Gegen Recht und Gesetz
Von Helga BaumgartenE’krima Sabri, Mufti und Prediger an der Aqsa-Moschee, hat sich noch nie gescheut, Unrecht klar und furchtlos zu benennen. Er hat immer darauf bestanden, dass die Aqsa-Moschee, der Haram Al-Scharif in Jerusalems Altstadt, den palästinensischen Muslimen gehört. Die bis dato letzte Herausforderung kam von Israels Polizeiminister Itamar Ben-Gvir, einem überführten Rassisten, als dieser am 26. August mit Hunderten jüdisch-israelischen Extremisten in das Gelände eindrang. Vor der israelischen Presse verkündete er, dass jüdische Gläubige dort das Recht zum Gebet und zum Bau einer Synagoge hätten.
Der Widerspruch führender jüdischer Rabbiner und Beiträge in der ultraorthodoxen Presse waren deutlich. Nach den Regeln der Halacha, der rechtlichen Überlieferungen, ist es Juden verboten, den »Tempelberg« zu betreten. Das war auch seit 1967 israelische Politik, wurde aber zuletzt aufgeweicht. E’krima Sabri formulierte in einem Interview auf Al-Dschasira eindringlich seine Position: Al-Aqsa ist ein heiliger Ort für alle Muslime, vor allem für palästinensische. Allein die Idee, dass dies von irgendeiner Seite bestritten werden könnte, ist für ihn ein Anathema.
Bei meinem Besuch in seiner Wohnung in Ostjerusalem am Mittwoch analysierte Sabri den, wie er formulierte, »Angriff« Ben-Gvirs auf Al-Aqsa: Dieser sei davon ausgegangen, dass sich die Palästinenser und die Muslime in einer Situation der Schwäche befänden. Aus seiner vermeintlichen Position der Stärke heraus habe er den Haram Al-Scharif ohne die notwendigen Vertreter der Waqf betreten, der Behörde, die bestehenden Abkommen zufolge für den Bezirk zuständig ist. Er sei als Angreifer gekommen und nicht als Gast, der sich an die Regeln halte. Seine Erklärungen vor der Presse seien in sich widersprüchlich, da er das Gesetz und seine Interpretation göttlichen Gebots zugleich als Rechtfertigung benutzt habe.
Sabri erläuterte die extreme Situation, die den palästinensischen Muslimen durch die israelische Besetzung, insbesondere durch die derzeitige extrem rechte Regierung, aufgezwungen wurde. Gläubige würden immer wieder daran gehindert, das Gelände zum Gebet zu betreten. Inzwischen gibt es eine religiöse Anordnung bzw. Fatwa, dass in diesem Fall das Gebet an der Stelle, an der man am Weitergehen gehindert worden ist, dem Gebet in der Aqsa-Moschee gleichgestellt ist.
Am 2. August hatte E’krima Sabri während des Freitagsgebetes für Ismail Hanija, den in Teheran ermordeten Vorsitzenden des Hamas-Politbüros, gebetet. Die israelische Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Der Mufti war kaum in seiner Wohnung angekommen, als ein Großkommando von Geheimdienst, Polizei und Grenzpolizei dort auffuhr. Er wurde verhaftet und nach Westjerusalem in die Moskobija, das zentrale Jerusalemer Gefängnis, gebracht. Man verhörte ihn, klagte ihn der Unterstützung des Terrorismus und der Aufhetzung an. In einem administrativen Beschluss der Polizei, der schließlich nach fünf Stunden erfolgte, wurde ihm das Betreten des Haram Al-Scharif für sechs Monate verboten.
Die Solidarität, die er erhielt, war überwältigend: Arabische Knesset-Abgeordnete wie Ahmed Al-Tibi und Ayman Odeh, ehemalige Abgeordnete wie Mohammed Barakeh ebenso wie Bürgermeister der palästinensischen Gemeinden in Israel besuchten ihn. Zu den Besuchern gehörte auch Atallah Hanna, Erzbischof von Sebastia im Griechisch-Orthodoxen Patriarchat in Jerusalem. Der algerische Präsident Abdelmadjid Tebboune rief ihn an, gefolgt vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan.
Ich fragte Sabri nach der Reaktion aus Amman – schließlich ist Jordanien mit dem Waqf offiziell für Al-Aqsa zuständig. Der jordanische Außenminister habe Ben-Gvir zwar öffentlich kritisiert, E’krima Sabri aber nicht kontaktiert. »Und wer hat Sie aus Ramallah angerufen?« fragte ich abschließend. E’krima Sabri antwortete mit ironischem Lächeln: »Es scheint, dass die Nachricht dort nicht angekommen ist!«
Dies ist Helga Baumgartens zehnter »Brief aus Jerusalem«. Teil neun über die Organisation Al-Haq erschien in der Ausgabe vom 2./3. September.
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