Tarifflucht in Bayern
Von Gudrun GieseEinen »heißen Herbst« kündigten Betriebsräte des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau und Gewerkschaftsvertreter am Freitag an. Der Grund: Die Leitung des Krankenhauses hatte Anfang Juli den Austritt aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) zum 30. September angekündigt.
Sowohl die Klinikleitung als auch der Landrat als Träger des Krankenhauses hätten bisher Gespräche verweigert, teilten Vertreter aus dem Betriebsrat, von Verdi und DGB mit. Sie würden das Angebot aufrechterhalten, aber nun verstärkt auf die Straße gehen und die Bevölkerung über die Folgen der einseitigen Entscheidung informieren. Auch der Stadtrat von Aschaffenburg hat sich einstimmig gegen den KAV-Austritt des Klinikums ausgesprochen und damit gegen das Votum von Oberbürgermeister Jürgen Herzing (SPD) gewandt. Der Stadtrat zwang ihn später sogar, sich für die Revision des Entschlusses einzusetzen. Doch bisher steht die Entscheidung der Klinikleitung für die zwei Standorte mit rund 2.500 Beschäftigten, Ende September aus dem KAV auszutreten und damit perspektivisch die Tarifbindung aufzugeben.
Der zuständige Fachbereich von Verdi Bayern hatte im Juli darüber informiert, dass die Motive für den angekündigten Schritt weitgehend intransparent seien und die Folgen des Austritts, mögliche Personalflucht, Arbeitskampf, Imageschaden und Probleme künftiger Personalgewinnung, nicht adäquat berücksichtigt worden seien. »Die hauseigene Tradition des konstruktiven Miteinanders wird mit einem Paukenschlag zu Grabe getragen«, hieß es. Es sei kein Businessplan zur Erhöhung der Erlöse und Senkung der Defizite bekannt, obwohl die roten Zahlen des Krankenhauses als Begründung für den KAV-Austritt genannt wurden. Verdi wies darauf hin, dass alle Beschäftigten, die bis zum Stichtag 30. September in die Gewerkschaft einträten, auch über das Datum hinaus Anspruch auf tarifliche Bezahlung und Arbeitsbedingungen hätten. Kostensenkungen durch niedrigere Löhne wird das Klinikum so kaum erreichen.
Bei der Ankündigung des KAV-Austritts hatte Klinikumsgeschäftsführer Sebastian Lehotzki laut Bayerischem Rundfunk auf angeblich zu starre und unflexible Tarifverträge verwiesen. Dadurch werde die Suche nach neuen Fachkräften behindert. Ungebunden von KAV und Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes (TVöD) sowie des Marburger Bundes könnte das Klinikum Arbeitszeit- und Gehaltsmodelle entwickeln, die den Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht würden. Der Tarifvertrag des Marburger Bundes etwa begrenze die Zahl der Bereitschaftsdienste pro Monat auf vier, obwohl manche Beschäftigte gerne mehr Dienste leisten würden. Dem wolle man entgegenkommen, so Lehotzki. Verdi und Marburger Bund machten demgegenüber klar, dass die Klinikgeschäftsleitung die vorhandenen Spielräume der Tarifverträge gar nicht genutzt habe. Zudem habe sie regelmäßig in Stellenanzeigen sehr auffällig mit der bestehenden Tarifbindung geworben, was auch bei der Fachkräftegewinnung geholfen habe. Die Motive für den KAV-Austritt bleiben insofern unklar, zumal Geschäftsführer Lehotzki die bestehenden Tarifverträge erst auflösen kann, wenn es darüber eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat gibt.
Der dürfte sich allerdings weiter gegen diesen Schritt stellen, »das Defizit zu senken auf Kosten der Mitarbeiter«, wie der Betriebsratsvorsitzende Andreas Parr kritisierte. Andere Sparmöglichkeiten seien überhaupt nicht ausreichend geprüft worden. Es gibt aber auch Vermutungen, dass das Klinikum Aschaffenburg-Alzenau privatisiert werden könnte und sich zwecks besserer Verkaufbarkeit aus der Tarifbindung lösen wolle.
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