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Aus: Ausgabe vom 10.09.2024, Seite 2 / Ausland
Fernfahrerstreik in Kolumbien

»Sie versuchen, die Arbeiter zu spalten«

Kolumbien: Fernfahrer wehren sich erfolgreich gegen Erhöhung der Dieselpreise. Ein Gespräch mit Diógenes Orjuela
Interview: Alejandro Gómez, Medellín
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Nichts geht mehr: Autobahnblockade nördlich von Bogotá (4.9.2024)

Vergangene Woche haben in Kolumbien Lkw-Fahrer aus Protest tagelang Straßen im ganzen Land mit ihren Fahrzeugen blockiert. Worum ging es bei dem Streik?

Am 30. August wurde der Dieselpreis per Dekret erhöht. Präsident Gustavo Petro erklärte, es gehe darum, ein Haushaltsdefizit von 56 Billionen Pesos (rund 12 Milliarden Euro, jW) auszugleichen, das auf die niedrigen Kraftstoffpreise zurückzuführen sei. Er schloss sich damit Empfehlungen des IWF an, die Kraftstoffpreise dem internationalen Markt anzupassen. Darauf haben die Fernfahrer mit Protesten und Blockaden reagiert. Am 6. September haben die Arbeiter die Regierung damit gezwungen, die Preiserhöhung aufzuheben und wieder Gespräche mit den Fernfahrern aufzunehmen.

Das Haushaltsdefizit hängt mit dem Fonds zur Stabilisierung der Treibstoffpreise zusammen. Was hat es damit auf sich und wie steht die Gewerkschaft dazu?

Der Fonds wurde 2007 von der rechten Regierung von Álvaro Uribe geschaffen. Der IWF erlegte Kolumbien dieses Konstrukt auf, um Ölgesellschaften höhere Einnahmen zu garantieren. Kolumbien ist bei der Erdölversorgung autark. Wegen des Fonds muss es den Preis seiner Kraftstoffe aber internationalen Preisen anpassen. Die Gewerkschaft hat sich immer dagegen ausgesprochen. Die Herstellung von Diesel und Benzin ist viel billiger. Dieses sogenannte Defizit ist fiktiv. Die Regierung Petro hätte dieses Gesetz längst abschaffen müssen!

Wen subventioniert der Staat mit diesem Fonds?

Es gibt keine echte Subvention! Für Ecopetrol (Kolumbiens größter Erdölkonzern, jW) kostet die Herstellung einer Gallone Diesel (ca. 3,8 Liter, jW) weniger als einen Euro – und sie verkauft ihn für mehr als einen Euro. Die Erdölgesellschaft hat in den letzten vier Jahren rund sechs Billionen Pesos (rund 1,3 Milliarden Euro, jW) eingenommen. Die Förderung, Raffination und Vermarktung des Erdöls haben Ecopetrol erhebliche Gewinne beschert. Was heute für eine Gallone gezahlt wird, nämlich etwa zwei Euro, sind Steuern und Abgaben, und dieses Geld geht im allgemeinen an die Aktionäre.

Die Lkw-Fahrer werden beschuldigt, Mafiosi oder sogar Putschisten zu sein. Was sagen Sie dazu?

Es ist ein alter Trick kolumbianischer Regierungen, die Streikenden zu beschuldigen, Verschwörer zu sein. Beim Streik gegen die Regierung von Juan Manuel Santos wurden sie beschuldigt, Mitglieder der Guerilla zu sein. Auch bei den Streiks gegen die Regierung Iván Duque wurden sie der Verschwörung beschuldigt. Das ist jetzt um so verwerflicher, als es sich angeblich um eine fortschrittliche Regierung handelt. Welchen Grund haben sie, zu solchen Mitteln zu greifen? In Kolumbien gibt es über 450.000 Dieselfahrzeuge mit rund 350.000 Besitzern. Es gibt viele kleine Transportunternehmen, 80 Prozent haben höchstens zwei Fahrzeuge. Und die großen Unternehmen besitzen nur 20 Prozent der Dieselfahrzeuge im Land.

Die Proteste von 2021 waren die größte antiimperialistische Mobilisierung der jüngeren kolumbianische Geschichte. Welche Rolle spielten die Lastwagenfahrer und Transportunternehmer damals?

Sie waren Teil des nationalen Streikkomitees. Als Präsident der Central Unitaria de Trabajadores leitete ich selbst die ersten Mobilisierungen in den Jahren 2019 bis 2022. Die Transportarbeiter waren an der allgemeinen Führung des Streiks beteiligt. Der Forderungskatalog beinhaltete die Ablehnung der Erhöhung der Treibstoffpreise. Generell gab es in den sozialen Kämpfen Kolumbiens immer eine enge Beziehung zwischen der Gewerkschaftsbewegung und dem Fernfahrerbetrieb.

Noch 2021 kämpften Sie gemeinsam mit der Partei des heutigen Präsidenten Petro gegen die Preispolitik der Regierung Duque. Wie erklären Sie sich den Positionswechsel der Regierung Petro?

Sie versuchen, die Transportarbeiter zu spalten, indem sie sagen, es handle sich um einen Streik der Großunternehmer und nicht der Transportarbeiter. Aber das Ausmaß des Streiks und der Blockaden zeigt, dass die Entscheidung der Regierung, den Treibstoffpreis zu erhöhen, falsch war. Das trifft nicht nur die Transportbetriebe, sondern die gesamte kolumbianische Gesellschaft. Die Regierung Petro bekämpft ihre früheren Kampfgenossen mit den Methoden ihrer Vorgänger.

Diógenes Orjuela ist Vizepräsident der kolumbianischen Gewerkschaft UNETE

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