Ampel nur noch Randnotiz
Von Nico PoppDie Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen haben am Sonntag bei einer hohen Wahlbeteiligung von über 70 Prozent die erwarteten Stimmengewinne für die AfD gebracht. Die Rechtsaußenpartei liegt in Thüringen in den letzten Hochrechnungen mit etwa 33 Prozent deutlich vor allen anderen Parteien, in Sachsen mit etwas über 30 Prozent knapp hinter der CDU, die in beiden Ländern von taktisch abgegebenen Stimmen von Wählern profitiert haben dürfte, die sie gegenüber der AfD stärken wollten. Zumindest in Thüringen ist der AfD eine Sperrminorität im Landtag sicher, mit der sie Entscheidungen, für die eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist, blockieren kann.
Die Kanzlerpartei SPD rettete sich in beiden Bundesländern über die Fünfprozenthürde. Das Ergebnis in Thüringen - knapp über sechs Prozent laut der letzten Hochrechnung - ist das schlechteste SPD-Resultat bei einer Landtagswahl seit der Gründung der Bundesrepublik. In Sachsen landete die SPD bei etwa sieben Prozent. Die Grünen fliegen in Thüringen mit rund 3 Prozent der Stimmen aus dem Landtag, in Sachsen werden sie in den Hochrechnungen mit knapp über fünf Prozent gemessen. Die dritte Ampelpartei, die FDP, wurde in beiden Ländern regelrecht pulverisiert und kommt jeweils auf wenig mehr als ein Prozent. Zusammengenommen kommen die drei Parteien, die die Bundesregierung stellen, in Thüringen nur noch auf etwa 10 Prozent der Stimmen, in Sachsen auf rund 13.
Eine Katastrophe ist der Wahltag für die Linkspartei. Sie ist in Thüringen noch deutlicher abgestürzt als erwartet: Von 31 auf voraussichtlich nur noch 12 bis 13 Prozent – ein Einbruch um beinahe 20 Prozentpunkte. Die Partei verliert damit ihren einzigen Ministerpräsidenten. In Sachsen – dort hatte die Partei lange einen ihrer stärksten Landesverbände – liegt sie in den Hochrechnungen bei nur noch vier Prozent. Da sie allerdings Direktmandate in zwei Leipziger Wahlkreisen gewann, kann die gemäß ihrem Zweitstimmenanteil in den Landtag einziehen. Parteichefin Wissler sprach am Abend in der ARD von einem »sehr bitteren Wahlabend für uns«. Das gelte »nicht nur, wenn wir auf das Ergebnis der Linken schauen, sondern auch, wenn zum ersten Mal seit dem Ende der Nazizeit eine im Kern faschistische Partei stärkste Kraft in einem Landtag wird«, sagte Wissler mit Blick auf die AfD. Wissler verteidigte die 2023 vollzogene Trennung ihrer Partei von der Strömung um die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht. Es sei »gut, dass es diese Trennung gibt«. Die Partei könne nun aus der Phase der »Selbstbeschäftigung« herauskommen. Auch Koparteichef Martin Schirdewan schimpfte im ZDF über das BSW: »Man muss sagen, BSW ist ein Geschenk für die AfD, weil die gesellschaftliche Linke und auch meine Partei vor allem darunter leiden, aber die extreme Rechte durch das BSW und seine Positionen gestärkt wird.«
Das BSW, dessen Führungsgruppe sich 2023 von der Linkspartei getrennt hat, kam in beiden Bundesländern aus dem Stand auf zweistellige Werte. In Thüringen holte die Partei, deren Landesverbände erst vor wenigen Monaten gegründet worden waren, 15 bis 16 Prozent der Stimmen, in Sachsen 12 Prozent. Auch wenn das BSW damit in beiden Ländern leicht unter den Werten der letzten Vorwahlbefragungen blieb, ist das ein erstaunlicher Erfolg für die Partei, die praktisch über keinerlei Strukturen in der Fläche verfügt.
In den Landtagen von Dresden und Erfurt gibt es damit eine rechnerische parlamentarische Mehrheit von CDU und AfD, die aber, sollte die Union an ihrer Absage an eine Kooperation mit der Rechtsaußenpartei festhalten, nicht zum Tragen kommt. Während die ersten Hochrechnungen noch eine - knappe - Mehrheit aus CDU, SPD und BSW möglich erscheinen ließen, zeichnete sich am späten Abend ab, dass ohne die AfD nur eine Vierparteienkoalition aus CDU, SPD, BSW und Linkspartei eine Mehrheit hätte. Eine Koalition mit der Linkspartei ist für die CDU nach Beschlusslage aber derzeit ausgeschlossen. Linkspartei-Kolandeschef Christian Schaft deutete am Abend an, dass für seine Partei die Tolerierung einer Regierung aus CDU, SPD und BSW vorstellbar sei. »Wir wollen Stabilität«, sagte Schaft dpa. Für die Linkspartei sei eine Zusammenarbeit mit der CDU jedenfalls keine Zerreißprobe.
Ob das BSW sich in eine Kombination mit CDU und SPD begibt, ist allerdings keineswegs ausgemacht: Koparteichefin Wagenknecht hat für eine Regierungsbeteiligung die Bedingung formuliert, dass sich eine solche Regierung gegen die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen und für diplomatische Lösungen im Ukraine-Krieg aussprechen muss.
CDU-Landeschef Mario Voigt, der seinen Wahlkreis an die AfD-Kandidatin Wiebke Muhsal verlor, kündigte am Abend an, auf die SPD zugehen zu wollen und auch zum BSW »gesprächsoffen« zu sein. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann polterte am Abend Richtung BSW und warnte, bei möglichen gemeinsamen Regierungsbildungen in Sachsen und Thüringen die Friedenspolitik zum Thema zu machen. »Ich kann nur sagen, in Erfurt wird nicht die Weltpolitik gemacht, sondern da geht es um Bildungspolitik, um Wirtschaftspolitik, um innere Sicherheit, um die Themen, die die Menschen wirklich betreffen«, sagte Linnemann in der Runde der Generalsekretäre im ZDF. Das BSW erklärte dagegen am Abend beim Kurznachrichtendienst X: »Neben spürbaren Verbesserungen für die Menschen sind der Einsatz für Diplomatie im Ukrainekrieg & ein Nein zur Stationierung von US-Mittelstreckenraketen Bedingungen für mögliche Koalitionen. Als bloße Mehrheitsbeschaffer stehen wir nicht zur Verfügung.«
In Sachsen sah es zunächst so aus, als könne die CDU weiter mit SPD und Grünen koalieren. Besonders die Grünen boten sich - bis hin zur Bundesspitze - am Abend eifrig für eine solche Option an. Da durch die zwei gewonnenen Direktmandate in Leipzig nun aber auch die Linkspartei im Landtag vertreten ist, hat auch in Sachsen das bisherige Regierungsbündnis keine parlamentarische Mehrheit mehr.
Die AfD meldete ihrerseits in beiden Ländern einen Regierungsanspruch an und dürfte in den kommenden Tagen verstärkt Avancen Richtung CDU machen. Offen war am späten Abend, ob der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke in den Landtag einziehen wird: Höcke, der extra nicht im Eichsfeld - einer CDU-Hochburg - angetreten war und sich einen Wahlkreis in Ostthüringen gesucht hatte, konnte auch diesen am Sonntag nicht gewinnen. Da es passieren kann, dass die Landesliste der AfD wegen der zahlreichen von der Partei gewonnenen Direktmandate gar nicht zum Zuge kommt, könnte Höcke am Ende kein Mandat erhalten. In diesem Fall gilt es aber als wahrscheinlich, dass ein anderer AfD-Kandidat auf sein Mandat verzichtet, um Höcke nachrücken zu lassen.
Auf der Bundesebene waren am Abend vor allem aus der SPD scharfe Töne zu hören. Generalsekretär Kevin Kühnert sagte, es gehe darum, »sich stärker zu emanzipieren«. Man wolle sich »nicht mehr auf der Nase herumtanzen lassen von anderen, die krachend aus den Landtagen jetzt rausgewählt worden sind«, sagte er mit Blick auf FDP und Grüne.
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