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Aus: Ausgabe vom 09.09.2024, Seite 8 / Inland

Ampel blinkt rechts

Bundsregierung legt »Sicherheitspaket« vor
Von Nick Brauns
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Sie schnürten das Paket: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (Mitte) mit Bundesjustizmiister Marco Buschmann (r.) und Wirtschaftsstaatssekretärin Anja Haiduk (Berlin 29.8.2024)

Mit ihrem »Sicherheitspaket« will die Bundesregierung nach eigenen Angaben auf den islamistischen Anschlag von Solingen reagieren. Viel eher handelt es sich bei dem Sammelsurium aus populistischem Aktionismus, sehend in Kauf genommenem Verfassungsbruch und verdeckten Eingriffen in Bürgerrechte um eine Panikreaktion der Ampel auf das starke Abschneiden der Rechten bei ostdeutschen Landtagswahlen.

Schutzsuchende, für deren Asylverfahren laut Dublin-Regelung ein anderer EU-Staat zuständig ist, sollen nun überhaupt keine Sozialleistungen mehr erhalten. Mit dieser Aushungerungsstrategie werden nicht nur die Betroffenen geradezu in die Kriminalität getrieben. Die Bundesregierung verstößt hier gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das schon in Kürzungen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verletzt sah. Bei Reisen von Flüchtlingen ins Herkunftsland soll ihnen der Schutzstatus aberkannt werden. Doch Geflüchtete aus der Ukraine sind von dieser Regelung ausdrücklich ausgenommen. Denn die Ukrainerin soll nach dem Heimaturlaub zur Stärkung der Kampfmoral ihres »Asow«-Freundes nach Deutschland zurückkehren, weil sie hier als auszubeutende Pflegekraft benötigt wird.

Ein »absolutes Messerverbot« auf Volksfesten, in Bus und Bahn wird zwar keinen entschlossenen Attentäter stoppen, sich aber als Freibrief für entwürdigende Racial-Profiling-Kontrollen durch die Polizei erweisen. Wo Schutz vor »fremden Messermännern« vorgegaukelt wird, kann sich die geplante Stärkung von Polizei und Inlandsgeheimdienst mit neuen Überwachungs- und Zensurbefugnissen schnell auch gegen vermeintlich unbescholtene Bürger richten, wenn diese nicht im NATO-Gleichschritt marschieren.

Zwar ist im »Sicherheitspaket« auch von Islamismusprävention die Rede, doch fehlt die außenpolitische Komponente. Der Solinger Attentäter bekannte sich zum »Islamischen Staat« (IS). Er stammte aus der als IS-Hochburg geltenden syrischen Provinz Deir Al-Sor. Und der in München von der Polizei erschossene bewaffnete Islamist war Behörden als Sympathisant von Al-Qaida in Syrien bekannt. Beide Dschihadistenformationen agieren dort unter dem Schutz türkischer Besatzungstruppen, die ihrerseits kurdische Milizionäre ermorden und zivile Infrastruktur zerstören. »Mit diesen Angriffen legt die Türkei die Grundlage für ein Wiedererstarken des IS, weil sie die Lebensbedingungen hier vor Ort zerstören«, warnte die Außenbeauftragte der nordostsyrischen Selbstverwaltung, Îlham Ehmed, vorige Woche im Interview mit der Zeit. Eine Abschiebung von Islamisten nach Syrien würde dort zur weiteren Destabilisierung beitragen, was dann wieder auf Europa zurückschlägt. Wer die dschihadistische Schlange wirklich besiegen will, muss ihr der Kopf abgeschlagen – doch der befindet sich beim NATO-Partner in Ankara.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von N. Schreiber aus München (9. September 2024 um 07:32 Uhr)
    Alles richtig und aufgrund der durch Ausbeuter und andere Perverse deformierten (deutschen) Sprache drückt der letzte Satz auch gut verständlich ein vielleicht nicht hintergründiges, doch immerhin mittelgründiges Problem sehr deutlich aus. Nur ist zu bedenken, um nicht selber via der Tücken der evolutionär bedingten Fehlleistungen des menschlichen Hirns zum Teil des Problems zu werden: Weder eine einzelne, noch alle Schlangen zusammen genommen, verursachen auch nur annähernd Schäden, wie ein von Menschen gemachtes System, was zu Religiotie und religiotisch-faschistischen Führern wie des türkischen Erdowahn führt, welche dann unter dem Vorwand dieser Religiotie brutalste Kriege und Zerstörungen bewerkstelligen, um gemäß dem eigentlichen Grund dieses widerwärtige, dysfunktionale kapitalistische Scheißsystem am Leben zu halten. (Interessanterweise ist Erdowahn ja sogar mit der Aussage zitierbar, dass er die Wirtschafts-/Staatspolitik eines gewissen Adolf Hitler ziemlich gut findet. Und er hat sich an diese seine Einschätzung gehalten und die türkische Wirtschaft gemäß dieser wahnhaften Politik so gegen die Wand gefahren, dass keinen Krieg zu führen für die türkische Kapitalfraktion bereits seit Jahren keine Option mehr darstellt.) Schlangen, egal wie giftig oder ungiftig ihre Zähnchen sein mögen, haben eine solche Diffamierung und Beleidigung wahrlich nicht verdient. Zumal sie im Gegensatz zur menschlichen Spezies keinerlei Wahlmöglichkeit über die Gestaltung ihrer Existenz haben.

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