom Juli, sind es diverse Meitei-Milizen, die mit aus Polizeihänden erbeuteten Waffen insbesondere Greueltaten geschlechtsbezogener Gewalt gegen Angehörige der Minderheit ausüben – und von den Einsatzkräften oft unbehelligt bleiben.

Die Mitschnitte waren am 19. August vom Newsportal The Wire veröffentlicht worden, Teilleaks hatte es schon zuvor gegeben. Biren Singh, so einer der sich aus den Aufnahmen speisenden Vorwürfe, soll im vergangenen Jahr sogar den Einsatz von Mörsergranaten vom Kaliber 51 Millimeter gegen die Kuki-Zo angeordnet haben, verbunden allerdings mit dem Hinweis: »Bombardiert sie heimlich!« Insgesamt 48 Minuten Material sollen die Komplizenschaft des Chef Ministers mit extremistischen Meiteis belegen. Biren höchstselbst hatte vor dem Regionalparlament am 1. August von inzwischen 226 Todesopfern, 39 Vermissten und mehr als 11.000 zerstörten Gebäuden gesprochen.

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