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Aus: Ausgabe vom 09.09.2024, Seite 4 / Inland
»Sicherheitspaket«

Perfide Abschreckungspolitik

Durch sogenanntes Sicherheitspaket sollen Leistungen für Geflüchtete gestrichen, Abschiebungen erleichtert werden. Kritik von Pro Asyl
Von Henning von Stoltzenberg
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Die letzten Minuten in der BRD: Unter Polizeizwang zur Abschiebung eskortiert (Leipzig, 24.11.2015)

Dann geht es plötzlich blitzschnell: Nach dem Anschlag von Solingen hat die Bundesregierung in kurzer Zeit ein »Sicherheitspaket« vorgelegt. Das Maßnahmenbündel liegt nur eine Woche nach der Ankündigung als Gesetzentwurf vor. Auch die Beratung im Parlament soll nach dem Willen der Ampelregierung schnell gehen.

»Wir haben geliefert«, jubilierte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gegenüber der Deutschen Presseagentur in Berlin. »Wir sorgen für mehr Schutz vor islamistischem Terror, striktere Abschiebungen von Gewalttätern, Messerverbote und Gesichtserkennung von Straftätern.« Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hält eine erste Beratung im Bundestag schon in dieser Woche für möglich. »Jetzt liegt es in den Händen des Parlaments, all das schnell auf den Weg zu bringen.« In den vergangenen Tagen habe man mit absolutem Hochdruck an der schnellen Umsetzung des Sicherheitspaketes gearbeitet.

Die Bundesregierung reagiert mit dem Sicherheitspaket nach eigenen Angaben auf den islamistisch motivierten Anschlag von Solingen, bei dem drei Menschen starben und acht weitere verletzt wurden. Sie will unter anderem Geflüchteten die Leistungen streichen, für deren Verfahren ein anderer europäischer Staat zuständig ist und der einer Rücknahme der Betroffenen zustimmt. Eine »Dublin-Taskforce von Bund und Ländern« soll die Abschiebungen in andere EU-Länder organisieren.

Ferner sollen Geflüchtete, die eine Straftat mit einer Waffe oder einem anderen gefährlichen Werkzeug begangen haben, einfacher ausgewiesen werden können. Straffällige Migrantinnen und Migranten sollen leichter vom Schutz in Deutschland ausgeschlossen werden können. Den Schutzstatus soll auch verlieren, wer »ohne einen triftigen Grund« in sein Heimatland reist.

Der Umgang mit Messern im öffentlichen Raum soll weiter eingeschränkt und im Fernverkehr mit Bussen und Bahnen, auf Volksfesten und bei anderen Großveranstaltungen komplett verboten werden. Zudem ist ein generelles Verbot für Springmesser vorgesehen – mit Ausnahmen zum Beispiel für Jäger.

Geplant ist weiterhin, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden im Kampf gegen »den Islamismus« auszuweiten. So sollen Ermittlungsbehörden in Zukunft öffentlich zugängliche Bilder biometrisch mit den Fotos von Tatverdächtigen oder gesuchten Personen abgleichen dürfen. Auch der Inlandsgeheimdienst »Verfassungsschutz« soll neue Befugnisse erhalten. Weitere Verbote gegen als islamistisch identifizierte Vereinigungen sollen folgen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte, dass die Migrationsgespräche mit Opposition und Ländern nicht an der Ampelkoalition scheitern würden. »Ich hoffe, dass es klappt, weil es gut wäre für die Gesellschaft und den Frieden«, sagte der SPD-Politiker bei einem Bürgergespräch in seinem Wahlkreis im brandenburgischen Teltow.

»Dass Sie verbieten, irgendwo ein Messer mitzunehmen, führt nicht dazu, dass niemand ein Messer mitnimmt«, zeigte sich Brandenburgs BSW-Chef Robert Crumbach gegenüber der Deutschen Presseagentur skeptisch. Straffällige einfacher ausweisen zu können, hält er hingegen für grundsätzlich richtig.

Linken Noch-Kovorsitzende Janine Wissler kritisierte das Sicherheitspaket der Regierung scharf. »Die Ampelregierung löst mit einer Flut hektisch beschlossener Maßnahmen kein Problem, aber spielt den Rechten in die Hände«, sagte sie dem Tagesspiegel am Freitag. Sie hält es für »falsch und rassistisch, ganze Gruppen von Menschen aufgrund ihrer Herkunft für die Verbrechen einzelner zu bestrafen und in Mithaftung zu nehmen«.

Mit den bekanntgewordenen Konkretisierungen des sogenannten Sicherheitspaketes bestätigen sich die schlimmsten Befürchtungen von Pro Asyl, kommentierte Wiebke Judith den Gesetzesvorstoß. Eine Leistungskürzung auf null sieht sie als den Versuch einer perfiden Abschreckungspolitik, die eines sozialdemokratischen Kanzlers unwürdig sei. Mit einem kompletten Leistungsausschluss für Dublin-Fälle verstoße die Bundesregierung sehenden Auges gegen das Grundgesetz.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Joachim Seider aus Berlin (9. September 2024 um 09:13 Uhr)
    Deutsche Emigranten, ins Ausland geflohen vor dem Terror der Hitlerfaschisten, haben ausreichend oft und zu Herzen gehend beschrieben, wie wichtig internationale Hilfe und Solidarität waren, als es für sie ums nackte Überleben ging. Vor Jahren noch sprach man in unserem Lande achtungsvoll von denen im Ausland, die damals Deutsche retteten. Wie erbärmlich ist dagegen die aktuelle Diskussion, die Flüchtlinge generell zu Gefährdungsträgern macht, die man am besten gar nicht ins Land lässt oder schnell wieder hinauswirft! In meiner Schulzeit lasen wir Anna Seghers’ »Das siebte Kreuz« und lernten damit unendlich Wichtiges über jene Werte, die im Leben wirklich zählen. Das unerträgliche Wertegefasel von heute gipfelt in der Empfehlung, allen einen Tritt in den Hintern zu geben, die an unseren Grenzen ankommen. Weil angeblich jeder von ihnen ein Schnorrer und verkappter Verbrecher sein könnte. Deutschland, wie tief bist du gesunken! Ein Land, dessen Kanzler Willy Brandt nur werden konnte, weil er den Faschismus in schwedischer Emigration überleben konnte. Er dürfte sich im Grabe umdrehen, wüsste er, wie man gedenkt, in Deutschland zukünftig generell mit Emigranten umzugehen.

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