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Aus: Ausgabe vom 09.09.2024, Seite 16 / Sport
Paralympische Spiele

Hier passt der Superlativ

Beim Betrachten der Paralympics. Eine Einladung
Von Stefan Siegert
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Wahrhaft olympisch: Josia Topf beim Rückenschwimmen über 50 Meter (2.9.2024)

Vorweg ein Eingeständnis. Es gibt die »Paralympics« seit langem. Aber ich habe, wenn überhaupt, immer nur die »Olympics« gekuckt. Ich mied die Anstrengungen der Radfahrerinnen, Weitspringer, Schwimmer und Schwimmerinnen ohne Arme oder Beine. Die Leistungen der Basketballspielerinnen und Fechter auf Rollstühlen, der Sprinter bis Marathoner auf Liegefahrrädern nötigten mich mehr zu Mitleid, als dass sie mich begeistert hätten. Die koloniale Trägheit des Herzens gegenüber allem, was im Sport nicht nach Höchstleistung riecht, hatte offenbar auch mich erfasst.

Es war Jürgen Klopp in Paris bei den Paralympics, der den Umschwung brachte. Ein für öffentlich-rechtliche Verhältnisse unfassbar lockeres Interview mit Klopp und seinem langjährigen Freund, dem Paralympicsteilnehmer Wojtek Czyz öffnete die Türen. Czyz – ein Sportunfall hatte ihn 2001 sein linkes Bein bis oberhalb des Knies und eine Karriere als Fußballprofi gekostet, er war mittels einer Beinprothese bei den Paralympics 2004 als Sprinter und Weitspringer aus seiner Lebenstragödie auferstanden – hatte in Athen mit drei Goldmedaillen Paralympicsgeschichte geschrieben; war 2020 mit seiner Frau Elena am Ende einer fünf Jahre langen Weltumsegelung im Katamaran infolge der Pandemie in Neuseeland hängengeblieben und hatte dort als »disabled« Badminton Player ein zweites Sportlerleben begonnen. In der Schilderung des 44jährigen, wie er (als kurzfristiger Quereinsteiger, der überraschend die Olympiaqualifikation in Neuseeland geschafft hatte) den aussichtslosen Kampf gegen den Zweitplazierten der aktuellen Badminton-Weltrangliste verlor – tut sich eine andere Welt auf als die der Olympics.

Bei den Paralympics kommen, nicht nur in Interviews, auch die Verlierer zu Wort und ins Bild. Ihre vielen stillen und großen Siege auf dem Weg zu einer olympischen Niederlage lassen schon vor jedem Wettkampf zwei Sieger gegeneinander antreten, es sprechen davon die Bilder, wie sie sich nach dem Wettkampf oft glücklich, schwesterlich und brüderlich, umarmen. Sie kämpfen schließlich gegen jemanden, die oder der es mit ebensoviel Kraft und Phantasie, mit derselben Ausdauer und Disziplin gleichfalls geschafft hat, aus der scheinbar unüberwindlichen Begrenztheit seiner Körperlichkeit etwas Einmaliges entstehen zu lassen.

Man muss zum Beispiel Josia Topf gesehen haben, einer der deutschen Medaillengewinner und Publikumslieblinge in Paris, geboren 2003, dessen Hände an seinen Schultern angewachsen sind. Informativ kommentiert und begleitet von Experten aus dem Umfeld der Sportler, sah man bei der ARD von unter Wasser, wie sich diesem Josia Topf im 150-Meter-Lagen-Wettbewerb auf den dem Brustschwimmen vorbehaltenen mittleren 50 Metern sein üppiger Vorsprung in einen bedrohlichen Rückstand verwandelte – und wie er auf der finalen Kraulstrecke seine Konkurrenten Zentimeter für Zentimeter ein- und überholte und eine Goldmedaille gewann. Das war (hier ist dieser abgegriffene Superlativ am Platz) sensationell, so etwas wollen alle erleben, die den Sport lieben: Wie da ein armloser Mensch entdeckt hat, sich in seiner Not aus Freude an der Bewegung in einen Delphin zu verwandeln und durchs Wasser zu schnellen – das ist wahrhaft olympisch, up to the basics of sport.

Mit wieviel Recht beklagen sie sich über die schäbige staatliche Förderung nicht nur des Behindertensports in der reichen BRD, diese großartigen olympischen Botschafter der Forderung nach einer längst überfälligen gesellschaftlichen Wahrnehmung und Gleichstellung behinderter Menschen. Ihre Frische und Echtheit vor der Kamera sind ein weiterer Beweis dafür, wie gut es dem Sport tut, wenn er unabhängig von privater Finanzierung ist.

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