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Aus: Ausgabe vom 09.09.2024, Seite 5 / Inland
Schlechte Konkurrenzbedingungen

Bei VW klingelt’s

BRD-Automobilbauer registrieren Krisensymptome. Besonders im Blickpunkt ist der deutsche Branchenriese
Von Klaus Fischer
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Bereits von Kürzungen betroffen: VW-Werk in Zwickau

Deutschlands Wirtschaft schwächelt. Und wenn die Ökonomie schrumpft, trifft das auch die Großen. Wie Volkswagen. Die Zahlen des Urlaubsmonats August – und der zuvor seit längerem beobachtete Trend abwärts – haben die Alarmglocken klingeln lassen. Im vergangenen Monat registrierte das Kraftfahrt-Bundesamt gut 197.000 Neuwagen. Das waren knapp 28 Prozent weniger Neuzulassungen als im Vorjahreszeitraum. Besonders betroffen: reine Elektroautos. Mit 27.000 Neuwagen lag deren Anteil 69 Prozent unter dem Vorjahresniveau.

Plötzlich scheinen Konzerneigner und Management aufgewacht. Der Belegschaft werden unangenehme Maßnahmen angekündigt. Anfang vergangener Woche platzte dann die Bombe. Kürzungen sind angesagt, Werksschließungen und Stellenvernichtung nicht ausgeschlossen. Die Jobgarantie steht ebenfalls zur Disposition.

IG Metall, Betriebsrat und Staat zeigen sich entsetzt. Was merkwürdig klingt, denn deren Spitzenvertreter sitzen im Aufsichtsrat des Konzerns oder gar dessen Präsidium. Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) verlangte lautstark die Wiedereinführung der Kaufprämie für E-Autos. Allerdings steht statt dessen eine Vier­tagewoche in der Diskussion. Gesamtbetriebsratschefin Daniela Cavallo kündigte bei der Betriebsversammlung am Mittwoch »erbitterten Widerstand« gegen mögliche Werksschließungen und Entlassungen an. VW kranke nicht an seinen deutschen Standorten und an den deutschen Personalkosten, sondern daran, »dass der Vorstand seinen Job nicht macht«.

Doch die Volkswagen AG hat weniger ein Managementproblem. Der Megakonzern mit rund 680.000 Beschäftigten und über 330 Milliarden Euro Jahresumsatz leidet aktuell vor allem an der politisch herbeigeführten Verschlechterung der Konkurrenzbedingungen am Standort und einer verpennten Truppe von Hauptanteilseignern wie die Porsche-Piëch-Familie (rund 50 Prozent), das Land Niedersachsen (20 Prozent) und das umtriebige Scheichtum Katar. Die vom Staat ohne materielle Absicherung diktierte Transformation auf nichtfossile Antriebsarten begann spätestens dann negativ zu wirken, als die Bundesregierung und das Parlament Anfang 2022 in den Wirtschaftskrieg gegen Russland einstieg. Die deshalb gestiegenen Preise für Roh- und Brennstoffe und Elektroenergie erschütterten die exportorientierte BRD-Wirtschaft bis ins Mark.

Verschärft wurde dieser Widerspruch zwischen Realität und Politikwunsch zudem von der geringen Marktakzeptanz für »alternative Antriebe«. Laut Handelsblatt lagt 2023 die Zahl der zugelassenen elektrisch getriebenen Pkw weltweit bei 14,8 Millionen Stück. Allein in Deutschland waren zur selben Zeit 48,8 Millionen Pkw zugelassen. Zwar erreichte hier der Anteil neu zugelassener E-Autos 18 Prozent, begann aber nach Ende der staatlichen Subventionierung im selben Jahr einzubrechen.

Der VW-Vorstand reagiert mit marketingorientiertem Aktionismus auf die zunehmend schlechte Profitrate. Die durchschnittliche »Marge« sank im ersten Halbjahr auf 2,3 Prozent. Das ist weit entfernt von Toyota und schlechter als die vom Vorstand als Ziel angegebenen 6,5 Prozent. Von dieser Marge wollen nicht nur die Porsches und Piëchs in Salzburg und die Al Thanis in Khatar ihren Anteil. Auch der Spielraum bei Investitionen wird eng, wenn der Profit gering ausfällt, auch wenn der Gesamtgewinn zuletzt mit knapp 18 Milliarden Euro ausgewiesen worden war. Trotzdem muss Konzernchef Oliver Blume am Transformationskurs festhalten. Neben den Einschnitten und Stilllegungsplänen bekundet er weiter seine unverbrüchliche Treue zu staatlichen Vorgaben. Leitfaden dabei soll »The Group Strategy«, ein Sammelsurium von Wünschen sein, in deren Erfüllung weiterhin Unmengen von Geld fließen sollen. Im Hinterkopf dürften allerdings zunehmend Fluchtpläne ­reifen.

Die Sorgen bei Volkswagen inspirieren auch die Mainstreammedien zu lauten Alarmrufen. So titelte das Handelsblatt »Endspiel um VW«. Aber kaum ein »Qualitätsmedium« wagt sich, die Ursachen zu benennen. Im Gegenteil. Der Spiegel erklärt sogar den ökonomisch querdenkenden Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zum Propheten: Der habe 2019 verkündet: »Wenn Sie 2025 kein E-Mobil für unter 20.000 Euro anbieten, dann werden Sie – so fürchte ich – im Markt scheitern.« Seine Weissagung von damals geht jetzt viral, was Habeck, die Kassandra von Lübeck, sicher mit ein wenig Genugtuung registriert hat.

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  • Leserbrief von Holger (8. September 2024 um 22:56 Uhr)
    Eins wird nirgends in den Medien thematisiert: Da sollen also Millionen E-Autos auf die Straße und keiner will sie kaufen? Zur gleichen Zeit werden chinesische E-Autos mit Strafzöllen belegt, weil deren Produktion angeblich vom Staat subventioniert werde. Ja, was denn nun? E-Mobilität ja, aber nur, wenn der deutsche Käufer bereit ist, ordentlich dafür zu blechen? Und dann plustert sich Gesamtbetriebsratschefin Daniela Cavallo auch noch gegen Werksschließungen auf? Ach ja, die Chinesen kaufen ja auch keine Autos mehr von uns. Warum sollten sie auch? – Kann denn in diesem Laden keiner im Zusammenhang denken? Dann macht doch die VW-Bude endlich zu und lasst die BYDs oder wie sie alle heißen, endlich ins Land! Arbeitsplätze nur um ihrer selbst willen zu retten, ist ja wohl doch zu blöd.
    • Leserbrief von Joachim Seider (9. September 2024 um 13:19 Uhr)
      Strukturwandel ist ein sehr komplexes Problem. »Macht die Bude dicht!« klingt nach schneller Lösung. 26.000 Menschen aus dem Kreis Gifhorn leben heute von dieser »Bude« und pendeln täglich nach Wolfsburg. Ihnen eine Chance zu gegeben hätte bedeutet, weitreichende Entscheidungen für den Strukturwandel schon vor drei Jahrzehnten zu treffen. Die sind des Profits wegen nie getroffen worden. Die bittere Suppe, die da entstanden ist, werden sie auslöffeln müssen. Und nicht die eigentlich Verantwortlichen. Wir sollten bei all unserem Radikalismus auch an die denken, die jetzt das Leben strafen wird, weil die deutsche Politik beständig aufs falsche Pferd gesetzt hat.
      • Leserbrief von Holger (9. September 2024 um 19:44 Uhr)
        Ich hoffe mal, dass von den 26.000 welche clever genug sind, rechtzeitig abzuspringen. Wenn man in so einem Betrieb arbeitet, weiß man doch noch viel besser als die Allgemeinheit, wo es hingeht. Jetzt nur zu sagen: Die bösen Konzernbosse haben es vermasselt und die armen Arbeiter tragen weiterhin ihre Haut zu Markte, ist zu einfach. Mitdenken muss man schon, auch wenn es um Loyalitäten geht. »Macht die Bude dicht«, war vielleicht zu salopp gesagt, aber wenn VW (bzw. auch der Staat mit seiner Politik) das nicht in die Spur kriegt, dann hat der Konzern es vielleicht nicht verdient, zu überleben. Da hilft es auch nicht, sich verzweifelt an seinen Arbeitsplatz zu klammern.