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Aus: Ausgabe vom 07.09.2024, Seite 12 / Thema
Literatur

Die Wandlung der Wandlung

Das Motiv der Metamorphose in Mythos, Dichtung und Film
Von Felix Bartels
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Selbstmördern blüht in Dantes »Inferno« ein Tod als Baum (Illustration von Gustave Doré, 1861)

Oh, sagte Herr K, und erbleichte. Aber es ist doch wahr. Jeder ändert sich, muss sich ändern. Dass man anders wird, scheint die einzige Konstante im Leben. So tief, so banal. Aber vielleicht haben Verwandlungen deswegen eine solche Bedeutung in den Geschichten, die wir einander erzählen. So banal, so tief.

Die Vorstellung von Verwandlung tastet was an in uns. Den Wunsch, ein Anderer zu sein. Die Macht, das Leben zu ändern. Das Bedürfnis, sich der eigenen Vergangenheit zu entledigen. Einmal die Sau rauszulassen. Über den eigenen Standpunkt hinauszuwachsen. Die angstvoll elementare Erinnerung, dass kaum was von Dauer ist. Das Eigene im Anderen zu entdecken. Aus all dem musste im poetischen Spiel der Gedanke gestaltlicher Verwandlung entstehen, in dem Lust und Angst zugleich verarbeitet werden. Selbst die Wissenschaft wird geradezu poetisch. Ontogenetisch verkörpert Metamorphose ein Moment von Reifung, des Umschlags von Quantität in Qualität, was archaisch-konzis in Eric Carles »Raupe Nimmersatt« veranschaulicht ist. Biologisch verbinden wir mit der Metamorphose nie Zerfall, obwohl das technisch keinen Unterschied zur Reifung macht. Der Weg hinauf und der hinab, sagt Heraklit, sind ein und derselbe. Seltsam, dass sich das in Mythos und Literatur ziemlich verkehrt. Hier ist Metamorphose allzu meist ein negatives, letales, regressives, wenigstens unerfreuliches Ereignis. Oder was zwischen Hybris und Hamartia, das Bestrafung heischt.

Ich möchte fünf Fragen stellen, die den amorphen Haufen poetischer Metamorphosen in einen zumindest etwas geordneten verwandeln.

Wann?

Da wäre zunächst die nach der Dauer. Es gibt zeitweilige Metamorphosen, endgültige und zyklische. Die ersten beiden ließen sich als einmalige zusammenfassen. Da Verwandlungen im Mythos oft der Bestrafung dienen, ist eine Rückverwandlung in den narrativen Mechanismen angelegt. Es gehört ja zum Storytelling, dass ein Zustand der Unordnung wieder in Ordnung gebracht werden muss. Zwerg Nase wäre ein Beispiel, Kalif Storch, das Tier aus »Die Schöne und das Biest«, die Männer des Odysseus bei Kirke, Teiresias, der ein paar Jahre im Körper einer Frau leben muss, der Knabe im Märchen vom Machandelboom, die sechs Schwäne oder Zettel im »Sommernachtstraum«. Wo der Strafcharakter vorderhand fehlt und, wie bei Zettel und Kirke, Lust im Spiel liegt, besorgen Magie oder Fluch eine ähnliche Struktur.

Die Verwandlung dagegen steht, als Strafe oder Katastrophe, fast zwingend am Schluss der Handlung. Sie folgt aus dem Verhalten der Figur. Das Endgültige kann darin bestehen, dass man für immer verwandelt bleibt, oder darin, infolge der Verwandlung den Tod zu finden. Dieses Muster herrscht in den ältesten Überlieferungen vor. Lots Weib, Atlas, Aktaion, Niobe, Prokne, Tereus, Marsyas, Arethusa – im Mythos scheint die endgültige Metamorphose die Regel und die zeitweilige die Ausnahme.

Seltener und jünger ist die zyklische. Der Werwolf zählt hier rein, desgleichen Graf Dracula, Mr. Hyde oder der Hulk. Der Zyklus ist als Metapher besonders dann brauchbar, wenn man sich weniger für den Charakter der einzelnen Tat interessiert als für den Charakter der Figur selbst. Das erklärt das stärkere Vorkommen der zyklischen Metamorphose in moderneren Literaturen, wo das Subjekt zunehmend in den Mittelpunkt rückt. Die regelmäßige Verwandlung eines Subjekts steht für eine unterdrückte Seite, die als vollständige Gegenpersönlichkeit ausbricht. Ein antizyklisches Moment in der Gruppe der zyklischen Wandler setzt Peter Hacks mit Meta Morfoss, sie kann sich in alles Mögliche verwandeln und erleidet die Metamorphose nicht. Nicht worin sie sich verwandelt, macht ihr Wesen, sondern die Fähigkeit zur Wandlung selbst.

Warum?

Die zweite Frage wurde schon angedeutet, die nach dem Grund. Verwandlungen können freiwillig sein oder Zufall oder Strafe. Unter die Zufälle rechnet auch der Unfall. Besonders das Comicgenre arbeitet damit. Spiderman wird von einer Spinne gebissen, Electro überlebt einen Blitzschlag, Dr. Manhattan war Strahlung ausgesetzt usw. Der Zufall ist deswegen probat, weil Comics oftmals von der zweiten Chance handeln. Das Tun ist im Charakter bereits angelegt, die Verwandlung ermöglicht es. Protagonisten bessern die Welt, Antagonisten üben Rache oder verschaffen narzisstischer Kränkung Abhilfe.

Dagegen dominiert in Mythos und älterer Literatur Verwandlung als Strafe oder Fluch. Die Figur hat in irgendeiner Form Schuld auf sich geladen und muss darum ein Leben in anderer Gestalt führen. Im Mythos etwa Lykaon, Kallisto, Niobe, Teiresias, Midas, Atalante, Lots Weib, Wega und Altair. Im Märchen Iwan der Bär, Froschkönig usf. Auch die neuzeitliche Literatur gibt Beispiele, und oft hat die Strafe Talionsform, reproduziert den Frevel charakteristisch. In Hauffs »Zwerg Nase« verspottet Jakob eine Hexe für ihr Aussehen, sie macht ihn dafür ebenfalls hässlich. In H.G. Wells »Der Unsichtbare« fordert Dr. Griffin die Physik heraus, er will zeitweilig unsichtbar sein und muss es dann bleiben. In »Die sieben Raben« ist die Strafe doppelt, die Söhne werden bestraft vom Vater, und der mit dem Verlust der Söhne, indem sein leichtfertig dahingefluchter Wunsch in Erfüllung geht. In »Frau Holle« entsprechen Gold und Pech dem Verhalten der beiden Mädchen. In Martin Karaus »Der Panther im Paradies« nimmt das Raubtier äußere Ähnlichkeit mit seiner je letzten Beute an. Des Panthers Mahl wird zum Mal.

Naturgemäß findet man Metamorphosen in Dantes »Göttlicher Komödie«, auch hier als Talionsstrafe. Über Selbstmörder heißt es: »denn niemandem gebührt, was er sich selbst nahm«, die Propheten gehen mit nach hinten verdrehten Köpfen, nur noch das Vergangene sehend, und der Zwietracht stiftende Mohammed büßt am eigenen Leib, indem er selbst gespalten wird. Der Film »The Lobster« stellt eine Hölle auf Erden vor, ein im Wortsinn paradiesisches Setting, einen Garten nämlich. Menschen, die Single geblieben sind, werden in Tiere verwandelt. Unbotmäßiger Eigensinn wird mit Verbannung in die Natur bestraft – in jenes Reich also, das keine Freiheit kennt. Indessen kann ein Fluch auch ohne Strafcharakter handfest werden. Rein erzählerisch wie in »Schneeweißchen und Rosenrot« und bei Paul Maars Herrn Martin oder programmatisch wie bei Gregor Samsa, in dem Kafka seinen Fatalismus ohne Fatum erzählt. Ursachentiere, die wir nach Lichtenberg sind, wollen wir für alles eine Erklärung haben. Vielleicht ist genau das die Sünde, die Kafka bestraft.

Bei Fluch und Zufall passiert die Verwandlung unfreiwillig. Meta Morfoss wandelt sich aus freien Stücken, wenngleich sie ihrem Trieb folgt, bewusst und habituell. Ein möglicher Konflikt zwischen Selbstanspruch und Triebstruktur wurde von Hacks erkennbar aus dem Spiel gehalten, Meta bereut nichts. Wo Metamorphose indes als Strafe auftritt, ist die ihr innewohnende Kraft beschnitten. Die Möglichkeit, sich durch Erfahrung zu bereichern, durch Perspektivwechsel eigene Borniertheit zu erkennen, ist in Geschichten mit Strafverwandlung gelegentlich umgesetzt, doch als Demut, die aus Demütigung folgt. Iwan und Jakob wurden erwähnt, auch Nils Holgersson fällt, von einem Wichtel zum Wichtel verzaubert, hier rein. Handlungen werden da in ihrer Moral zu durchschaubar. Immerhin lernt Hauffs Jakob als hässlicher Zwerg nicht allein Demut, er erhält herausragende Fähigkeiten als Koch, seine Charakterbildung ist nicht bloß destruktiv vermittelt. In unseren Niederlagen verstecken sich unsere Siege.

Ebenfalls von Interesse sind eher ambivalente denn dialektische Gestaltungen, bei denen die Strafe nicht eindeutig ist. Mo Yans »Der Überdruss« zeigt Metamorphose als Wechsel der Perspektive und zugleich als Strafe, für Selbstgerechtigkeit des Protagonisten nämlich. Doch Ximen Nao bleibt durch die Wandlungen hindurch innerlich derselbe. So gerät die Geschichte zur Parabel gegen die Illusion der Kulturrevolution, mittels Erniedrigung und Terror bessere Menschen generieren zu können.

Wer wen?

Sichverwandeln oder Verwandeltwerden? Gewollt oder ungewollt? Die Fragen gehen nicht ganz ineinander auf – das Aktive im Gewollten nicht, das Passive nicht im Ungewollten –, in der erzählerischen Praxis allerdings decken sie sich meist. Es ist schwer gestaltbar, dass eine Figur die Fähigkeit zur Wandlung aktiv nutzen soll, ohne einen Willen dazu zu haben. Und es hätte wenig Sinn, eine Figur unter ihrem Verwandeltwordensein nicht in irgendeiner Weise leiden zu lassen. Das Aktive erleidender Figuren besteht in kaum mehr als darin, ein Gegenmittel zu finden, nächsthin vielleicht noch darin, dem nachteilhaften Zustand ein paar Vorzüge abzugewinnen.

Anders bei zyklischen Verwandlungen. Sie beruhen zwar oft nicht auf Entscheidungen, drücken jedoch ein Inneres aus. Im Fall der Werwölfe etwa treffen Aktivität und Unfreiwilligkeit zusammen. Der Betroffene ist dem Wechsel ausgeliefert, landet dort aber aus sich heraus. Souveräner sind frei-wiederholende Wandler, etwa die Animagus-Figuren der Harry-Potter-Romane (Sirius, Minerva, Peter Pettigrew) oder Miss Peregrine in »Die Insel der besonderen Kinder«. Sie tragen das Tier in sich, entscheiden aber über Ort, Zeitpunkt und Dauer der Verwandlung. Der Hase aus Schwitters »Geschichte vom Hasen« verwandelt sich dagegen nach freiem Willen in alles Mögliche, wenn auch aus Unzufriedenheit und nicht wie Meta Morfoss spielerisch. Der Popanz aus Tiecks »Gestiefeltem Kater« agiert ebenfalls freiwillig, der Stolz darauf führt zu seinem Tod. Die Sage vom Kachi-kachi Yama, in der Tanuki für die grausame Nutzung seiner Gestaltwandlung von einem schlauen Hasen gefoltert und durch Unterlassung getötet wird, ist in der Anlage ähnlich. Ebenso Dr. Griffin aus »Der Unsichtbare«. Er nutzt die Unsichtbarkeit für Verbrechen und wird deswegen umgebracht. Die Metamorphose ist hier nicht ausgeführte Strafe, sie ruft die Strafe hervor. Wo Verwandlung aktiv und Fähigkeit wird, kann sie selbst die Strafe nicht sein. So kommt in verblüffend vielen Erzählungen Strafe, die am Anfang fehlt, am Ende ins Spiel. Und das hat Ordnung. Freies und souveränes Handeln scheint neben Bewunderung immer auch Neid und Angst hervorzurufen. Als Provokation des volkstümlichen Gemüts sind sie besonders in kollektiv gebildeten Genres (Mythen und Märchen) präsent. Hybris, das ist die Rache des kleinen Mannes in poetischer Gestalt.

Womit wir bei Dorian Gray wären, als Sonderfall negativer Metamorphose. Seine wirkliche Änderung, das Altern, wird im Spiegelbild festgehalten, damit sein Körper nicht altert. Auch hier scheint die Metamorphose selbst der Frevel. Nichtaltern ist ein Spezialfall der Verjüngung. Goethes Faust vollzieht sie simpel durch Einnahme eines Mittels und sie dient dem Doktor lediglich dazu, sich der schöpferischen Resignation zu entziehen und in den Sturm und Drang zu regredieren. Die Verjüngung von Fitzgeralds Benjamin Button ist dagegen ein permanenter, für sich selbst bedeutsamer Prozess. Obgleich technisch nichts anderes, taugt die Verjüngung, anders als das gewöhnliche Altern, zur Metapher. Wie jeder Mensch hat Button am Beginn seines Lebens den ganzen Reichtum desselben noch vor sich, als Greis geboren wird bei ihm das Ergebnis eines langen Lebens zur fasslichen Gestalt. Wir sehen das Mögliche verkörperlicht. Mit jeder Stunde verzehrt er die ihm zur Verfügung stehende Lebenszeit: Jeder weitere wirkliche Tag mehr ist ein weiterer möglicher Tag weniger.

Aktive Wandler sind selbstverständlich die Götter. Odysseus wird von Athene in einen Bettler verwandelt, Athene verwandelt sich in Mentor. Wie Zeus sich in Amphitryon kleidet, um Alkmene zu verführen, und wie Gott mit Jakob ringt, den er nicht besiegen kann, solange er menschliche Gestalt behält. Der zu menschlichen Taten herunterkommende Gott lässt sich als Inversion des menschlichen Anspruchs verstehen, mehr als menschliche Taten zu vollbringen. Das Hinauswachsen übers Menschliche gehört von jeher zum Menschlichen, in poetischen Welten, worin keine Götter vorkommen, scheint diese Position schwerer besetzt werden zu können. In den X-Men-Comics, wo die Mutanten wie göttergleich unter den Menschen leben, ist die Formwandlerin Mystique lediglich ambivalent, Lautréamonts Maldoror nutzt seine Fähigkeit im Kampf gegen Gott und die, die an ihn glauben, ganz destruktiv. Interessanter ist da schon die Einsamkeit Odos, jenes Konstablers aus »Deep Space Nine«. Er lebt als genuiner Formwandler unter Menschen, sein göttlicher Status (man verehrt sein Volk auf der anderen Seite des Wurmlochs entsprechend) ist kontaminiert. Bei seinem Volk gilt er als Problemfall. Jahrtausende verfolgt, haben die Formwandler sich die anderen Lebewesen unterworfen und führen nun ein Regime der eigenen Angst. Die Erfahrung des Zusammenlebens mit den nicht-göttlichen Gestalten haben Odo aber zu einem besseren Gott gemacht.

Wie weit?

Die vierte Frage wäre die nach der Intensität der Verwandlung. Geschieht sie bloß äußerlich oder auch innerlich? Begriffsgeschichtlich ist eine Metamorphose die Veränderung der äußerlichen Gestalt. Sie kann von einer innerlichen Wandlung (Disposition, Sentiment, Erkenntnishöhe, Fähigkeiten) begleitet sein, muss das aber nicht. Die Literatur hat beides, den Sichwandelnden, der sein Inneres mitverwandelt, und den unfreiwillig Verwandelten, der im Innern bleibt, wie er ist. Dr. Jekyll wird als Mr. Hyde auch innerlich zum Tier, der Froschkönig bleibt im Innern der er ist. Die lediglich äußere Wandlung scheint zumeist negativ. Dass das Bewusstsein gewahrt bleibt, verschärft die Strafe. So singt es bei Homer über die von Kirke gefangenen Seefahrer: »Denn sie hatten von Schweinen die Köpfe, Stimmen und Leiber, / Auch die Borsten; allein ihr Verstand blieb völlig, wie vormals. / Weinend ließen sie sich einsperren (…)« Die bloß äußere Verwandlung kann aber innere Entwicklung bewirken. Der Held an seiner Erfahrung reifen. Wie Iwan an seiner Strafe, ein Bär sein zu müssen. Die Metamorphose ist folglich nur dann als Metapher für den inneren Reifeprozess geeignet, wenn sie als äußerliche angelegt ist.

Der schwächste Grad der Verwandlung ist die Kostümierung. Und tatsächlich taugt die Maskerade mitunter ebenso zur Metapher wie die magische Form. Die Landstörzerin Courasche, später kopiert in Disneys Mulan, hat vom Inneren her das Zeug zur Behauptung, muss aber ihr Äußeres anpassen, um sich in einer Welt der Männer zu beweisen. Sie gibt sich zu erkennen, indem sie sich versteckt. In Sendaks »Wilden Kerlen« spielt Max das wilde Tier im Wolfskostüm, sein Verhalten holt die infantile Wildheit, den eigentümlichen Zusammenhang zwischen Liebe und Vernichtung darin, hervor. Brechts Shui-Ta konterkariert Shen-Te als notwendige Unmenschlichkeit beim Versuch, das richtige Leben im Falschen zu führen, während Batman umgekehrt Bruce Wayne als das Richtige im Falschen konterkariert, indem nicht Barmherzigkeit, sondern Kampf die Antwort auf das Elend ist. Im Film »Surrogates« haben sich die Menschen daran gewöhnt, nur noch vermittels ferngesteuerter, aufgehübscht-verjüngter und extrem leistungsfähiger Roboter das Haus zu verlassen. Die Entfremdung des Einzelnen in der modernen Industriegesellschaft, die auch in den Bereich der unmittelbaren Privatbeschäftigungen (bis hin zum Geschlechtsverkehr) vordringt, erhält hier eine Metapher.

Interessant ist die Frage, ob eine mechanische Veränderung einem Grad hinzugetrieben werden kann, in dem sie Auswirkungen auf das Innerliche hat. Die Surrogates verändern zweifellos das Selbstverständnis der Menschen, da sie an deren Stelle ins Leben gehen. Der äußerlichen Veränderung folgt damit die innere. In dieselbe Richtung schlagen praktisch alle Erzählungen und Filme, die das Cyborg-Thema führen. Der bekannteste Fall ist der RoboCop, aber auch Detective Spooner aus »I, Robot« zeigt das schon erwähnte Schema der zweiten Chance, wonach ein Unfall Gelegenheit der Aufbesserung und die Aufbesserung Gelegenheit der großen Tat (und Wiedergutmachung) wird. Auch Motoko Kusanagi, die Protagonistin aus »Ghost in the Shell«, erleidet einen Unfall – irgendwelchen Apokryphen Masamune Shirows lässt sich entnehmen, dass man sie aus dem Leib ihrer gestorbenen Mutter gerettet hat –, und bei ihr wurde die Idee weitergetrieben als sonst wo, indem fast kein ursprünglicher Körperteil mehr an ihr ist. Allein ihre Seele schafft ihr noch Identität. Das Ganze soll mehr sein als die Summe seiner Teile, doch wie viele meiner Teile können ausgetauscht (verwandelt) werden, ehe ich aufhöre, ich selbst zu sein?

Was?

Als fünfte stellt sich die Frage nach der Qualität – der Gestalt, in die verwandelt wird. Hier sollten zunächst Verwandlungen von Menschen in etwas anderes von solchen unterschieden werden, bei denen Menschen Menschen bleiben. Einiges wurde bereits in anderen Zusammenhängen erwähnt, etwa das Nicht-Altern (Dorian Gray) oder das Verjüngen (Faust, Benjamin Button). Zu berücksichtigen wäre auch die Änderung der Körpergröße, verarbeitet, mit unterschiedlichem Erfolg, in Filmen wie »Die phantastische Reise«, »Angriff der 20-Meter-Frau« und »Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft«. Alle Geschichten, die vom Aufhalten oder Umkehren des Alterns sowie vom Verändern der Körpergröße handeln, haben mit der Veränderung herkömmlicher Machtverhältnisse zu tun. Selbst die Verkleinerung setzt eine Figur in die Möglichkeit, Dinge zu tun, die ihr vorher verwehrt blieben. Um ins Wunderland zu gelangen, muss Alice einen Trank zu sich nehmen, der sie schrumpfen lässt. Der Eintritt ist hier phantastischer Natur, die Macht diejenige der kindlichen Phantasie. Es scheint also ganz logisch, dass Alice zunächst kleiner (infantil) werden muss, ehe sie im Phantastischen (dem Wunderland) groß (mächtig) werden kann. Poetische Kraft wirkt im Reich der Poesie. Vermittels Phantasie übersteigt das Subjekt die eigene Macht, doch zum Preis des Verzichts auf reale Macht.

Bei den Verwandlungen in Nicht-Menschliches sollte man die in Tiergestalten von der in Naturelemente unterscheiden. Eingestanden sind auch Tiere Teil der Natur, doch die Verwandlung in Stein, Gewässer, Pflanzen oder Himmelskörper scheint eine andere Funktion zu haben. Zu erinnern wären Niobe, Callisto, Marsyas, Philemon und Baukis, Narziss, Egeria, Lots Weib, Wega, Altair oder Daphne (von Peter Hacks im Märchen »Linde« modernisiert). Tiergestalten – neben unzähligen Figuren des Mythos auch beim Sohn im Märchen vom Machandelboom oder bei Gregor Samsa – tragen den Charakter der Tiere, denen sie gleichen, oder sie werden für niedere Handlungen mit niederem Dasein bestraft. König Tereus soll im Wiedehopf als einer niederen Vogelart seinen eigentlichen, vom königlichen Status verdeckten Charakter veranschaulichen. Gregor vergegenständlicht in der Gestalt eines Käfers sowohl sein von Minderwertigkeit geprägtes Selbstgefühl als auch seinen gesellschaftlichen Status als Außenseiter. In Rushdies »Satanischen Versen« nimmt Saladin Chamcha, der seine Ursprünge als Migrant lange verdrängt hat, die Gestalt eines Ziegenbocks an, was ihn in der Gesellschaft von London zum Paria macht. Der Verräter Peter Pettigrew lebt jahrelang als Ratte, unerkannt unter denen, die er verraten hat.

Das Verwandeln in Stein, Wasser und dergleichen scheint dagegen ein Aufgehen des Menschen in der Natur bzw. ein Eingehen in dieselbe, eine Regression, ein Wiederorganischwerden mit dem zu bedeuten, wovon er sich einmal entfremdet hat. Verbunden oft, aber nicht zwingend mit Tragik. Philemon und Baukis etwa werden von Zeus aus Dankbarkeit für gute Taten in Bäume verwandelt, damit sie ewig zusammenbleiben können. Jenes regressive Wiedereingehen in die Natur repräsentiert ja zugleich die uralte, nie ganz zu tilgende Sehnsucht nach Reiz- und Objektlosigkeit. Dass es überhaupt als negativ empfunden werden kann, dürfte nur daran liegen, dass eine Rückkehr in einen wie immer pränatalen Zustand stets Letales enthält und die Angst vor dem Tod auch dann nicht ganz schwindet, wenn man an jenseitige Existenz glaubt.

Auffällig bleibt, dass Metamorphosen in Mythos und Literatur praktisch immer natürliche, irgendwie lebendige Gestalten zum Ergebnis haben. Eine der raren Ausnahmen wäre Robert Rolf aus Dietmar Daths »Für immer in Honig«. Er wird mittels obskurer Griffe ins Leben zurückgeholt, und gemäß seines Status als W – eine besondere Art Mensch, die die Werkzeuge des Handelns und Denkens nicht bloß nutzt, sondern regelrecht zu ihnen wird – in Form von Papier. So tut Rolf nach seiner Wiedererweckung auch nicht mehr viel anderes denn Chronikführen, und nachdem er schließlich ein zweites Mal stirbt, bleibt ein papiernes Bündel von Fetzen zurück, von dem der Leser in einer beiläufig-überraschend-direkten Anrede erfährt, dass aus diesen »Papierfragmente(n) dessen, was einst Robert Rolf gewesen war«, später »das Buch werden sollte, das du hier gerade liest«. Der Held wird zum Artefakt und nicht weniger als zu dem Buch selbst, in dem er vorkommt.

Was bedeutet es, wenn Helden künstliche Gegenstände werden? Nun, tatsächlich, wie es scheint, ein Produktivmachen der Metamorphose für das Thema der Utopie. Wo Verwandlung im Natürlichen bleibt, tritt sie auf der Stelle oder ist nach hinten gerichtet. Wo sie Artefakte einschließt, wird sie universell und zeigt sich fähig, auch in die Zukunft zu wirken, vom Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit zu treten. Das Tier im Menschen steht für eine seiner Triebseiten, Gegenstände der Kunst stehen für das Vermögen des Menschen. Wobei bemerkt sei, dass die Dystopie, die die Utopie stets begleitet, auch hier ihre Schatten auswirft. In Form des schon erwähnten Cyborg-Themas nämlich, das das Potential des Menschlichen zum Künstlichen hin fast immer pessimistisch umdeutet. Auch hier ließe sich noch einmal »Für immer in Honig« als Ausnahme anführen, wo die dort sogenannten Zombotiker eine morbide Art Cyborgs zu sein scheinen, eine Möglichkeit, Menschen vermittels Technik aus dem Tod zurückzuholen, in ein Leben allerdings, das kaum noch Züge dessen trägt, was uns das Leben zum Vergnügen machen kann. Wie das gesamte Buch mit seiner zunächst unmerklich anwachsenden Macht der Untoten stehen auch die Zombotiker als Metapher für die imperialistische Epoche, die auf hohem Niveau der Produktivkräfte in sich bereits leer und letal geworden ist. So deutet Dath das Artefakt nicht ins Negative um, sondern beschreibt eine verkehrte Welt, in der es ohne Richtung ist, hinter der sich aber für den kommunistischen Autor bereits eine utopische Perspektive wieder abzeichnet.

Übrigens ist das interne Verhältnis bei den Verwandlungen in Künstliches dem bei Verwandlungen in natürliche Gegenstände analog. So wie der Mensch sich in etwas Konkretnatürliches verwandeln oder aber organisch in der Natur aufgehen kann, so machen sich auch neben dem Cyborg-Thema einige Griffe bemerkbar, die das Aufgehen des Menschen in einem universellen, ozeanischen, doch eben technischen Zusammenhang behandeln. Gelungen bei »Matrix«, weniger gelungen, aber in der Sache nicht anders, bei »Transcendence« oder »Lucy«.

Metamorphose der Metamorphose

Rafft man die fünf Enden nun zusammen, so lässt sich von den Anfängen bis zur modernen Literatur eine Entwicklung besehen, eine Metamorphose der Metamorphose, wenn man will, dernach das Subjekt immer stärker in den Mittelpunkt rückt. Im Mythos dominiert die endgültige Metamorphose als Strafe für eine falsche Handlung, das Subjekt ist insofern aus dem Spiel, als es die Metamorphose erleidet und göttlicher Macht bzw. dem Fatum ausgeliefert ist. Im Märchen wird dieses Muster leicht aufgebrochen, indem das Subjekt die Möglichkeit erhält, die Metamorphose, die es als Strafe erfahren hat, rückgängig zu machen oder daran zu wachsen. In der klassischen und modernen Literatur tritt die Strafe mehr und mehr in den Hintergrund, das Subjekt erleidet die Metamorphose noch, aber aus Zufall, und es kann sie rückgängig machen, weniger durch Wiedergutmachung und vielmehr durch Widerstand oder das Finden einer Lösung. In dem Zusammenhang tritt auch die zyklische Metamorphose verstärkt auf, die als eine Art Geschenk genutzt werden kann. Der Ursprung der Metamorphose ist hier noch äußerlich, doch das Subjekt nimmt sie an, verinnerlicht sie, macht sie sich also zueigen.

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