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Aus: Ausgabe vom 10.09.2024, Seite 4 / Inland
Angriffe auf das Asylrecht

Liberaler Pushback

Zweites Treffen von Bund, Länder und Unionsparteien zu Migrationspolitik. FDP agitiert für mehr Härte. 27 Organisationen appellieren an Regierung
Von Kristian Stemmler
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Wegen »irregulärer Migration« gibt es seit 2015 stationäre Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze (4.4.2024)

Die FDP erhöht den Druck auf ihre Koalitionspartner, vor allem auf Bündnis 90/Die Grünen, und macht sich zusehends die Positionen der Union zu eigen. Wenn sich die Migrationspolitik des Bundes nicht ändere, werde »die Demokratie einen enormen Schaden bekommen«, hat FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai nach einer Präsidiumssitzung seiner Partei am Montag behauptet. Deutschland sei »sowohl qualitativ als auch quantitativ« überfordert. Es dürfe »keine Denkverbote geben«.

Offenbar war damit auch die Unionsforderung nach Zurückweisungen von Geflüchteten an den Grenzen gemeint. CDU-Chef Friedrich Merz hatte diese zur Bedingung für die Fortsetzung der am vergangenen Dienstag begonnenen Gespräche mit der Bundesregierung und den Ländern gemacht. Das zweite Gespräch war für diesen Dienstag angekündigt worden. Bundeskanzler Olaf »Endlich im großen Stil abschieben« Scholz (SPD) hatte der Opposition bei dem Thema am Sonntag erneut eine Kooperation angeboten, ohne einer Erfüllung der Unionsforderung konkret zuzusagen. »Wir haben schon Zurückweisung an der Grenze, wir haben schon Grenzkontrollen«, sagte er im ZDF-»Sommerinterview«. Ein »effektives Grenzmanagement« sei etwas, »das wir gerne weiter und auch mit Unterstützung der Opposition ausbauen wollen«.

Am Montag erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit dazu in Berlin, die Regierung werde der Union und den Ländern bald die Ergebnisse der zugesagten juristischen Prüfungen zu den asylrechtlichen Aspekten vorlegen. »Daraus entscheidet dann die größte Oppositionspartei, ob man das als eine mögliche Grundlage sieht, um noch einmal zusammenzukommen«, fügte er hinzu.

In der ARD-Sendung »Bericht aus Berlin« hatte CSU-Chef Markus Söder am Sonntag abend Zurückweisungen als Mittel zur Reduzierung »illegaler Migration« befürwortet. Auch einer Abschaffung des grundgesetzlichen, individuellen Rechts auf Asyl redete Söder das Wort. Aus einem subjektiven Recht müsse langfristig ein »institutionelles Grundrecht« gemacht werden. Der CSU-Chef wärmte zudem die Idee von einer willkürlich festgelegten Obergrenze auf. Derzeit würden rund 300.000 Asylanträge gestellt, diese Zahl müsse »deutlich auf weit unter 100.000 auf Dauer reduziert werden«. »Die Zahl kann ich mir zu eigen machen«, sagte FDP-Chef Christian Lindner in derselben Sendung.

Nachdem auch der Landkreistag mit Forderungen nach einer deutlich restriktiveren Migrationspolitik aufgetreten war, schlossen sich 27 Organisationen zu einem gegenteiligen Appell an die Bundesregierung zusammen. Sie rufen dazu auf, die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte zu wahren. Forderungen nach asylrechtlichen Verschärfungen würden diesen Werten eindeutig widersprechen. So seien Zurückweisungen an den Binnengrenzen »eindeutig europarechts- und menschenrechtswidrig«, wie es im Appell heißt, den unter anderem Pro Asyl, Amnesty International, die Diakonie und Arbeiterwohlfahrt sowie der Paritätische Gesamtverband unterzeichneten. »Neue Asylrechtsverschärfungen werden diejenigen, die die Gesellschaft weiter spalten wollen, nie zufriedenstellen – sie werden ihre menschenverachtende Hetze gegen schutzsuchende Menschen weiter verbreiten«, erklärte Wiebke Judith von Pro Asyl dazu.

Doch die nächsten materiellen Verschlechterungen für Geflüchtete lassen nicht mehr lange auf sich warten. Der Bundestag soll sich am Donnerstag erstmals mit den Gesetzentwürfen zur Umsetzung des sogenannten Asyl- und Sicherheitspakets der Bundesregierung befassen. Wie die Parlamentsverwaltung am Montag mitteilte, liegen zwei Gesetzentwürfe zur Beratung vor: einer »zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems« und ein weiterer »zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung«. Die Ampel-Koalition hatte die Gesetzesänderungen nach dem Messeranschlag von Solingen mit drei Toten von Ende August angekündigt.

Die AfD-Bundestagsfraktion legte unterdessen bei einer Sondersitzung Arbeitsschwerpunkte bis zur Bundestagswahl fest, mit der Migrationspolitik als »Mutter aller Probleme« (Tino Chrupalla). Die Fraktion fordert etwa Zurückweisungen an den Grenzen, schnellere Abschiebungen abgelehnter Asylsuchender und »notfalls auch« das Errichten von Grenzzäunen. Für Menschen ohne Ausweispapiere solle es keine Asylverfahren und abweichend vom Grundgesetz Bürgergeld nur noch für deutsche Staatsbürger geben. Asylsuchenden und Flüchtlingen will die AfD nur noch Sachleistungen »nach dem Prinzip ›Brot, Bett und Seife‹« zugestehen.

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