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Aus: Ausgabe vom 07.09.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Israelische Wirtschaft

Wirtschaft im Kriegssumpf

Israelische Wirtschaft durch andauernden Krieg gegen Gazas Bevölkerung beschädigt. Investitionen werden eingestellt, Fachkräfte wandern ab
Von Shir Hever
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Es dürfte für Israel »schwer werden, da wieder herauszukommen«, kommentierte die Wirtschaftszeitung The Marker

Israel hat in dem nun elf Monate andauernden Krieg gegen die Bevölkerung in Gaza mehr als 40.000 Zivilisten getötet. Aktuell läuft eine Bodenoperation im Westjordanland, die Tod und Zerstörung in einem bisher nicht bekannten Ausmaß hervorbringt. Während einige dies als Zeichen israelischer Stärke auslegen, warnen selbst israelische Generäle, dass der Krieg verloren sei und die Weigerung, das anzuerkennen, das Ende Israels bedeuten könne. Denn der Krieg und andauernde Genozid in Gaza bedeutet nicht nur eine Krise der israelischen Politik, sondern auch eine Krise der Wirtschaft Israels. Diese »versinkt und gerät in einen Sumpf, aus dem es schwer wird, wieder herauszukommen«, kommentierte The Marker vergangene Woche.

Der offen faschistische Finanzminister Bezalel Smotrich gebe sich laut The Marker aber lieber Eitelkeiten und Hetzereien hin. In den israelischen Haushaltsvehandlungen habe er versucht, ein Rechtsgutachten mit dem Hinweis zu umgehen, dass er im Krieg »keine Zeit habe, sechzehn Seiten realitätsfernen Geschwätzes zu lesen«, berichtete die israelische Wirtschaftszeitung Globes. Derweil sind Investitionen aus dem Ausland nach Israel zusammengebrochen. Der Bausektor liegt ohne die billigen palästinensischen Arbeiter am Boden. Ein großer Teil gut ausgebildeter Fachkräfte verlasse das Land, berichtete etwa Haaretz Ende August. Vergangene Woche versuchte der frühere Ministerpräsident Naftali Bennet sogar in einem öffentlichen Appell, besonders IT-Experten, Wissenschaftler und Akademiker zu überzeugen, Israel noch eine Chance zu geben.

Die Regierung versucht, die Krise herunterzuspielen und verweist auf eine moderat schrumpfende Wirtschaftsleistung und stagnierende Arbeitslosenzahlen. Außerdem bleibe der Wert der israelischen Währung stabil. Großprojekte wie vom US-Chipkonzern Intel werden hervorgehoben. Intel hatte mit 25 Milliarden US-Dollar für eine neue Chipfabrik in Israel die größte ausländische Investition in der Geschichte des Landes angekündigt. Die Pläne von Google, das israelische Technologieunternehmen Wiz für 23 Milliarden US-Dollar zu kaufen, bezeichnete der Sender I-24 News als Zeichen »für die Widerstandsfähigkeit der israelischen Wirtschaft«.

Beide Vorhaben wurden jedoch abgesagt. Zudem zählt die Arbeitslosenstatistik nur jene, die aktiv auf Arbeitssuche sind. Die Hunderttausenden, die aus ihren Häusern evakuiert wurden kommen darin nicht vor. Ebensowenig Reservisten, die nicht in der Lage sind zu arbeiten sowie mehr als 85.000 Menschen, die aufgegeben haben und keine Arbeit mehr suchen. Gleichzeitig hält die israelische Zentralbank die Landeswährung Schekel über Wasser und stößt Devisen in Höhe von mehr als 30 Milliarden US-Dollar ab, um zu verhindern, dass sich Panik ausbreitet.

Die Darstellung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist verzerrt, nicht nur wegen der ungeheuren Mengen an Waffen und Munition, die das israelische Militär hauptsächlich gegen Zivilisten einsetzt. Denn mit Ausnahme der Rüstungsindustrie ist Israels Wirtschaft schlichtweg lahmgelegt. Zwar stieg der Privatkonsum der Haushalte im zweiten Quartel 2024 im Vergleich zum ersten um zwölf Prozent, nach einem Wachstum von 23,5 Prozent im ersten Quartal. Doch am stärksten sei der Konsum außerhalb Israels gewachsen: Im deutlich schwächeren Binnenmarkt dürfte das Wachstum zudem hauptsächlich auf staatliche Transferleistungen an Evakuierte und Reservisten zurückgehen, bemerkte The Marker.

Jede Familie, die aus den gefährlichen Gebieten im Norden oder Süden Israels flieht und in einem Hotel übernachten muss, trägt zum BIP bei. Auch, dass sie weiterhin für ihre jetzt leere Wohnung zahlt. Die Panikkäufe von Konserven, Wasser, Benzin und Generatoren, die auf einen verheerenden Krieg vorbereiten sollen, tun das auch. Die Wirtschaftsleistung ging seit Kriegsbeginn pro Kopf um 3,5 Prozent zurück und liegt aktuell rund fünf Prozent unter der prognostizierten Wachstumsrate für das Gesamtjahr.

Während Israel in den Krisen der 1950er und 1960er Jahre noch drastische staatliche Interventionen zur Erholung der Wirtschaft mobilisieren konnte, sind die zivilen Ausgaben heute minimal. Ein solches Sicherheitsnetz existiert nicht mehr. Auch wenn regierungstreue Richter den Generalstreik zum Wochenbeginn auflösten: Den öffentlichen Vertrauensverlust in die Zukunft des zionistischen Projekts können sie nicht heilen.

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