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Aus: Ausgabe vom 06.09.2024, Seite 1 / Titel
Frankreich nach der Wahl

Das Kapital regiert

Frankreich: Macron macht Finanzpolitiker Michel Barnier zum neuen Regierungschef. Extreme Rechte zufrieden
Von Hansgeorg Hermann
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Macrons Kandidatenkür hatte endlich Erfolg: Barnier (l.) ist der Ultrarechten willkommen (23.2.2024)

Rechts musste er sein, Ahnung musste er haben vom Wesen des Finanzkapitals, und kompatibel musste er sein mit den Rechtsaußen des Rassemblement National (RN), die mit ihrer starken Fraktion in der Nationalversammlung den Staatschef seit Tagen vor sich hertrieben. Nach zwei Monaten ohne gewählte Regierung hat Emmanuel Macron am Donnerstag schließlich den Kommerzfachmann, ehemaligen EU-Kommissar und Vermittler des »Brexit« Michel Barnier als Ministerpräsidenten nominiert. Marine Le Pen und ihre Leute, offensichtlich zufrieden, ließen am Nachmittag wissen, dass sie die Nominierung Barniers nicht durch einen sofort eingereichten Misstrauensantrag blockieren werden. Der 73 Jahre alte Politiker war erst gestern auf der ellenlangen Liste möglicher Kandidatinnen und Kandidaten für den Chefposten aufgetaucht. Zuvor hatte Macron, wie Pariser Medien kolportierten, mit Le Pen telefoniert.

Die seit Wochen schwelende Staatskrise ist damit allerdings nicht ausgestanden. Nicht nur das linke Bündnis Nouveau Front Populaire (NFP, Neue Volksfront), sondern auch ein moderater Teil der bürgerlichen Rechten sowie die Lepenisten hatten während ihrer erfolgreichen Wahlkampagnen eine Rücknahme von Macrons Rentenreform im Parteiprogramm festgeschrieben und damit dessen Regierungskoalition aus dem Sattel gehoben – eine zentrale Forderung, die bei der von Macron immer wieder verschobenen Ernennung eines Premiers im Mittelpunkt stand und der Barnier kaum wird nachgeben können. Statt dem klaren Wahlsieger NFP den traditionell zustehenden ersten Zugriff auf das Amt zuzugestehen, präsentierte sich der Präsident als Frühstücksdirektor der sogenannten Olympischen Sommerspiele und verhängte einen »politischen Waffenstillstand«. Statt danach die längst fällige Regierungsbildung einzuleiten, reiste er als eine Art nationaler Waffenhändler nach Serbien, wo er zum Preis von drei Milliarden Euro zwölf Kampfbomber des Typs »Rafale« verscherbelte.

Die Annäherung an das extrem rechte politische Lager ist auch unter diesem Aspekt zu verstehen: Macron sei, wie der Pariser Politologe und Zentrumspolitiker Luc Gras am Mittwoch im TV-Sender Franceinfo anmerkte, »völlig aus der Rolle gefallen«, die ihm die französische Verfassung in dieser Situation zugestanden habe: Nämlich »Lucie Castets, die Kandidatin des linken Wahlsiegers NFP, als Premierministerin zu nominieren, und es anschließend dem Parlament zu überlassen, eine Lösung für die Regierungsbildung zu finden – oder nicht«.

Während der rechte RN und Marine Le Pen am Donnerstag ankündigten, gemütlich auf Barniers Rede zum geplanten Kurs einer Regierung unter seiner Führung warten zu wollen, kam aus dem linken Lager die zu erwartende harsche Kritik. »Die Wahl wurde gestohlen«, erklärte Jean-Luc Mélenchon, einer der Initiatoren der Volksfront. »Wir haben einen Premier, dessen Partei bei den Wahlen am 7. Juli auf dem vierten Platz landete«, ergänzte sein Bündnispartner Olivier Faure vom Parti Socialiste. In der Tat holte Barniers Partei Les Républicains lediglich 7,25 Prozent der Stimmen und 46 Mandate. Macrons Mann wird es daher schwer haben – der Präsident hat ihn letztlich der Gunst der extrem rechten Vettern vom RN ausgeliefert, die mit 143 von 577 Sitzen eine Sperrminorität im Parlament halten. Kopfstärkste Fraktion ist der NFP mit 193 Abgeordneten.

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  • Leserbrief von N. Schreiber aus München (6. September 2024 um 02:21 Uhr)
    Sehr passende Artikelüberschrift. Aus dem NFP kamen auch Wortmeldungen a la: »Unser Wähler dachten, es würde sich was ändern, aber.« Ob das so stimmt, dass sie das dachten, sei mal dahin gestellt, doch es ist doch sehr bemerkenswert, wie die weltweite und seit Jahrzehnten, teils Jahrhunderten, immer und immer wieder gemachte Erfahrung der Leute, dass Wahlen im wesentlichen gar nichts ändern, ebenfalls immer und immer wieder ignoriert wird. Der deutsche Spruch: »Wenn Wahlen was ändern würden, wären sie verboten« hat selbstverständlich nach wie vor Gültigkeit und wird es in einem dysfunktionalen System, was aus der Kombination von schmarotzenden, gleichzeitig herrschenden Ausbeutern und Abzockern von Arbeitskraft, ausgestattet mit fast allen Machtmitteln und Pseudodemokratie/Demokratie-Fake/Fassaden-Demokratie oder wie auch immer mensch dieses verheuchelte Lügenkonstrukt bezeichnen will, was die, wie ich es nenne »ideelle Diktatur des Kapitals« verdecken soll, auch immer haben.

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