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Aus: Ausgabe vom 11.09.2024, Seite 6 / Ausland
Jammu und Kaschmir

Unruhegebiet vor Votum

Jammu und Kaschmir: Vor fünf Jahren entzog Modi-Regierung der Region. Nun stehen Wahlen an
Von Thomas Berger
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Paramilitärs im Einsatz für den Wahlkampf von Modis BJP in Srinagar (29.8.2024)

Fünf Jahre ist es her, dass die indische Zentralregierung unter Premier Narendra Modi 2019 Verfassungsartikel 370 außer Kraft setzte, dem Unionsstaat Jammu und Kaschmir die Autonomierechte entzog und ihn in zwei zentral verwaltete Unionsterritorien aufteilte. Erstmals seither stehen nun Regionalwahlen an. Beginnend am 18. September, hat die lokale Bevölkerung über drei Phasen bis zum 1. Oktober Gelegenheit, über die Vergabe von 90 Sitzen zu entscheiden. 47 Wahlkreise liegen im muslimisch dominierten Kaschmirtal, 43 in der religiös heterogeneren Teilregion Jammu. Bei den indischen Parlamentswahlen vor knapp einem halben Jahr hatte das von Gewalt und staatlicher Repression geplagte Gebiet mit 58 Prozent die höchste Wahlbeteiligung seit 35 Jahren. Erwartet wird nach fünf Jahren »Fremdverwaltung« durch einen aus dem fernen Delhi gesteuerten Generalgouverneur nun auch bei den Regionalwahlen eine gute Resonanz.

Jammu und Kaschmir ist ein historisch einzigartiges Teilgebiet der indischen Föderation. Erst nachträglich hatte sich das nach dem Ende der britischen Kolonialära auf dem Subkontinent zunächst eigenständig gebliebene Fürstentum dem jungen Indien angeschlossen, um militärischen Beistand gegen pakistanische Angriffe zu haben. Der damalige Herrscher war zwar Hindu, als einzige Region Indiens sind aber die Muslime in der Mehrheit. Im Gefolge mehrerer Kriege der verfeindeten Nachbarn ist das Gesamtgebiet von Jammu und Kaschmir geteilt: Das größere Segment gehört zu Indien, rund ein Drittel steht unter pakistanischer Oberhoheit. Seit Jahrzehnten, besonders seit einer Gewaltwelle Ende der 1980er Jahre, sind die innenpolitischen Fronten verhärtet. Einheimische Separatistengruppen streiten entweder für die Wiederherstellung der Eigenstaatlichkeit oder den Anschluss an Pakistan. Von dort aus sind zudem radikalislamisch-terroristische Gruppen grenzüberschreitend aktiv. Im Gegenzug ist der frühere Unionsstaat stark militarisiert, Armee und paramilitärische Gruppen sind wegen Übergriffen insbesondere bei der Jugend verhasst.

Vor dem Hintergrund dieser komplexen Lage an Feindseligkeiten sind Allianzbildungen schwierig und selten von langer Dauer. Die beiden wichtigsten Regionalparteien National Conference (NC) und Peoples Democratic Party haben früher jeweils schon mit der hindu-nationalistisch Regierungspartei Bharatiya Janata Party (BJP) von Premier Narendra Modi und der sozialliberalen Kongresspartei (INC) paktiert, den einzigen wirklich nationalen Parteien. Im aktuellen Wahlkampf haben sich NC und INC verbündet. Mit einem Kandidaten für die Allianz in Südkaschmir sind als kleiner Partner auch die Kommunisten der CPI-M dabei. Die Peoples Democratic Party tritt eigenständig an. Ziel aller drei Kräfte ist es, der Regierungspartei einen Denkzettel zu verpassen und sie an der Wahlurne noch einmal für die Abschaffung von Artikel 370 zu bestrafen. Die Modi-Partei hat jedoch unter Hindus in Jammu eine solide Gefolgschaft, in Kaschmir ist sie vor allem indirekt über verbündete Kleinparteien präsent.

Boykottiert werden die anstehenden Wahlen wie auch schon in der Vergangenheit von den Kashmiri Pandits. Das ist eine etwa 300.000 Mitglieder zählende Gruppe einst vor der zunehmenden Gewalt aus dem Kaschmirtal geflüchteten alteingesessenen Hindus – meist Brahmanen oder aus anderen hohen Kasten. Sie fordern nach wie vor eine offizielle Anerkennung des »Genozids« an ihrer Volksgruppe. Neue Dialogbereitschaft mit der Zentralregierung hat hingegen der moderate Teil der Hurriyat Conference signalisiert. Das Bündnis umfasst diverse islamisch-separatistische Gruppierungen.

Die Stimmenauszählung soll eine Woche nach der letzten Teilabstimmung am 8. Oktober stattfinden. Erst danach wird klar sein, wie schwierig sich die künftigen Mehrheitsverhältnisse möglicherweise darstellen und welche Botschaft davon nach Delhi geht.

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