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Aus: Ausgabe vom 07.09.2024, Seite 6 / Ausland
Frankreich

Schulterschluss mit der Ultrarechten

Frankreichs neuer Premier Barnier ist ein Regierungschef von Le Pens Gnaden.
Von Hansgeorg Hermann
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Scheidender und neuer Premier Frankreichs bei der Übergabezeremonie am Freitag in Paris

Wer ist Michel Barnier, der am Donnerstag neu ernannte Ministerpräsident Frankreichs? Der von Präsident Emmanuel Macron transportierten Legende nach ein »alter Fahrensmann« in bisweilen unruhigen politischen Gewässern: ein halbes Jahrhundert in Paris und Brüssel am Ball, mehrfacher Minister, Abgeordneter und EU-Kommissar, geschickter Diplomat und EU-Wortführer bei den »Brexit«-Gesprächen – einer, den er, Macron, im richtigen Moment an die richtige Stelle gesetzt habe. Die linke Volksfront (Nouveau Front Populaire, NFP), Sieger der von Macron vorgezogenen Parlamentswahl vom 7. Juli, sieht das freilich anders.

Manuel Bompard, einer der Sprecher des Bündnisses, zählte am Freitag beim Nachrichtensender BFM TV auf, wen Barnier am Tag seiner Nominierung tatsächlich repräsentierte: seine bürgerlich-rechten Les Républicains (LR) zum Beispiel. Dabei waren diese bei der Wahl mit nur 46 Sitzen in der 577 Köpfe zählenden Nationalversammlung zur Kleinpartei zusammengeschrumpft. Als Kandidat für die Präsidentschaft war er 2022 bei den parteiinternen Vorwahlen abserviert worden, seine Leute hatten mit Valérie Pécresse lieber eine gestandene Regionalpolitikerin ins Rennen geschickt – und waren dann mit ihr auf 4,8 Prozent der Wählerstimmen abgeschmiert.

Was den Franzosen am Donnerstag vielleicht wie ein schlechter Witz des als völlig humorlos geltenden Staatschefs vorgekommen sein mag, dürfte sich für die sieben Millionen Wähler der Volksfront schnell als ernstes Vorzeichen einer auflebenden politischen Konstellation herausstellen: Dem jüngsten Regierungschef der französischen Geschichte, dem 35 Jahre alten Gabriel Attal – dem ersten zudem, der sich offen zu seiner Homosexualität bekannte –, ließ Macron den ältesten Premier folgen. Einen, der 1981 als junger Abgeordneter und schon damals als hartleibiger Reaktionär gegen die Aufhebung eines uralten Gesetzes gestimmt hatte, das Homosexualität unter Strafe stellte.

Nicht zu vergessen: Barniers Forderung nach einem jahrelangen Migrationsmoratorium, einem strikten Einwanderungsstopp, im November 2021 mit dem Hinweis unterlegt, dass eine ordentliche Regierung die Entscheidung über die Aufnahme von Geflüchteten »nicht Schleusern und Richtern« überlassen dürfe. Ein Wort, das in den Hallen der extremen Rechten offenbar gern gehört und bis heute nicht vergessen wurde. Dass die linke Volksfront sich im Juli mit Barniers Bürgerlichen zu einem Front Républicain verbündet hatte, um eine absolute Mehrheit der Ultrarechten zu verhindern, ist seit Donnerstag Geschichte. Macrons Mann ist ein Premier von Marine Le Pens Gnaden, wie ganz Frankreich inzwischen begriffen hat. Deren Ultras sind, dank Macron, ab sofort eine ganz normale Strömung innerhalb des rechten politischen Sektors der Republik. Den Bossen ist’s recht, wie jüngst beim Unternehmerverband Medef zu hören war.

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