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Aus: Ausgabe vom 07.09.2024, Seite 1 / Titel
Deutsche Bahn

WiFi auf Eis

Interner DB-Plan: Digitalisierung von Zugstrecken wird aufgeschoben, um mehr Geld zum Sanieren zu haben. Gute Idee, aber die Bahn dementiert
Von Ralf Wurzbacher
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»Bedenken second« gilt auch bei der Bahn: Gute Ideen werden umgehend begraben

Alles muss digital werden: Schulen, Behörden, Gesundheit, Kirche. »Bits and Bytes« lautet das Credo der neoliberalen Moderne. Nur eine macht nicht mit: die Deutsche Bahn! Nach einem Bericht des Südwestrundfunks (SWR) vom Freitag wolle der Staatskonzern die »Digitalisierung von Zugstrecken in Deutschland stoppen«. Das gehe aus internen Plänen der Netzgesellschaft Infra-GO hervor, deren Existenz die Verkehrsminister der Länder von Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein dem Sender bestätigt haben. Grund dafür ist nicht Ketzerei, sondern ein sehr weltliches Motiv. Die Verantwortlichen hätten festgestellt, dass die neue Stellwerktechnik »zu teuer sein könnte und der Ausbau zu viel Personal binden würde«, zitierte der Sender einen Insider. Kaputte Anlagen wolle man deshalb durch »bewährte Technik der 90er Jahre ersetzen«.

Zurück in die Zukunft also. Volker Wissings (FDP) große Ertüchtigungsstrategie sieht schon ganz am Anfang ziemlich alt aus. Am Dienstag hatte der Bundesverkehrsminister bei der Vorlage eines Siebenpunkteplans noch getönt, die »Bahn muss abliefern«, und angesichts notorischer Unpünktlichkeit »unerträgliche« Zustände gerügt. Bisher galt das European Train Control System (ETCS) stets als der große Heilsbringer, der die Bahn angeblich verlässlicher und in engerer Taktung verkehren lasse. Allerdings ist die Umrüstung extrem teuer. Ein vor drei Wochen bekannt gewordenes Gutachten im Regierungsauftrag beziffert die Gesamtausgaben auf 69 Milliarden Euro. Dabei werde das System nicht vor 2043 flächendeckend einsatzfähig sein, und amortisieren sollen sich die Investitionen erst ab 2064.

Sind den Machern solche Aussichten doch zu schwammig? Wie es heißt, wollten sie die ohnehin arg begrenzten Ressourcen auf die Sanierung des maroden Streckennetzes konzentrieren. Das wäre durchaus vernünftig: ETCS ist in erster Linie eine Sicherheitstechnologie, keine, die per se den Betrieb schneller macht. Mit ihm werden Loks und Triebwägen automatisiert und es wird sanfter gebremst, was die Zugfrequenzen eher verringert. Erfahrungen aus der Schweiz zeigten, »dass die Kapazitäten mit ECTS zwischen zehn und 15 Prozent zurückgehen«, äußerte am Freitag der profilierte Bahn-Kenner Arno Luik gegenüber junge Welt. Und kurze Zugabstände ermögliche auch die herkömmliche Stellwerkstechnik. »Zu glauben, man könne 70.000 rausgerissene Weichen und 7.000 Kilometer demontierte Schienen mit so einem Digitalklimbim kompensieren, ist hirnrissig«, befand der Journalist, für den die Neuigkeit »ausnahmsweise eine gute Nachricht« sei.

ETCS ist seit bald zwei Jahren auf der neuen ICE-Strecke Wendlingen–Ulm im Einsatz und erwies sich dabei wiederholt als störanfällig. Bleibt ein Zug stehen, leitet es andere eigenmächtig um, was erhebliche Verwerfungen im Gesamtbetrieb nach sich ziehen kann. Trotzdem gilt die Technik als Rettungsanker für »Stuttgart 21«. Das Bahn-Projekt ist faktisch ein Kapazitätskiller, und die gängige Stellwerkstechnik ließ sich nicht in die viel zu engen Tunnel einbauen. Aus diesen Beschränkungen erwuchs erst die Idee für den »Digitalen Knoten Stuttgart«. Dessen finale Realisierung steht aber schon länger in Frage, weil auf einer Streichliste der Infra-GO, die zu Jahresbeginn für Schlagzeilen sorgte. Nun gibt es neue davon, aber das Dementi folgte prompt: Der SWR-Bericht »ist falsch«, teilte die DB gestern mit. »Richtig ist: Die Deutsche Bahn hält an der Digitalisierung von Bahnstrecken fest.«

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  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (9. September 2024 um 17:54 Uhr)
    »Digitalklimbim« und das alles verschlingende Stuttgarter »Schwarze Loch«: Ich wette jetzt schon meinen silbernen Vollbart, dass das Digitalisierungsprojekt der DB ein mindestens ebenso großer Erfolg werden wird, wie seinerzeit die Einführung der Autobahn-Maut. Eine Angelegenheit für Experten, wie einen Andy Scheuer. Da kann ja praktisch gar nichts mehr schiefgehen!