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Aus: Ausgabe vom 07.09.2024, Seite 10 / Feuilleton
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»Die Glut schwelt weiter«

Über ein Konzert zu Ehren Víctor Jaras, internationale Solidarität heute und eine CD-Release-Party in der jW-Maigalerie. Ein Gespräch mit Tobias Thiele
Von Von Hagen Bonn
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Víctor Jara (28.9.1932–16.9.1973)

Chile, 16. September 1973. Die sich an die Macht geputscht habenden Faschisten ermorden den chilenischen Sänger und Kommunisten Víctor Jara. 50 Jahre später kommen Künstlerinnen und Künstler verschiedener musikalischer Stile im Berliner Kino Babylon zusammen und geben ein Konzert zu Ehren Víctor Jaras. Wie kam es, dass Sie den Abend moderierten, und welche Beziehung hegen Sie zu Chile?

Mein Vater, Reinhard Thiele, gründete Anfang der 90er Jahre die Solidaritätsorganisation »Cuba Sí«. Bereits als Kind lernte ich Lautaro kennen, der mit seinem chilenischen Kulturverein »El Cultrún e. V.«, Sitz Berlin, bis heute Veranstaltungen organisiert. Über die Musik und Poesie, zahlreiche Kuba-Reisen und mein späteres Spanischstudium setzte ich mich mit der Geschichte und Kultur Südamerikas auseinander. 2016 heiratete ich in Chile meine Frau Aruma Itzamaray, und zusammen gründeten wir das Duo Yarawi, das bei zahlreichen Veranstaltungen das neue lateinamerikanische Lied »La Nueva Canción« verbreitet. Zusammen mit dem Schauspieler Rolf Becker führten wir mehrfach das Programm »Neruda und sein Lateinamerika« auf. Als es hieß, die junge Welt wolle eine Hommage für Víctor Jara organisieren, waren wir sofort dabei und unterstützten das Vorhaben mit großem Vergnügen.

Ihre Frau und Duopartnerin Aruma Itzamaray wurde 1971 in Chile geboren und wuchs während der Militärdiktatur auf. Wie ist ihre Beziehung zur »Nueva Canción Chilena«?

Aruma wuchs in einer kommunistischen Familie auf und hörte zu Hause heimlich mit ihren Geschwistern überspielte Kassetten von Inti-Illimani, Quilapayún, Silvio Rodríguez und eben Víctor Jara. Da diese Art von Musik zu jener Zeit verboten war, waren Raubkopien die einzige Möglichkeit, sie hören zu können. Mit 15 Jahren trat sie bereits mit ihrem Bruder an der Gitarre auf und sang bei kirchlichen Veranstaltungen Lieder der »Nueva Canción«.

Was weckte Ihr Interesse an Lateinamerika und speziell Kuba, und was sind Ihre aktuellen Projekte?

Die Solidaritätsarbeit, die mein Vater mit »Cuba Sí« initiierte, prägt mein Leben, seit ich denken kann. Ob Infostände, Diskussionen und Veranstaltungen in Deutschland oder Landwirtschaftsprojekte direkt auf Kuba, die praktische politische Arbeit war immer Teil meines Lebens. In wenigen Wochen werde ich wieder eine »Cuba Sí«-Brigade in der zentralkubanischen Stadt Sancti Spíritus leiten. Schon seit meiner Kindheit reise ich regelmäßig auf die Insel, ich besuchte auch Chile, Peru, Mexiko und Jamaika. Trotzdem, Kuba birgt für mich einen ganz besonderen Charme. Die Kultur des Miteinanders dort ist einzigartig – und das trotz und wegen der Schwierigkeiten, welche die verbrecherische US-Blockade gegen Kuba mit sich bringt. Im Anschluss an diese »Cuba Sí«-Brigade geht es sogleich an die Planung für die Biennale in Havanna ab dem 15. November. Zusammen mit Monika Ehrhardt Lakomy wollen wir die Teilnahme internationaler, in Deutschland lebender Künstler organisieren. Außerdem wollen wir das Hörspiel »Der Traumzauberbaum«, von dem wir unlängst eine spanische Fassung produziert haben, in kubanischen Schulen und Kindertheatern präsentieren. Vielleicht gelingt es uns dabei, spanischsprachige Verlage zu finden, die uns unterstützen, das Hörspiel herauszubringen.

1990, im Jahr der sogenannten Wiedervereinigung Deutschlands, wurde Chiles Diktator Augusto Pinochet bei freien Wahlen als Staatspräsident abgelöst, und es begann ein Prozess der Demokratisierung. Sie sind ja »Kundschafter des Liedes«. Wo steht Chile heute aus Ihrer Sicht?

Die Demokratisierung Chiles in den 90er Jahren begann schleppend, Pinochet war weiter oberster Militärchef und blieb bis zu seinem Tod straffrei. Erst nach breiten sozialen Unruhen ab 2019 gab es ernsthafte Bemühungen, die aus der Diktatur stammende Verfassung von 1980 zu ersetzen. Diese scheiterten bisher. Die Kampflinie gegen den Neoliberalismus – das Bildungs-, Gesundheits- und Rentensystem sind in Chile weitgehend privatisiert – steht weiter offen. Leider haben sich Hoffnungen, die sich mit dem jüngsten Präsidenten der Geschichte Chiles, Gabriel Boric, bildeten, nicht bestätigt. Die Verfassung ist die alte, und der junge Boric ist nur ein weiterer Handlanger der Finanzoli­garchie. Er steht auch prinzipiell den revolutionären Prozessen in Südamerika kritisch gegenüber. Aber die Hoffnung bleibt, dass die vergangenen Proteste eine Glut entfacht haben, die weiter schwelt und jederzeit wieder aufflammen kann.

Sänger und Liedermacher Tobias ­Thiele bildet mit seiner Ehefrau Aruma ­Itzamaray das Duo Yarawi

Interview: Hagen Bonn

CD-Release-Party: »Es lebe der Genosse Jara!«, Donnerstag, 12. September 2024, 19 Uhr, Beginn: 19 Uhr, Einlass ab 18.30 Uhr, Eintritt: Zehn Euro (Ermäßigt: Fünf Euro).

Um Anmeldung wird gebeten: 0 30/53 63 55-54 oder maigalerie@jungewelt.de

Doppel-CD »Es lebe der Genosse Jara!« im junge Welt-Shop: www.jungewelt-shop.de/CD-Es-lebe-der-Genosse-Jara

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