Computer statt Betreuer
Von Dieter Reinisch, WienDer Gerichtssaal 26 am Arbeits- und Sozialgericht im 9. Wiener Gemeindebezirk könnte kaum kleiner sein. Doch die hier stattfindende Verhandlung könnte weitreichende Auswirkungen für den gesamten Sozialbereich in Österreich haben.
Der Betriebsrat des Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB) verklagte den Vorgesetzten, da er der Meinung ist, dass Betreuer von Geflüchteten in zwei Wohnheimen in Wien falsch im Kollektivvertrag eingestuft sind: »Bis zu 500 Euro verlieren die Betreuer daher«, erklärt Michael Gehmacher, Betriebsratsvorsitzender des ASB im Bereich Wohnen und soziale Dienste. »Im Prozess geht es um den Wert der Arbeit der Flüchtlingsbetreuer. Sie leisten enorm wichtige Funktionen seit 2015, doch ihre Arbeit wird abgewertet«, betont er vor Prozessbeginn gegenüber jW.
Derzeit sind die Betreuer in der Gehaltsstufe IV, der Betriebsrat fordert, dass die Stufe VII angewendet wird. Seit 2015 schwelt der Konflikt, doch ab 2019 wurde er »ernsthaft«, erzählt Gehmacher. Es kam zu keiner Einigung. Im Dezember 2022 gab eine Teilbetriebsversammlung dem Betriebsrat das Mandat, Klage einzubringen.
Am Dienstag war der zweite Verhandlungstag. Zunächst wurde Gehmacher selbst als Zeuge der klagenden Seite befragt. Er führte die Arbeitstätigkeiten der Betreuer in den betroffenen Häusern Liebhartsthal und De France an. Dutzende Betreuerinnen kümmern sich dort um derzeit insgesamt 450 Heimbewohner. Daneben arbeiten Sozialarbeiter und Psychologen, denen die Entscheidungsbefugnis obliegt. Der beklagte ASB argumentiert, dass Betreuerinnen keine Entscheidungen treffen dürften und auch keine fachspezifischen Ausbildungen vorzuweisen hätten.
Gehmacher gibt eine lange Tätigkeitsliste an: Unterstützung im Alltag, Aufrechterhaltung der Hausordnung, medizinische Aufgaben, wie etwa die Tablettenversorgung, aber auch Hilfe bei körperlichen und psychologischen Krisen. Er streicht heraus, dass viele Betreuerinnen neben Deutsch und Englisch mehrere in den Häusern verwendete Sprachen sprechen würden: »Eigentlich alle sprechen zusätzlich noch ein bis zwei Sprachen, aber manche sogar vier bis fünf.«
Danach wird von der beklagten Seite ein ehemaliger Heimleiter des Hauses Liebhartsthal vorgeladen. Der betont, dass »von Betreuern weiterführende Tätigkeiten nicht auf Anweisung der Hausleitung durchgeführt werden«. In der Nachtschicht könne es sein, dass Betreuer Einsatzkräfte rufen: »Aber das war es dann auch schon.«
Die Sprachkenntnisse würden keine Rolle spielen, denn es gäbe nun einen Videolink zu einer Firma, die »viele Sprachen nach fünf Minuten übersetzen kann«, wenn mit den Bewohnern zum Computer gegangen wird. Bei medizinischen Notfällen scheint dies wenig praktikabel, und er gesteht selbst ein, dass bei einigen Sprachen, 48 Stunden zuvor ein Dolmetschertermin arrangiert werden muss. Leider wurde er nicht gefragt, ob sich Notfälle auch 48 Stunden im Voraus planen lassen, damit ein Computerdolmetscher erreichbar ist.
Das Kartenhaus des ASB fällt spätestens dann zusammen, als der Zeuge angibt, dass Betreuer »kulturelle Ankerpersonen« sind. Oft seien aufgrund des Schichtdiensts die den Fall führenden Sozialarbeiter für drei Tage nicht anwesend. Und in der Nachtschicht von 22 Uhr bis 8 Uhr sind ohnehin keine Sozialarbeiter vor Ort.
Auf die Frage der Anwältin des Betriebsrats, ob der Nachtbetrieb reibungslos vonstattengehen würde, wenn die Flüchtlingsbetreuer strikt Dienst nach Vorschrift machen würden, will er zunächst nicht antworten. Auf Nachfrage versucht er auszuweichen und kommt zum Schluss, dass es »schon theoretisch möglich sein könnte, dass Betreuer dann eigenständig Entscheidungen treffen müssen«. Schließlich muss er zugestehen, dass die Liste der Tätigkeiten, die die klagende Partei vorgelegt hat und von Gehmacher vorgetragen wurde, »die Tätigkeiten der Betreuer sehr gut widerspiegelt«.
Nach fünf Stunden war Schluss. Drei weitere Zeugen mussten frühzeitig entlassen werden. Der Prozess wurde auf den 13. Januar 2025 vertagt. Für die Betreuerinnen der Geflüchteten heißt das zunächst: weitere Monate warten auf bessere Entlohnung.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 05.07.2024
»Wir haben die Strategie zu spät durchschaut«
- 01.02.2024
Kein klassischer Sozialpartner
- 22.09.2023
»Ein toller Erfolg!«
Regio:
Mehr aus: Betrieb & Gewerkschaft
-
Hafenarbeiter gegen Waffen
vom 05.09.2024