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Aus: Ausgabe vom 10.09.2024, Seite 12 / Thema
Sport

»Wir brauchen dieses Engagement«

Fortan gegen Bezahlung? Das sportliche Ehrenamt ist in der Krise. Zur Diskussion um finanzielle Vergütungen und andere Anreize
Von Andreas Müller
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Ohne Schiedsrichter kein Spiel. Ohne Finanzvorstand kein Verein. Auch wenn viele Ehrenamtler aus dem letzten Loch pfeifen

Traditionalisten versus Modernisten, bloßes Herzblut versus nüchterne Pragmatik, Romantik versus neuartige Sachzwänge: Im organisierten Sportbetrieb ist schwer etwas in Bewegung gekommen, womit nicht turnerische Übungen, leichtathletische Wettbewerbe oder das Training im Schwimmbecken gemeint sind. Wie bei einem Vulkan, der unsichtbar wie unaufhaltsam seinem Ausbruch entgegenlebt, wird gerade das gesamte Sportsystem von der Spitze des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) bis zu den einzelnen Vereinen als dessen Fundament unterirdisch bedroht. Die Rede ist vom klassischen Ehrenamt und den immer größeren Schwierigkeiten, von oben bis unten genügend fähiges, engagiertes Personal zu finden, das willens ist, traditionell unentgeltlich zu arbeiten. Noch scheint das Gefüge nach außen hin in bester Ordnung. Noch sind die Präsidien der Verbände, sind die Landessportbünde arbeitsfähig. Noch ist das weltweit einmalige, 2021 von der UNESCO mit dem Prädikat »immaterielles Kulturerbe« bedachte Netz der Vereine intakt. Bei genauerem Hinsehen sind aber erste Risse zu bemerken.

29 Millionen

Auf die Ehrenamtlichen stützen sich viele Bereiche der Gesellschaft. Vertreter dieser Spezies gehören im gesamten gesellschaftlichen Zusammenleben zu den Grundpfeilern. Weswegen im Frühjahr 2020 sogar eine »Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt« (DSEE) aus der Taufe gehoben wurde – mit dem Ziel, dieses riesige Stützwerk wetterfest zu erhalten. Wie wäre es um den Katastrophenschutz ohne Freiwillige Feuerwehr und ohne Technisches Hilfswerk bestellt? Rettungsdiensthelfer, Sanitäter, Schöffen, Jugend- und Sozialarbeiter, Seniorenbetreuer, Stützen der »Tafeln« oder religiöser Einrichtungen, Lokalpolitiker, Bürgervereinsmitarbeiter und, und, und. Insgesamt sorgen im Ehrenamt hierzulande knapp 29 Millionen Mitmenschen für inneren Zusammenhalt, stärken das gesellschaftliche Gemeinwohl und retten oft genug Leben. Fast 40 Prozent der Gesamtbevölkerung, weiblichen und männlichen Geschlechts fast zu gleichen Teilen, so ist auf den Internetseiten des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) zu lesen, sind ab dem 14. Lebensjahr ehrenamtlich aktiv. In welchem Bereich sich die meisten engagieren? »Soziales« belegt in diesem Ranking mit 8,3 Prozent Platz drei unmittelbar nach »Kultur und Musik« mit 8,6 Prozent. Für »Sport und Bewegung«, dem absoluten Spitzenreiter, sind nach dieser Darstellung etwa 13,5 Prozent aller Ehrenamtlichen im Einsatz.

Wobei wir hier ausschließlich vom einheimischen Sport in all seinen Facetten sprechen. International hat jeder Verband und jede Organisation bis hin zum Internationalen Olympischen Komitee (IOC) seine eigenen Regularien und Spesenverordnungen. Das betrifft vornehmlich einen Personenkreis, der gern reist und in den besten Hotels logiert – zum Teil hoch dotierte Funktionäre, die mit ihren altruistischen Vorgängern nicht mehr viel gemein haben und etwa als IOC-Mitglieder Tagegelder kassieren, die einer maximalen Ehrenamtsjahrespauschale von 840 Euro entsprechen.

Die Gesamtzahl von fast 29 Millionen zugrunde gelegt, wirken in der Bundesrepublik annähernd vier Millionen Menschen ehrenamtlich im Sportsektor. Fast die Hälfte davon hält die knapp 90.000 Sportvereine mit ihren bundesweit mehr als 27 Millionen Mitgliedern buchstäblich am Laufen. Etwa zwei Millionen Personen, rund 1,3 Millionen männlichen und circa 0,7 Millionen weiblichen Geschlechts, bekleiden dort ehrenamtliche Positionen, wie der zweibändige »Sport­entwicklungsbericht für Deutsch­land, 2020–2022« darlegt. Rund 576.000 dieser Rührigen sind demnach Vorstandsmitglieder bei einem Gesamtverein, rund 202.000 Vorstände in Abteilungen, 173.000 Kassenprüfer, etwa 205.000 sind Schieds- und Kampfrichter und rund 790.000 Trainer und Übungsleiter. Welch exorbitanter gesellschaftspolitischer Wert sich hinter diesen Zahlen verbirgt, ließ der DOSB im Mai 2014 jedermann wissen: Im Ehrenamt leisteten die Sportvereine monatlich insgesamt über 24 Millionen Stunden Arbeit, was seinerzeit einer monatlichen Wertschöpfung von 362 Millionen Euro entsprach und einem jährlichen »Mehrwert« von umgerechnet etwa 4,3 Milliarden Euro.

Erste Eruptionen

Die große Frage vor diesem Hintergrund lautet: Wie dieses Gefüge in die Zukunft führen? Wie den klassisch-unentgeltlichen Ansatz den neuen Zeiten anpassen und das Erfolgsmodell als Ganzes zusammenhalten? Wird die gern so genannte nationale »Sportfamilie« eine Art neu gestricktes Ehrenamt 2.0 mittragen oder diese Adaption eher zurückweisen? So, in etwa, lauten die aktuellen Grundfragen. Anfang September hat der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) für ein Novum gesorgt und seine Führungsetage neu strukturiert. Die Hauptversammlung in Dresden wählte einen Aufsichtsrat, der jetzt anstelle des Präsidiums agiert. Ein zeitgemäßer Schritt, doch wie ehrenamtlich arbeitet der neue Aufsichtsrat?

Einen ersten öffentlichen Eindruck von der Brisanz gab es im Dezember 2023, als Traditionalisten und Modernisten im Vorfeld der alljährlichen DOSB-Vollversammlung anlässlich eines Antrages, über den DOSB-Präsidenten Thomas Weikert und sein Präsidium die Delegierten abstimmen lassen wollten, ordentlich aneinandergerieten: »Es können angemessene pauschale Aufwandsentschädigungen für Mitglieder des Präsidiums gezahlt werden«, hieß es dort. Begründet wurde der Vorstoß wie folgt: »Mit dieser Regelung soll es ermöglicht werden, dass Präsidiumsmitglieder im angemessenen Rahmen für entgangene berufliche Erträge entschädigt werden. Die Angemessenheit bezieht sich dabei auf den Aufwand für den DOSB.« Schnell waren Zahlen im Umlauf, Weikert und seine neun »Vizes« liebäugelten monatlich mit Vergütungen von 5.000–6.000 oder gar 8.000 Euro. Schon kursierte die Summe von bis zu knapp einer Million Euro, die sich pro Jahr für das Präsidium aufaddiere. Widerstand regte sich, Kritik wurde laut. Auch deswegen, weil der Jurist aus Limburg an der Lahn mit seinem Team bei der Wahl an die DOSB-Spitze zwei Jahre zuvor ein solches Ansinnen mit keiner Silbe erwähnt hatte.

Das Scharmützel Ende 2023 war schnell beendet. Die DOSB-Granden zogen den Antrag zurück. Doch das Thema bleibt virulent. Hans Wilhelm Gäb, Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrates der Stiftung Deutsche Sporthilfe und »gutes Gewissen des Sports«, hat dazu eine klare Meinung. »Glaubt jemand, das Amt an der DOSB-Spitze könne man ehrenamtlich machen, neben der Führung einer kleinen Anwaltskanzlei?« fragt der 88jährige mit Blick auf DOSB-Präsident Weikert und liefert gegenüber jW die Antwort gleich mit: »Ich weiß, dass es nicht geht! Das Ehrenamt in führenden Positionen des Sports, das hat sich überlebt!«

Franz Steinle, der als Präsident des Deutschen Skiverbandes (DSV) knapp 3.000 Vereine und mehr als eine halbe Million Mitglieder vertritt, äußert sich auf jW-Nachfrage ähnlich: »Das sind die Zeichen der Zeit. Entschädigungen haben meines Erachtens einen großen Vorteil. Damit würde sich der Kreis an fähigen Bewerbern vor allem für Spitzenämter deutlich erweitern«, erklärt der 74jährige. Es sei ja vor allem so, »dass man möglichst gute Leute in solchen Positionen haben möchte«. Der organisierte Sport solle sich insbesondere mit Blick auf das führende Personal beim Dachverband und bei den Verbänden der olympischen Disziplinen aus der Situation befreien, entweder auf Ruheständler angewiesen zu sein, weil viele von ihnen erst in diesem Lebensabschnitt genügend Zeit mitbrächten, oder auf »Leute mit Geld«, weil nur sie finanziell unabhängig seien – und ebenso über die notwendigen Zeitressourcen verfügten.

Prinzipiell habe sich im Sportbetrieb Steinles langjährigen Erfahrungen zufolge die Parallelität von Ehrenamt und Hauptamt bewährt. Die eine Ebene sei für strategische Ausrichtungen und ebenso für repräsentative Zwecke unentbehrlich, die andere für die operativen Geschäftsfelder zuständig, wobei selbstverständlich »Hand in Hand« zusammengearbeitet werden müsse. Ihm persönlich würden von seiten des DSV geringfügige Aufwandsentschädigungen zustehen. »Ich habe von dieser Option keinen Gebrauch gemacht«, sagt der Jurist, der zuletzt von 2013 bis zu seiner Pensionierung 2017 als Präsident des Oberlandesgerichts Stuttgart wirkte. Steinle, zunächst ab 2005 »Vize« und ab 2013 dann erster Mann dieser großen Organisation des Wintersports, wird im Oktober 2024 nicht mehr zur Wahl antreten. Seine Mitarbeit im Vorstand der Internationalen Biathlon-Union (IBU) und des Internationalen Skiverbandes (FIS) möchte er hingegen fortsetzen. Desgleichen in der »Federation of European Ski- and Snowboard Associations« (FESA), vormals bekannt als »Organisation der Alpenländer-Skiverbände« (OPA), inzwischen aber auf 17 Mitgliedstaaten auch außerhalb der Alpenregion angewachsen. Resümierend verweist er darauf, was seinem Nachfolger und anderen Funktionären sehr bekannt vorkommen dürfte: Über Jahre hinweg habe er seine »komplette Freizeit und den Urlaub« für den Zweiklang von Beruf und sportlichem Amt eingesetzt. Ohne diese vorrangig zeitlichen Opfer sei eine solche Doppelbelastung nicht zu bewältigen gewesen.

Monatlich 2.000 Euro

Manche Verbände sehen in ihrem Regelwerk bereits »angemessene Aufwandsentschädigungen« für Präsidiumsmitglieder vor. Darunter die im Fußball, Turnen, Tennis, Schwimmen, Handball. Der Deutsche Turner-Bund (DTB) verwies auf Anfrage auf seine Satzung, wonach »Mitglieder des Präsidiums für ihre Tätigkeit eine pauschale Aufwandsentschädigung, Sachbezüge und/oder eine angemessene Vergütung erhalten« können. Beim Deutschen Handballbund (DHB) sind konkrete Beträge festgeschrieben. Andreas Michelmann, übrigens der Sprecher der olympischen Spitzenverbände, stehen als DHB-Präsident seit Januar 2019 monatlich 2.000 Euro als Aufwandsentschädigung zu. Für Mitglieder des Präsidiums, sofern sie nicht Vertreter der Ligaverbände sind, gibt es monatlich 500 Euro.

Ein schönes Zubrot, wird mancher denken, Peanuts in Relation zur »Sonderwelt Fußball« unter dem Dach des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Dort ist das Ehrenamt längst zum »Geschäftsmodell« mutiert. Fritz Keller etwa, von 2019 bis 2021 an der DFB-Spitze, wurden auf diesem Platz jährlich fast eine Viertelmillion Euro zugestanden – und damit nach dem aktuellen Tageskurs fast so viel wie Thomas Bach, der als IOC-Präsident 275.000 US-Dollar per anno erhält. Selbst den DFB-»Vizes« werden Summen jenseits von 50.000 Euro gewährt. Hier ist der hohe Begriff vom Ehrenamt völlig sinnentleert, ad absurdum geführt. Es stellt sich die Frage, wie solche Zahlungen mit dem Prädikat der »Gemeinnützigkeit« vereinbar sind und warum die vielen, die in den Fußballvereinen die Kärrnerarbeit leisten, diese Grenzüberschreitungen tolerieren.

»Wir leben in einer Zeit, in der es immer weniger Leute gibt, die sich gar nicht mehr engagieren oder das Ehrenamt nicht mehr unentgeltlich ausfüllen wollen. Da gibt es Zwänge, da musst du jemanden etwas geben, da musst du etwas bezahlen«, verweist Achim Donner auf objektive Umstände auch in kleineren Vereinen. Er ist seit über zehn Jahren stellvertretender Vorstand für Finanzen beim Turnverein Seckbach 1875 e. V., einem Mehrspartenverein mit rund 800 Mitgliedern im Osten von Frankfurt am Main. Der 60jährige weiß bestens um Personalmiseren – und drängt darauf, dieses Problem des organisierten Sports in seiner Ganzheitlichkeit zu lösen. Soll heißen: die komplette Pyramide von oben bis unten und umgekehrt zu betrachten und die atmosphärischen Wechselwirkungen einzukalkulieren. Das »unentgeltliche Ehrenamt« und das »bezahlte Ehrenamt«, für Donner sind das zwei Enden derselben Sache. »Beides hat seine Berechtigung, doch das will gut moderiert sein. Man darf dabei dem klassischen Ehrenamtler nicht auf die Füße treten! Man muss die Leute in diesem Prozess mitnehmen und darf sie nicht verprellen!«

In der Debatte um Pekuniäres – ob es nun als Entschädigung, Vergütung, Erstattung oder Bezahlung daherkommt – sollte stets das Augenmaß obenan stehen, die Balance, die Verhältnismäßigkeit. »Diese Diskussion wabert weiter und sie wird weiter an Fahrt aufnehmen. Was unter dem Begriff Ehrenamt vergütet wird, das muss überzeugend begründet werden. Das muss jeweils klar und nachvollziehbar definiert sein. Welches Präsidiumsmitglied ist mit welchem zeitlichen Umfang wo involviert? Wer bekommt Geld für welche Aufgaben? Sind sie inhaltlich sinnvoll und wichtig oder wird hier ein reiner Grüßaugust alimentiert? Das muss klar sein, das muss transparent sein«, entwickelt der »Kassenwart« eine vielleicht für alle Ehrenamtsebenen taugliche Klaviatur. Zugleich warnt er vor Verwerfungen und davor, bisherige Mitstreiter zu demotivieren und bei ihnen das unangenehme Gefühl zu nähren, ausgenutzt zu werden. Auch könnten Begehrlichkeiten geweckt oder Geister gerufen werden, die man später nicht mehr los wird – »weil dann alle etwas wollen«.

Pauschalen und Rentenpunkte

Fingerspitzengefühl ist schon jetzt das oberste Gebot, etwa der sensible Umgang mit den Ehrenamts- und Übungsleiterpauschalen – zwei Varianten, die sogar miteinander kombiniert werden dürfen. Die 2021 von maximal 720 Euro auf jährlich maximal 840 Euro angehobene Ehrenamtspauschale ist allgemeineren Charakters. Von ihr können über die Vereinsvorstände hinaus zum Beispiel verdienstvolle, unentbehrliche Mitglieder zumindest zeitweise profitieren, je nach jährlicher Prüfung und Neubewertung. Die steuerfreie Übungsleiterpauschale von 3.000 Euro pro Jahr indes ist an eine nebenberufliche Tätigkeit und an konkrete Aufgaben im ehrenamtlichen (Sport-)Betrieb gebunden. Genau diese finanziellen Spielräume möchte der Dachverband DOSB für seine Basis nur allzu gern erweitern. Das dafür passende Motto formulierte Präsident Weikert in seiner Rede »Der Sport und die Demokratie« am 16. Mai dieses Jahres beim »Parlamentarischen Abend des Deutschen Sports« in Berlin: »›Tue Gutes und profitiere selbst davon.‹ Das sollte auch beim Ehrenamt stärker gelten.«

Das betreffe beispielsweise auch jene, die als Schieds- oder Kampfrichter bei Jugendspielen und Wettkämpfen des Nachwuchses wirken – mit dem Ansinnen, dabei für Fairness, Anstand und gleiche Maßstäbe sorgen zu wollen – und deshalb »eine verdammt anspruchsvolle und zugleich sehr wichtige gesellschaftliche Aufgabe« wahrnehmen. »Daher bin ich dafür, die Pauschalen für Ehrenamtliche regelmäßig anzuheben«, so Weikert. Zugleich sei es eine gute Idee, fürs Ehrenamt Rentenpunkte zu vergeben. »Denn wir brauchen dieses Engagement. Wir können gar nicht genug davon bekommen, deshalb sollten wir es fördern.«

Der scheidende DSV-Präsident Steinle befürwortet ebenfalls den Weg, an der Basis »Anreize zu schaffen«. »Das ist natürlich ein schwieriges, ein sehr schwieriges Thema, vor allem auch deshalb, weil das alles ja finanziert werden muss.« Die Ehrenamts- und Übungsleiterpauschalen haben die Vereine aus eigener Kraft zu stemmen, so wie die Verbände ihrerseits die Vergütungen für ihre Funktionäre. Auch für den DOSB würde das zur Pflicht, sollte ein neuer Antrag auf finanzielle Entschädigung für präsidiale Arbeit demnächst eine Mehrheit finden. »Was das betrifft, sind alle Ebenen in derselben Situation. Sie müssen diese Aufwendungen budgetieren und in ihre Haushaltspläne aufnehmen. Das heißt, man muss finanzielle Spielräume haben, um sich das überhaupt leisten zu können. Ein weiteres Axiom lautet: Vergütungen müssen angemessen und dürfen nicht überhöht sein«, berichtet Franz-Martin Schäfer, Leiter der juristischen Beratung bei der DSEE, gegenüber jW. Erschwerend hinzu komme der Aspekt nachbarschaftlicher Konkurrenz. »Der eine Verein zahlt die Ehrenamtspauschale von maximal 840 Euro, der andere nicht.«

Getrennte Buchführung, bitte!

Vorbei die Zeiten, als der traditionell zuverlässigste Anreiz zum ehrenamtlichen Mitmachen, die kameradschaftliche, gesellige Gemeinschaft von Sporttreibenden, billig und leicht zu haben war. In seinen Anfängen kam das ehrenamtliche Moment naiv daher, nicht ahnend, auf welche Untiefen die »Gilde der guten Geister« im neuen Jahrtausend zusteuern würde. Weil beruflich oft Juristen, Ärzte oder im Kaufmännischen zu Hause, besorgten die »Funktionäre alter Schule« ihr sportliches Tagewerk anfangs in den eigenen Geschäftsräumen oder Büros. Selbst – seinerzeit überschaubare – Kosten für Telefon, Schreibutensilien und Porto wurden privat bezahlt. Verbandsbosse halten das noch heute so. Wenn er in seiner Funktion als Präsident der Deutschen Triathlon-Union (DTU) mit dem Auto unterwegs sei, würden ihm pro Kilometer 30 Cent erstattet und ihm mit der Bahn ein Zweite-Klasse-Ticket zugestanden. Tagegelder seien ein Fremdwort, für die Vorbereitung einer Heim-WM in Hamburg habe er eigens Urlaub genommen, erläuterte Martin Engelhardt gegenüber jW eine noch durchaus gängige und gelebte Praxis. »Das ist nicht nur bei uns so. Das ist selbstverständlich. Das weiß jeder vorher, wenn er sich um so ein Amt im Sport bewirbt.«

Schnell indes hatte das uneigennützig-freihändige Gebaren einen Dämpfer bekommen. So erinnert sich eine frühere Verbandspräsidentin, die als Anwältin zugunsten ihres Sports einst sogar Prozesse mit hohem Streitwert honorarfrei führte. Dem Fiskus, sobald es ihm auffiel, ging dieses nachgerade heroische Engagement gegen den Strich. Getrennte Bücher wurden verlangt, die Vermengung von Beruflichem und Sportlichem strikt untersagt, wie es einem Land wohl ansteht, das mit den weltweit kompliziertesten Steuer- und Wahlgesetzen aufwartet. Schluss mit »einfach«, doch Ausgaben fürs Ehrenamt plötzlich separat ausweisen? Nicht leicht bis unmöglich in Zeiten, da es für Telefonate keinen Einzelgesprächsnachweis gab. Die Paragraphen gewannen, die Verbandsspitzen mussten sich beugen und ihr Ehrenamt fortan anders praktizieren – vielleicht die Geburtsstunde der gleichnamigen Pauschale von derzeit bis zu 70 Euro monatlich.

Personelle Sorgen

Die guten ehrenamtlichen Seelen zu streicheln, die Politik aufzufordern, deren gewaltige Leistungen mehr zu würdigen, tut dringend Not. Gerade auch, weil bei den Vereinen die personellen Sorgen enorm sind, wie im bereits oben angeführten zweibändigen »Sport­entwicklungsbericht für Deutsch­land, 2020–2022« (SEB) nachzulesen. Bei einer Analyse vor vier Jahren zeigte sich, dass bundesweit 42,7 Prozent aller Sportvereine »mindestens ein existentielles Problem« haben. In absoluten Zahlen sind das rund 37.600 Adressen. Im Vergleich zur Analyse von 2017 hatte dieser Anteil binnen drei Jahren um 16,2 Prozent »signifikant zugenommen«.

Als Gründe für diese besorgniserregende Entwicklung wird folgendes ausgeführt: »Das mit Abstand größte existentielle Problem stellt nach wie vor die Bindung bzw. Gewinnung von ehrenamtlichen FunktionsträgerInnen dar.« 14,6 Prozent der Vereine hätten sich im Herbst 2020 deswegen in ihrer Existenz bedroht gefühlt. Übersetzt und im Klartext: jeder siebte! Man stelle sich vor, Donner würde beim Turnverein Seckbach unmittelbar vorm 150. Gründungsjubiläum, das auf den 9. Juni 2025 fallen wird, hinschmeißen. Freilich werde er das nicht tun, sagt er als echter Sportsmann. Obwohl es ihn schwer gewurmt habe, als ihm seine Vorstandsmitstreiter im Mai nicht einmal zum 60. Geburtstag gratulierten. Manchmal sind es vermeintliche Kleinigkeiten und Gesten, die übers Weitermachen oder Aufhören einzelner entscheiden – womöglich mit dramatischen Konsequenzen für Wohl und Wehe einer Abteilung oder eines Gesamtvereins. Vorstände unterliegen hier bekanntlich keinerlei Kündigungsfristen.

Eine weitere Baustelle, auf die im SEB verwiesen wird: Für knapp jeden zehnten Verein sei die Bindung bzw. Gewinnung von Mitgliedern existenzbedrohend. »Zudem stellen auch weiterhin bürokratische Hürden wie die Anzahl an Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften die Vereine vor wachsende Herausforderungen, während gleichzeitig die mangelnde Unterstützung durch Politik und Verwaltung ein konstant großes Problem darstellt.« Rund 30 Prozent der Vereine schätzen dem SEB zufolge das letztgenannte Problem als »groß bzw. sehr groß« ein. Mit Hinweis auf die überbordenden bürokratischen Belastungen heben sogar 38 Prozent die Hände!

Mit und ohne »Gänsefüßchen«

»Die Vereine müssen sich immer mehr anstrengen und strecken, um arbeitsfähig zu bleiben. Das ist kein typisches Problem des Sports und wahrlich kein kleines. Dieser Befund gilt ebenfalls für andere Bereiche des Ehrenamts«, weiß Schäfer von der DSEE aus seiner täglichen Beratungspraxis. Eingeklemmt zwischen behördlichen Auflagen, persönlicher Haftung sowie größeren Anforderungen der heutigen Arbeitswelt kapitulieren langjährige Mistreiter oder suchen händeringend Nachfolger wie Nachwuchs. »Hinzu kommt, dass Zeit für jeden ein immer kostbareres Gut geworden ist.«

Der organisierte Sport ist sukzessive ins Dilemma geraten. Einerseits ist fern jeder Neiddiskussion verständlich, dass unter den veränderten Verhältnissen das unentgeltliche Prinzip antiquiert anmutet. Partiell braucht es heute nun mal dieses »bezahlte Ehrenamt«, das in Gänsefüßchen. Andererseits kann darum unmöglich das traditionelle Ehrenamt ohne Gänsefüßchen ausgedient haben. Ganz im Gegenteil. Etwas für die Allgemeinheit leisten, ohne dafür einen wie immer gearteten finanziellen Vorteil zu erwarten oder zu bekommen, das ist und bleibt ein hohes Gut nicht nur im und für den Sport.

Beim Ehrenamt ist es wie überall: hier die vielen, die Kleinen im Verborgenen und dort die wenigen, die Prominenten, die Großen im Licht. Zusammen machen sie das Ganze aus, einen Schatz, den es gemeinsam zu bewahren gilt. Es gehört darum zur ständigen Verantwortung der »Ehrenamtlichen neuen Typs«, im Zusammenspiel mit den »Klassikern« dieses feine Gespür nicht außer acht zu lassen. Offenheit und Ehrlichkeit auf diesem sensiblen Spielfeld kann vertrauensbildend sein. Transparenz kann allerdings auch das Gegenteil bewirken, nämlich dann, wenn die »bezahlten Ehrenamtler« mit berechtigtem Anspruch auf Entschädigungen nicht maßhalten und unanständig werden.

Das Gesamtsystem ist mittlerweile auf ehrenamtliche Akteure nach alter und neuer Prägung existentiell angewiesen. Das vielschichtige, hochkomplexe Sportsystem und ebenso andere gesellschaftliche Bereiche kommen nicht mehr aus ohne diese Symbiose aus verschiedenartigen Ehrenamtlern zurecht. Es wäre höchste Zeit, auf dieses Szenario auch sprachlich zu reagieren. Begriffe werden gebraucht, um Vertreter dieser Spezies und ihr solidarisch-verbindendes Wirken in der Gesellschaft treffend und differenziert zu benennen. Welch schöne Aufgabe für Philologen.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in André H. aus Neumünster (11. September 2024 um 10:51 Uhr)
    Jetzt singt also auch die jW eine Hymne auf das Ehrenamt. Die Gesellschaft sollte sich vielmehr daran gewöhnen, dass auch die Ware Arbeitskraft nicht umsonst oder billig wie Dreck zu haben ist. Das müsste im Sinne einer marxistischen Zeitung sein!

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