In der Mitte der Gesellschaft
Von Dieter ReinischAbermals wird die Republik Irland von einem sogenannten Missbrauchsskandal in bisher kaum gekanntem Ausmaß heimgesucht. In 308 von religiösen Orden geführten Schulen soll es zu Vorfällen von sexualisierter Gewalt gekommen sein, wie ein neuer Vorbericht ergibt, den Bildungsministerin Norma Foley von der konservativen Partei Fianna Fáil am Mittwoch auf einer Pressekonferenz vorstellte.
Die Schulen, in denen es zu den dokumentierten Übergriffen kam, befinden sich in 22 der insgesamt 26 Grafschaften der Inselrepublik, und sie wurden und werden zum Teil noch von 42 unterschiedlichen religiösen Kongregationen und Orden geführt. Dabei wurden 884 mutmaßliche Täter identifiziert. Die Hälfte von ihnen soll jedoch bereits verstorben sein.
Die Regierung werde nun eine Untersuchungskommission einsetzen, teilte Foley am Mittwoch vor der Presse mit. Sie erwarte, dass es fünf Jahre dauern werde, bis ein Abschlussbericht vorliegt. Die irische Tageszeitung Irish Times vermutet jedoch, es könne viel länger dauern, vor allem bis erste Entschädigungszahlungen ausbezahlt werden.
Die Vorwürfe betreffen sexualisierte und psychische Gewaltanwendung gegenüber Schutzbefohlenen vorwiegend in den 1970er bis 1990er Jahren. Ein großer Teil der Übergriffe wurde an katholischen Lehranstalten und Internaten für Kinder und Jugendliche mit besonderen Benachteiligungen verübt. Aber nicht nur dort. Politikredakteur Pat Leahy betonte im Podcast der Irish Times: »Der Missbrauch wurde auch an den angesehensten Schulen begangen. Er fand nicht am Rande der Gesellschaft statt, sondern in deren Mitte und war wohl für jeden sichtbar.« Viele Betroffene wünschen sich daher nun, dass auch Mitwisser und jene, die Übergriffe vertuschten, von der kommenden Untersuchungskommission identifiziert werden sollen.
Laut Foley sind 2.400 Fälle dokumentiert. Beobachter vermuten, dass mit den undokumentierten Fällen in allen Schulen die Zahl bei weit mehr als 20.000 bis 30.000 liegen könnte: »Das fand nicht nur an religiösen, sondern auch an staatlichen Schulen statt«, betont Leahy. Die Regierung sei gewillt, die Untersuchung auf alle Schulen bis auf die 3.000 Grundschulen auszuweiten, ist aus Regierungskreisen zu vernehmen. Das wären dann zusätzlich 700 Einrichtungen. Aus dem Vorabbericht, den Foley am Mittwoch vorlegte, geht hervor, dass zahlreiche Opfer seitdem psychische Probleme hätten. Vielen sei es unmöglich, soziale Beziehungen zu führen. Sie litten an Alkohol- und Drogenabhängigkeit und würden von Suizidgedanken gequält.
Zu den Übergriffen sei es im Unterricht, in Schlafräumen, bei Sportveranstaltungen und Ausflügen gekommen, führte Ministerin Foley aus: »Es ist das erste Mal, dass das ganze Ausmaß des Missbrauchs dokumentiert ist. Der Umfang der Misshandlungen in den von religiösen Orden geführten Schulen ist schockierend«, sagte die Bildungsministerin am Mittwoch.
Im Gespräch mit Pat Leahy machten die beiden Kommentatoren Jack Horgan-Jones und Harry McGee aber deutlich, dass sich der Staat nicht gänzlich aus der Verantwortung stehlen könne, indem diese einzig auf die katholische Kirche abgeschoben wird: »Viele der mutmaßlichen Täter waren Laien, die als Lehrer oder sonstiges Schulpersonal gearbeitet haben. Außerdem hatte der Staat in den 1970er Jahren bereits klare Befugnisse bei der Kontrolle und Organisation auch der religiösen Schulen.«
Linda Dillon von der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin sagte, die Opfer der sexualisierten Gewalt durch Geistliche hätten Wahrheit und Gerechtigkeit verdient: »Kirchlicher Kindesmissbrauch hat hier verheerende Auswirkungen auf viele Menschen gehabt. Meine Gedanken sind bei allen Opfern dieser schrecklichen Torturen, und ich hoffe, dass sie bald die Gerechtigkeit erfahren, die ihnen zusteht.«
In einer gemeinsamen Stellungnahme versprachen die religiösen Orden volle Kooperation. Sie müssen sich nun auf hohe Entschädigungszahlungen einstellen. Außerdem werden die Untersuchungen strafrechtliche Folgen für die Täter und die Schulleitungen mit sich bringen.
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