»Der Führer ist tot«
Von Sabine LuekenIn Berliner U-Bahnhöfen, an Litfaßsäulen und Bushaltestellen sind zur Zeit großformatige Porträtaufnahmen von Frauen plakatiert, sogar an der Fassade des ehemaligen Bendlerblocks in der Stauffenbergstraße, wo die Gedenkstätte Deutscher Widerstand beheimatet ist: Frauen, die Widerstand gegen das Naziregime geleistet haben. Sie wurden bisher viel zu wenig bekannt und gewürdigt. Das fand 2019 auch der Bundestag und finanzierte seit 2020 dieses Projekt. Mehr als 5.000 Frauen hat das Forscherinnenteam inzwischen ermittelt, etwa 600 wurden wegen ihrer Taten zu Haftstrafen verurteilt, etwa 300 hingerichtet. Die Ausstellung stellt 32 von ihnen vor und beleuchtet ihre Herkunft aus verschiedenen Milieus.
Als Gedenkstätte Deutscher Widerstand für die Ausstellung mit einer Frau in US-amerikanischer Uniform zu werben, das ginge ja wohl gar nicht, beschwerte sich ein Anrufer bei ihrem Leiter Johannes Tuchel. Aber Marlene Dietrich (1901–1992) habe »nun mal das, was sich in Deutschland abspielte, nicht gutgeheißen«. Sie tat vielmehr alles, was sie konnte, um zum Sieg über die Nazis beizutragen. »Zwei Lastwagen und ein paar Bretter – die beste Bühne aller Zeiten«, schrieb sie auf ein Foto, das bei einem Auftritt vor US-Soldaten 1944 in Anzio, Italien, entstand.
Frauen trugen den Umsturzversuch des 20. Juli 1944 mit, obwohl die Nazis sich das nicht vorstellen konnten. Erika von Tresckow (1904–1974) überbrachte Nachrichten und tippte auf ihrer Reiseschreibmaschine zusammen mit ihrer Freundin Margarete von Oven (1904–1991) Reinschriften der Befehle der Operation »Walküre«, beginnend mit den Worten »Der Führer ist tot«. Nachdem ihr Mann Suizid begangen hatte, wurde Erika von Tresckow am 15. August 1944 verhaftet, konnte aber glaubhaft machen, dass sie von den Umsturzplänen nichts gewusst habe. Im Oktober 1944 wurde sie aus dem Berliner Gerichtsgefängnis in der Kantstraße entlassen.
Die Kinderpflegerin Irma Götze (1912–1980) war in der anarchosyndikalistischen FAUD aktiv und gehörte zu den sogenannten Leipziger Meuten. Sie beteiligte sich an der Herstellung verbotener Schriften und an Kurierfahrten in die Tschechoslowakei, wie ihre Mutter, Anna Götze (1875–1958), deren Wohnung als heimlicher Treffpunkt der Leipziger FAUD diente. 1936 floh Irma Götze nach Barcelona, nahm am Spanischen Krieg teil, half bei der Verwundetenversorgung und beim Barrikadenbau. Sie wurde 1937 von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet, 1938 freigelassen und in Frankreich als »feindliche Ausländerin« in mehrere Lager verschleppt. 1941 geriet sie in die Fänge der Gestapo, wurde zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt, danach ins KZ Ravensbrück »entlassen«. Dort traf sie ihre Mutter wieder, beiden Frauen gelang auf einem Todesmarsch die Flucht.
Als »Volksschädling« wegen »Landfriedensbruch und Plündern« wurde die Hausfrau Margarete Elchlepp (1899–1945) noch am 7. April 1945 von einem Standgericht zum Tode verurteilt und in derselben Nacht hingerichtet. Darüber informierte zur Abschreckung vor weiteren Aufständen ein Plakat. Elchlepp hatte mit mehr als 200 anderen eine Bäckerei in Berlin-Rahnsdorf gestürmt, weil vom NSDAP-Ortsgruppenleiter Brotmarken nur an NSDAP-Mitglieder ausgegeben worden waren.
Die Schülerin Liane Berkowitz (1923–1943) beteiligte sich an einer Zettelklebeaktion der »Roten Kapelle«. Nachdem diese enttarnt worden war, wurde sie inhaftiert und am 5. August 1943 in Plötzensee ermordet. Ihre in der Haft geborene Tochter Irena wurde möglicherweise im Krankenhaus Eberswalde Opfer einer Krankenmordaktion. Die Grafikerin Elisabeth Schumacher (1904–1942), ebenfalls »Rote Kapelle«, fälschte Pässe, verhalf Juden zur Flucht und versteckte den sowjetischen Agenten Albert Hößler. Auch sie wurde zum Tode verurteilt und am 22. Dezember 1942 ermordet. Die Gewerkschafterin Käthe Kern (1900–1985) arbeitete ab 1934 eng mit Wilhelm Leuschner zusammen und half bei der Vernetzung mehrerer hundert Menschen aus gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Zusammenhängen. Sie blieb nach 1945 in Ostberlin, war Mitglied der Volkskammer und aktiv in der Frauenpolitik. Über diese drei sowie die Jugendpflegerin Rose Schlösinger (»Rote Kapelle«, 1907–1943) sind im Rahmen des Projekts ausführliche Biographien im Lukas-Verlag erschienen, weitere sollen folgen.
Warum sind die meisten dieser Frauen bisher weitgehend unbekannt? Viele fanden das, was sie geleistet hatten, nicht so wichtig, schwiegen über ihre Taten. In der frühen Bundesrepublik kannte man Sophie Scholl, nicht aber Cato Bontjes van Beek, die Widerstandskämpfer des 20. Juli galten als Verräter. »Was wollen Sie mit zehn alten Frauen?« fragte man die Regisseurin Irmgard von zur Mühlen noch 1985, als sie ihren Film über die »Frauen des 20. Juli« westdeutschen Fernsehsendern anbot. Erst als der Film in der DDR im Fernsehen gezeigt worden war und dort den »Goldenen Lorbeer« gewann, kam er auch in die Bundesrepublik. Das Thema kommunistischer Widerstand und »Rote Kapelle« ist noch heute ein Minenfeld.
Frauen waren in gewerkschaftlichen Netzwerken aktiv, sie hörten »Feindsender« und verbreiteten Informationen aus dem Ausland, verschickten regimekritische Postkarten wie Elise Hampel (1903–1943). Sie wehrten sich als »Swing Girls« gegen die Gleichschaltung der Jugend – wie Inga (1920–1995) und Jutta Madlung (1921–2000). Die Schwestern zeigten sich weiter mit ihren jüdischen Freundinnen, kamen 1942 ins KZ Ravensbrück. Dort machten sie den Mitgefangenen in ihrer Baracke Mut, sangen weiter Swingtitel. Beide trugen durch die Zwangsarbeit im KZ schwere gesundheitliche Schäden davon. Es gab Quäkerinnen, die Juden versteckten, wie Elisabeth Abegg, lesbische Paare, die gegen rigide Moralvorstellungen opponierten, Sozialdemokratinnen und Kommunistinnen, die weiter aktiv waren und ihre Überzeugungen nicht aufgeben wollten.
Spezifisch weibliche Motive für den Widerstand gab es nicht. Frauen hatten andere Handlungsspielräume als Männer, sie versteckten und versorgten verfolgte Menschen, verhalfen ihnen zur Flucht, leisteten Kurierdienste, alles, was sich in den Alltag integrieren ließ.
»Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus« – Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Bis 3. November 2024. Der Katalog kostet zehn Euro.
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Leserbrief von Gerd-Rolf Rosenberger aus Bremen (9. September 2024 um 13:30 Uhr)Luise Otten-Röhrs, 1912 geboren, als Luftwaffenhelferin auch in der Küche eingesetzt, sagte gegenüber ihren Kolleginnen am 21. Juli 1944: »Schade, dass es mit dem Attentat auf Hitler nicht klappte, dann hätten wir endlich Frieden!« Denunziert wurde sie zum Tode verurteilt, knapp drei Monate später begnadigt zu zehn Jahren Zuchthaus. Im Mai 1945 nach der Befreiung aus dem Zuchthaus entlassen. Ein schweres Leben danach. Ein Antrag auf Wiedergutmachung wurde abgelehnt, ihr Widerstand von den Bremer (!) Behörden nicht anerkannt mit der Begründung, das Urteil wäre rechtens gewesen. Erst nach langem Kampf erhielt sie 1991 eine kleine Rente von 400 DM. Sie arbeitete aktiv in der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz als stellvertretende Vorsitzende unter Ludwig Baumann. Luise erkrankte im Jahr 2000 schwer und beging im Alter von 87 Jahren Selbstmord. Von friedensbewegten Menschen nicht vergessen, wurde 2022 in Bremen-Rekum ein Stolperstein gelegt, der regelmäßig geputzt wird. Bei der feierlichen Verlegung war nicht ein Ortsamtsbeiratsmitglied anwesend, auch zwei Landtagsabgeordnete von SPD und CDU fehlten, alle ohne Entschuldigung. Luise Otten-Röhrs wird nun ein zweites Mal bestraft. Im neuen Dillener Quartier in Bremen-Rönnebeck war eine »Luise Otten-Röhrs Straße« fest eingeplant, ein (Gegen)Antrag der CDU Fraktion machte das zunichte. Mit allen Stimmen von CDU, SPD und Grüne stimmten die Abgeordneten für eine Straße »Zur Drachenwiese«, weil vermeintlich früher Kinder und Jugendliche dort ihre Drachen steigen ließen. Eine Verhöhnung des antifaschistischen Widerstandes! Neben der FDP war es die CDU Fraktion, die nach September 1949 bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages die meisten Nazifaschisten in ihren Reihen sitzen hatten. Unvergessen das schöne Gedicht von Luise »Willst Du sterben oder leben?«, in der Zuchthaushaft geschrieben.
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