Grenfell war »sozialer Mord«
Von Dieter ReinischAusgerechnet am Mittwoch hat es schon wieder in einem Hochhaus in London gebrannt. Zehn Löschzüge und rund 70 Feuerwehrleute haben ein Feuer in einem Hochhaus unter Kontrolle gebracht, teilte die London Fire Brigade (LFB) mit. Zwei Wohnungen im neunten und zehnten Stock eines Gebäudes in der Rosenthal Road in Catford standen in Flammen. Doch gegen 14.15 Uhr (Ortszeit) war der Brand unter Kontrolle. Berichte über Verletzte gebe es keine, teilte die LFB mit.
Weniger glimpflich verlief der Brand im Grenfell Tower im Juni 2017, einem Sozialwohnturm im Osten der britischen Hauptstadt. 72 Menschen starben dabei. Am Mittwoch wurde der zweite und letzte Teil des Untersuchungsberichts zu der Katastrophe veröffentlicht. Das Fazit: Über die Jahre hinweg habe die britische Regierung gravierende Fehler begangen, die zur Tragödie geführt hätten. Alle Todesfälle im Grenfell Tower wären vermeidbar gewesen, sagte der Vorsitzende der Untersuchung, Martin Moore-Bick, am Mittwoch morgen in einer Erklärung zur Veröffentlichung des 1.700seitigen Berichts.
Premierminister Keir Starmer entschuldigte sich für die »systematischen Fehler« der britischen Regierung. Aus dem Bericht geht hervor, dass diese primär auf die Politik der konservativ-liberalen Administration ab 2010 zurückzuführen sind. Diese sei sich bereits ein Jahr vor dem Brand im Grenfell Tower der tödlichen Risiken durch brennbare Fassadenverkleidungen und Isolierungen »wohl bewusst« gewesen, habe »jedoch nicht auf der Grundlage ihres Wissens« gehandelt, heißt es in dem Bericht.
Die konservativ-liberaldemokratische Regierung von 2010 wird heftig für ihre neoliberalen Kürzungen kritisiert. Sicherheitsbedenken seien »ignoriert, verzögert oder missachtet« worden. Die Grenfell-Untersuchung macht aber neben Regierungen und Unternehmen auch die Feuerwehr für Versäumnisse verantwortlich, die zum Brand geführt hätten. Gegenüber der BBC gestand Steve Dudeney, einer der damals verantwortlichen Kommandanten der LFB, ein: »Ich kam um sieben Uhr morgens zum Brand. Unsere Leute waren völlig übermüdet und entkräftet. Wir mussten sie auswechseln und neues Personal bringen.« Die außerordentliche Stresssituation, in der sich die Einsatzkräfte befunden hätten, habe zu vereinzelten Fehlern geführt.
Die Angehörigen von Khadija Khalloufi, die 52 Jahre alt war, als sie bei der Brandkatastrophe ums Leben kam, sind von den Enthüllungen des Abschlussberichts nicht überrascht. Nach sieben Jahren verlangen sie Gerechtigkeit, wie sie in einem BBC-Interview erklärten. »Wenn man hört, dass alles vermeidbar war und sie unehrlich waren, ist man wütend«, sagte Karim, der Bruder der Verstorbenen. »Worauf warten sie noch mit der Anklageerhebung und Strafverfolgung (…)? Warum sollen wir noch weitere drei oder vier oder fünf Jahre auf Gerechtigkeit warten?« Er betonte, vorher könne die Familie nicht einfach weitermachen. »Wenn wir keine Gerechtigkeit bekommen, werden wir die ganze Zeit über Grenfell sprechen«, fügte Khadija Khalloufis Ehemann hinzu. »Wir wollen über die guten Erinnerungen an sie sprechen, aber statt dessen reden wir die ganze Zeit darüber, wie Khadijah verbrannt wurde, wie sie unter diesen Umständen starb.«
Der frühere Chef der Labour-Partei und jetzige unabhängige Abgeordnete Jeremy Corbyn erklärte in einer Rede im Unterhaus am Mittwoch: »Der Grenfell-Bericht bestätigt es offiziell: 72 Menschen starben unnötigerweise aufgrund von Unternehmensbetrug, Deregulierung, Privatisierung, Ignoranz und Verachtung der Arbeiterschaft. Wir werden das niemals vergessen.« Im Interview mit LBC fügte er hinzu: »Die Opfer des Brandes im Grenfell Tower starben aus keinem anderen Grund als der Inkompetenz staatlicher Stellen und der Habgier privater Unternehmen.«
Auch der Labour-Abgeordnete John McDonnell hob hervor: »Bereits 2017 sagte ich, Grenfell sei sozialer Mord. Dafür wurde ich von Politikern aller Seiten und den Medien angegriffen. Der heutige Bericht bestätigt auf tragische Weise, wie recht ich damit hatte. Nun ist es wichtig, dass sofort gehandelt wird, um Gerechtigkeit zu schaffen und gefährdete Menschen zu schützen.«
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