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Aus: Ausgabe vom 05.09.2024, Seite 16 / Sport
Sportpolitik

Träger Tanker

Mit einer neuen Sportagentur ensteht ab 2025 ein neues bürokratisches Monster der Leistungssportförderung
Von Andreas Müller
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Yemisi Ogunleye jubelt

Seitdem der deutsche Sport 2021 von der UNESCO in das Verzeichnis des »immateriellen Kulturerbes« aufgenommen wurde, zeugt von dieser Anerkennung bestenfalls die dazugehörige Urkunde. Im Alltag ist dieses Gütesiegel für die »gemeinwohlorientierte Sportvereinskultur«, um deren Aufschwung sich Mitte des 19. Jahrhunderts insbesondere die Turner verdient gemacht hatten, kein Thema und vermutlich bereits wieder vergessen. Diese UNESCO-Auszeichnung zu nutzen, um das einmalige »System Sportverein« mit all seinen Vernetzungen wertzuschätzen und weiterzuentwickeln, ist bisher unterblieben. Warum auch einer Gesellschaft pausenlos damit auf die Nerven gehen, was die gern kolportierten knapp 30 Millionen Mitglieder in den knapp 90.000 Sportvereinen leisten? Es läuft doch auch so ganz gut, nicht zuletzt dank der Millionen ehrenamtlich Tätigen.

Sie machen’s einfach. Was braucht es dafür Lob, Anerkennung und Weltkultur? Nicht einmal gegenüber Spitzenathleten gehört allgemeine Anerkennung hierzulande zur Normalität. Hörbar hat dies vor wenigen Tagen Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye beklagt, die in Paris mit ihrem letzten Versuch die Kugel sensationell zu Olympia-Gold wuchtete. Die »geringe Wertschätzung« betreffe nicht nur Olympioniken, die längst wieder von der Fußballbundesliga in den Schatten gestellt sind. Mangelnde Wertschätzung würden, so Yemisi Ogunleye, ebenfalls die Trainerinnen und Trainer erfahren. Ein Unding, weil gerade sie den größten Anteil an den Erfolgen ihrer Schützlinge haben und für den Sportbetrieb unentbehrlich sind.

Seine Ignoranz hat unlängst auch wieder einmal das für Leistungssport zuständige Bundesministerium des Innern (BMI) unter Beweis gestellt. Im jüngsten Referentenentwurf für ein neues Sportfördergesetz bleibt die Berufsgruppe der Trainer nur eine Fußnote. In dem nach heftigen Protesten gegenüber seiner ersten Fassung im Frühjahr überarbeiteten Papier vom 12. August wird das nach den Athleten selbst wichtigste Personal wieder nur mit Plattitüden bedacht. Es solle im Spitzensport um den Einsatz ausschließlich »hochqualifizierter Trainerinnen und Trainer« gehen. Was denn sonst? Wie groß infolge der Altersstruktur demnächst der Bedarf ist, wo und wie Neueinsteiger ausgebildet werden, woher sie demnächst kommen sollen, und vor allem, ob für sie endlich ein stimmiges Tarifsystem eingeführt wird, spart der Gesetzentwurf komplett aus und ist allein schon deshalb mangelhaft.

Statt dessen geben die 57 Seiten überproportional viel Raum der neuen Sportagentur, die ab 2025 die leistungssportlichen Geschicke lenken soll. Ein bürokratisches Monster mit einem mit 18 Leuten besetzten Stiftungsrat, dem ein Vorstand untersteht, dem wiederum ein mit 18 Leuten besetzter Sportfachbeirat zugeordnet ist. Längst ist das Hauen und Stechen darum entbrannt, wer da das Sagen haben soll, wie und ob sich etwa das Leistungssportressort des Deutschen Olympischen Sportbundes in dem neuen Ungetüm wiederfindet. Was den Etat dieser neuen Zentrale anlangt, ist dafür eine Art Steigerungslauf vorgesehen, mit vornehmlich höheren Personalkosten von einer Million Euro für 2025, über drei Millionen Euro für 2026 und 3,864 Millionen Euro für 2027, bis hin zu 5,9 Millionen Euro für 2028 und 7,94 Millionen Euro für 2029. Woran leicht abzulesen ist, wieviel Zeit bis zur vollen Arbeitsfähigkeit der künftigen Sportagentur vergehen wird.

Klar ist schon jetzt, dass in dem neuen bürokratischen Monster ein weiteres seiner Art namens Potentialanalysesystem (Potas) komplett aufgehen soll. Eine Kommission, die seit 2017 unzählige Daten erhebt und die Spitzenverbände des olympischen Sommer- wie Wintersports in elf »Haupttributen« analysiert, um optimale Förderschwerpunkte zu prognostizieren. Mit mäßigem Erfolg, wie der in Paris gerade bestätigte Abwärtstrend bei der Medaillenausbeute bewies. Klar ist ebenfalls, dass die neue Sportagentur im kommenden Jahr als Stiftung daherkommt. Es wird eine Konstruktion favorisiert, die eher an einen trägen Tanker denn an ein wendiges Schnellboot erinnert, wie es für eine spitzensportliche Leitstelle wünschenswert wäre, die flexibel arbeiten und auf Veränderungen schnell reagieren können muss. Wenn es stimmt, dass man Sieger häufig schon am Start erkennt, dann scheint die neue Sportzentrale nicht unbedingt den Gewinnertypus zu verkörpern. Was im übrigen zu den Erfahrungen mit einer 2016 in Szene gesetzten Leistungssportreform passt, die ihrem Namen nie gerecht wurde. Nun also der nächste Versuch. Sollte er abermals scheitern, wäre das wohl kein Problem. Der wenig wertgeschätzte olympische Sport ist ohnehin nur alle vier Jahre für ein paar Wochen im medialen Fokus, in den Jahren dazwischen darf er unbeobachtet dahinwursteln.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Frank Embacher aus Leipzig (6. September 2024 um 12:38 Uhr)
    Wozu gibt es dann noch den DOSB, wenn da schon wieder über 35 neue Stellen geschaffen werden sollen? Da kommt doch noch weniger Geld an der Basis an. Trainer werden wieder leer ausgehen und ins Ausland gehen oder in den Schuldienst wechseln. Es ist sehr wenig Geld, was in Deutschland insgesamt in den Breiten-, Nachwuchs-, Spitzensport investiert wird. Max. 750 Mio. Euro. Zum Vergleich: in den USA investiert jede Uni (ca. 4000) rund 60 Mio. Dollar in den Sport. D. h. 15 von 4000 Universitäten investieren mehr Geld in den Sport als ganz Deutschland!!! Sachsen ist »stolz« auch im nächsten Jahr wieder 57 Mio. in den Sport zu stecken. Also wieder keine Anhebung der Trainergehälter (weit unter Lehrergehalt) und das bei einer 50–60 Stunden-Woche, immer Montag bis Samstag Arbeit, sowie 20–25 Sonntage im Jahr mit Wettkämpfen, Trainingslagern und Weiterbildungen. 60 % der gut ausgebildeten Trainer arbeitet nicht mehr im Sport! Wertschätzung gleich Null und nur leere Versprechungen über Jahre durch die Politik. Hauptsache deren Diäten steigen immer weiter!

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