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Aus: Ausgabe vom 06.09.2024, Seite 15 / Feminismus
Demografischer Wandel

Keine Gebärmaschinen

Sinkende Geburtenrate in Japan: Regierung versucht mit allen Mitteln, Japanerinnen aus der Stadt aufs Land zu locken
Von Igor Kusar, Tokio
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Die japanisch Regierung versucht krampfhaft, die Geburtenrate zu erhöhen – bislang ohne Erfolg (Nagoya, 15.5.2020)

Für den scheidenden japanischen Premierminister Kishida Fumio ist es die »gravierendste Krise, der das Land momentan ins Auge blickt«: die sinkende Geburtenrate. Eine Japanerin bekommt statistisch betrachtet nur noch 1,2 Kinder – berechnet für das Jahr 2023. Der Wert ist damit das achte Jahr in Folge gefallen. Nun vergeht kaum ein Monat, ohne dass Lösungen auf den Tisch kommen, die die fallende Rate aufhalten sollen.

Ende August sickerten in die japanischen Medien Meldungen, die Regierung plane, unverheiratete Frauen in der Hauptstadt Tokio zu unterstützen, um sie zwecks Heirat zum Umzug aufs Land zu bewegen. Der Plan solle im kommenden April zu greifen beginnen und für Frauen gelten, die in den zentral gelegenen sogenannten 23 Bezirken von Tokio wohnen oder arbeiten. Die Regierung wolle dafür Gelder bereitstellen, die für Reisen in die Provinz zu Kennenlernevents benutzt werden sollen. Sollte eine Frau sich entscheiden, aufs Land umzuziehen und da zu heiraten, würde sie weitere Gelder erhalten. Die Rede war von bis zu 600.000 Yen (umgerechnet rund 3.700 Euro).

Damit will die zuständige Ministerin für Wiederbelebung der Regionen, Jimi Hanako, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Da in Japan Kinder von unverheirateten Paaren immer noch selten sind, ist die Regierung daran interessiert, die Zahl der Eheschließungen zu erhöhen. Tokio hat die höchste Rate von Singles in Japan: unverheiratete 50jährige etwa machen bei den Männern 32 Prozent, bei den Frauen 24 Prozent aus.

Andererseits ist der Nettozufluss von Frauen in den Großraum Tokio größer als der von Männern. Japanerinnen machen seltener den sogenannten U-Turn, das heißt, sie kehren seltener in die Heimatpräfektur zurück, nachdem sie zwecks Schule, Ausbildung oder Beruf in die Hauptstadt gezogen sind.

Die Entvölkerung der japanischen Provinz ist seit Jahren ein Problem. Das Gefälle zwischen den boomenden Regionen Tokio und Osaka und den zwar idyllischen, aber ökonomisch stillstehenden ländlichen Präfekturen ist groß. Sollte die Zahl der jungen Frauen auf dem Land weiter sinken, wird eine weitere Entvölkerung kaum aufzuhalten sein. Vierzig Prozent der japanischen Gemeinden sind in Gefahr, in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten zu »verschwinden«. Die Regierung hat deshalb 2019 ein Programm aufgegleist, das Paaren mit mindestens einem Kind den Umzug aufs Land bezahlt und sie da weiter unterstützt. 2021 haben immerhin fast 2.400 Japaner diese Möglichkeit genutzt.

Am vergangenen Freitag ist nun bekannt geworden, dass die Regierung ihre »Verkupplungspläne« storniert hat. Zu heftig fielen die Reaktionen in den sozialen Medien aus, wo von einem »patriarchalen Projekt« die Rede war. Ein Interneteintrag lautete: »Kapieren sie es immer noch nicht? Diese Idee stammt von Leuten, die eine Frau nur dann als vollwertig ansehen, wenn sie Kinder hat.«

Die wahren Gründe für die Abwanderung so vieler Japanerinnen aus der Provinz blieben bei diesem Programm völlig auf der Strecke: das große Lohngefälle zwischen Mann und Frau auf dem Lande und eine stereotypische Geschlechterwahrnehmung. Ministerin Jimi sagte auf der Pressekonferenz, sie wolle sich die Stimmen der Zielgruppe anhören und das Programm nochmals überdenken.

Ob dies ein Zeichen für ein Umdenken ist, ist fraglich. Zu viele Pläne gegen eine sinkende Geburtenrate scheitern immer wieder daran, dass die Japanerinnen bloß als Gebärmaschinen betrachtet werden. Dass es stärkere Einschnitte im patriarchalen System und Denken braucht, kommt in den Diskussionen und Programmen zu wenig zur Sprache.

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