Netanjahus Doppelspiel
Von Jakob ReimannErneut sind am Dienstag abend in Israel Tausende Menschen auf die Straßen gegangen, um Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dazu zu drängen, endlich seine Blockadehaltung aufzugeben und ein Abkommen über einen Waffenstillstand in Gaza und die Freilassung der 101 dort verbliebenen Geiseln abzuschließen. Schilder waren zu sehen mit der Aufschrift, das Blut der Geiseln klebt an den Händen der Regierung. Für ihre Angehörigen ist Netanjahu verantwortlich dafür, dass noch immer kein Deal zustande gekommen ist. Er habe »wieder und wieder ein Abkommen torpediert«, sagte die Tochter einer Geisel laut Medienberichten.
Das zentrale Hindernis in den Verhandlungen ist mittlerweile die Frage der Präsenz der israelischen Armee im sogenannten Philadelphi-Korridor, dem 14 Kilometer langen Streifen in Südgaza entlang der Grenze zu Ägypten. Für die Hamas sind jegliche israelischen Truppen dort inakzeptabel. In Washington wird daher diskutiert, private Söldnerfirmen für die Grenzsicherung anzuheuern oder eine von den USA trainierte palästinensische Truppe abzustellen – dies sei »die wahrscheinlichste Lösung«, zitiert die Washington Post einen US-Beamten.
Verteidigungsminister Joaw Gallant hat sich wiederholt für einen Abzug starkgemacht, da eine Präsenz aus militärischer Sicht nicht notwendig sei. Doch das Kabinett hat am vergangenen Donnerstag gegen diese Position votiert. »Der Beschluss deutet darauf hin, dass Netanjahu nicht daran interessiert ist, die Geiseln nach Hause zu bringen«, zitiert die Washington Post den Brigadegeneral a. D. und ehemaligen stellvertretenden Verteidigungsminister Efraim Sneh. »Es gibt keine andere Interpretation.«
Auf einer Pressekonferenz in Jerusalem am Montag beharrte Netanjahu entsprechend darauf, den Streifen dauerhaft zu besetzen: »Die Achse des Bösen braucht den Philadelphi-Korridor, und deshalb müssen wir ihn kontrollieren«, sagte er laut Reuters mit Blick auf den palästinensischen Widerstand und wies Forderungen einzulenken kategorisch zurück. Doch seine öffentliche Show, bei der er eine Karte zeigte, auf der das Westjordanland als integraler Bestandteil Israels erscheint, war lediglich ein Ablenkungsmanöver, um sich der Welt und seinen extrem rechten Koalitionspartnern als Hardliner zu präsentieren.
Denn wenige Stunden vor der Pressekonferenz hatte Netanjahus Chefunterhändler David Barnea, Direktor des israelischen Auslandsgeheimdiensts Mossad, im Rahmen der Verhandlungen mit der Hamas in Katar noch versichert, dass sich Israel im Zuge der zweiten Phase des von den USA vermittelten Deals vom Juli sehr wohl aus dem Philadelphi-Korridor zurückziehen werde, wie Haaretz am Dienstag unter Berufung auf israelische und ausländische Quellen berichtete, »die mit den Verhandlungen vertraut sind«. Auf Nachfrage stritt Netanjahus Büro dies auch nicht ab.
Erst Ende Juli hatte Netanjahu zur Irritation aller Beteiligten das israelische Verhandlungsteam angewiesen, das Abkommen um die Philadelphi-Forderung zu ergänzen, was einer erneuten Sabotage der Verhandlungen gleichkommt. Mossad-Chef Barnea, der Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Ronen Bar, und der militärische Koordinator für die Geiseln, Nitzan Alon, erklärten Netanjahu daraufhin, »dass seine Unnachgiebigkeit in diesem Punkt die Verhandlungen zum Scheitern bringen und zum Tod von Geiseln in Gefangenschaft führen könnte«, so Haaretz weiter.
»Netanjahu hat schon vor langer Zeit dem vollständigen Abzug der Soldaten von der Philadelphi-Route und dem vollständigen Abzug der Streitkräfte (aus Gaza) zugestimmt«, zitiert Haaretz weiter einen an den Gesprächen beteiligten Beamten. Während Netanjahu mit dem öffentlichen Beharren auf dieser Maximalforderung zwar die Ultrarechten und Faschisten in seiner Koalition bei der Stange halten will, werden diese gewiss nicht erfreut über dessen langbeschlossene Aufgabe dieser Forderung sein. Und so könnte das doppelte Spiel von Netanjahu, der bei seinen extrem rechten Koalitionären ohnehin als zu weich gilt, am Ende auf ihn selbst zurückschlagen.
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