Auf zwei Hochzeiten
Von Jörg KronauerWirklich neu war die Nachricht nicht, die die US-Agentur Bloomberg zu Wochenbeginn über den Ticker schickte: dass die Türkei vorhabe, dem BRICS-Bündnis beizutreten. Außenminister Hakan Fidan hatte das schon im Juni mitgeteilt, als er sich auf dem Weg zu einem Treffen mit seinen BRICS-Amtskollegen im russischen Nischni Nowgorod befand. Ob es zutrifft, dass Ankara, wie Bloomberg behauptete, die Mitgliedschaft auch formal beantragt hat, ließ ein Regierungssprecher tags drauf offen; er bestätigte lediglich, es liege noch keine offizielle BRICS-Entscheidung in der Sache vor. Diese könnte aber schon in einigen Wochen fallen, wenn sich die Mitgliedstaaten vom 22. bis zum 24. Oktober in Kasan zu ihrem diesjährigen Gipfel treffen. Auch andere Staaten wollen beitreten, Malaysia etwa, Thailand und weitere mehr.
Geht das? Kann ein NATO-Mitglied einem Bündnis beitreten, das vor allem ein Ziel verfolgt – nämlich die globale Dominanz des Westens zu brechen, dessen militärisches Standbein die NATO ist? Warum nicht, tönt es aus Ankara; Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat ja sogar schon erklärt, die Türkei wolle auch Mitglied der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) werden, eines militärisch aktiven Bündnisses rings um die erklärten Feinde der NATO, Russland und China. Anderweitig hat Ankara bereits Nägel mit Köpfen gemacht – es hat etwa das russische Flugabwehrsystem S-400 beschafft, obwohl die NATO tobte. Den BRICS schon beigetreten sind zwei Staaten, die lange Zeit äußerst eng mit dem Westen kooperierten, wenn sie auch keine NATO-Mitglieder waren: Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Man sollte die offiziell erklärte Absicht der Türkei, den BRICS beizutreten, freilich nicht als Bekenntnis begreifen. Auch hier liefert die Beschaffung des S-400-Systems ein Exempel: Die türkische Regierung hat Washington angeboten, es einzumotten, wenn sie dafür US-F-35-Jets erhält; in der Politik ist eben nahezu alles auch Tauschmaterial. Ankara macht seit längerem Druck, die Zollunion mit der EU zu erweitern, denn dort liegen einige der ertragreichsten Absatzmärkte der Türkei. Wird das Land den Plan, den BRICS beizutreten, aufgeben, wenn es von Brüssel dafür eine günstige Variante der Zollunion bekommt? Wer weiß. Eine BRICS-Mitgliedschaft böte wiederum Aussicht auf einen intensiveren Handel mit China und Russland – den mit Abstand wichtigsten Lieferanten der Türkei – und während die EU absteigt, steigt China auf.
Für Staaten wie die Türkei, die sich – geographisch wie politisch – am Rand des westlichen Hegemonialsystems befinden, hat mit dessen Schwächeln eine Zeit neuer Absetzbewegungen begonnen. Manche werden realisiert – siehe die Beschaffung des S-400-Systems –, andere mögen im Tausch gegen irgendwelche Deals noch zurückgestellt werden, wenn diese günstig zu sein scheinen. In jedem Fall rückt es für Ankara und manche andere mittlerweile in den Bereich des Denkbaren, auf zwei Hochzeiten zu tanzen. Wer das beherrscht, gewinnt.
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Leserbrief von Zovonko (5. September 2024 um 11:41 Uhr)Im Arte Journal von 4. Sept. wird mit einem empörten Grundton darüber berichtet, dass für türkische Schüler einen Aufnahmestopp an der deutschen Schule gebe und dies jetzt auch für die französischen Schulen gelte und das kurz vor dem Schulbeginn. Es wird als Provokation eingeordnet. Der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft der Türkei erklärt, dass Frankreich sich kolonialistisch verhalte und türkische Schulen in Frankreich und Deutschland nicht eröffnet werden dürfen. Im Deutsch-Türkischen Journal (DTJ) wird von einem Aufnahmestopp für türkische Schüler an der deutschen Schule in Ankara berichtet, schon vor einem Monat am 28. Juli.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (4. September 2024 um 21:18 Uhr)Ähnlich wie einst Jugoslawiens Tito, versteht es Erdoğan, geschickt zwischen den Großmächten zu manövrieren und dabei politisch erfolgreich zu sein. Diese Fähigkeit gründet sich auf die ideale geopolitische Lage der Türkei sowie auf Erdoğans erfolgreich ausgebaute Machtbasis, insbesondere innerhalb der Armee, die früher stärker auf die USA ausgerichtet war. Der Westen hält die Türkei wirtschaftlich jedoch seit Jahrzehnten durch die schwache Lira an der kurzen Leine. Gleichzeitig hat das Land zahlreiche Baustellen geöffnet, ohne viele davon abzuschließen. Dies führt zu einer Anhäufung ungelöster Probleme sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik. Für die Türkei wird der entscheidende Faktor sein, wie sich das Land nach Erdoğan positionieren kann.
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