Unabhängiger regiert weiter in Algerien
Von Sabine KebirAlgerien gilt im Westen als »autoritärer« Staat, was die am Sonnabend abgehaltenen Präsidentschaftswahlen auch zu bestätigen scheinen. Mit 94,65 Prozent der Stimmen der Wahlberechtigten sicherte sich Abdelmadjid Tebboune eine zweite Amtszeit. Obwohl sich die ehemalige Kolonialmacht Frankreich auch nicht mehr einer lupenreinen Demokratie erfreut, wurde dort besonders scharf kritisiert, dass der Opposition jegliche Chancen versagt worden sei. Von 16 Bewerbern um das Amt, darunter zwei Frauen, waren nur drei Kandidaten zugelassen worden. Den anderen fehlte die geforderte Anzahl Unterschriften, oder es fand sich Unzulässiges in ihren Dossiers. Neben dem als Unabhängiger kandidierenden Tebboune, der unter anderem von der ehemaligen Einheitspartei FLN unterstützt wurde, traten noch Abdelali Hassani als Repräsentant des als islamistisch geltenden Mouvement de la Societé pour la Paix (MSP) und Youcef Aouchiche von der Front de Forces Socialistes, einer laizistischen Partei, die gesamtnational agiert und traditionell die Rechte der etwa 30 Prozent umfassenden Bevölkerungsgruppe der Berber vertritt, an. Hassani erhielt 3,2 Prozent der Stimmen, Aouiche 2,2. Da die Wahlkommission selbst Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung gemeldet hat, können sich die Zahlen noch ändern, das Ergebnis wohl nicht.
Der 78jährige Tebboune, der 2019 die Nachfolge des senilen, die Korruption nicht mehr kontrollierenden Abdelaziz Bouteflika antrat, hat nicht nur wegen der weltweit gestiegenen Nachfrage nach Öl und Gas eine ökonomisch positive Bilanz aufzuweisen. Er organisierte – vielleicht nach chinesischem Vorbild – eine beispiellose Verfolgung der Korruption, die nicht nur Industriekapitäne, sondern auch ehemalige Regierungsmitglieder bis hin zu zwei Ministerpräsidenten und hochrangige Militärs hinter Gitter brachte. Industrielle Infrastrukturprojekte und der Wohnungsbau wurden vorangetrieben. In seiner Amtszeit wurde Algerien unabhängig von zuvor erheblichen Weizenimporten. Da inzwischen auch die Versorgung mit Obst und Gemüse sichergestellt ist, verärgerte Tebboune die EU, indem er ein Importabkommen für Lebensmittel nicht verlängerte. Dass Löhne, Renten und Arbeitslosengeld kontinuierlich stiegen, will allerdings nicht heißen, dass es keine Unzufriedenen gibt. Für seine nächste Amtszeit versprach Tebboune unter anderem weitere Lohnerhöhungen und zwei Millionen neue Wohnungen. Zur Bekämpfung der Spekulation sollen die Preise für Grundnahrungsmittel gedeckelt werden. Als Negativum seiner Amtszeit ist die Einschränkung der Presse- und Medienfreiheit zu nennen, die zur Zeit Bouteflikas größer war.
Aouiche hatte mehr Freiraum für die politische Opposition zugesagt – vor allem für die mundtot gemachten Organisatoren des Hirak – der das ganze Land erfassenden gewaltfreien Demokratiebewegung, die zur Absetzung Bouteflikas geführt hatte und im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie zum Erliegen gebracht wurde. Auch er sagte Preiskontrollen zu. Andere Versprechen klangen selbst für europäische Ohren utopisch: eine Art Gehalt für Hausfrauen und ein die Hälfte des Mindestlohnes betragendes bedingungsloses Grundeinkommen für alle.
Das auch von Hassani versprochene Gehalt für Hausfrauen ist eine alte Forderung der Islamisten, die Frauen vor allem als Betreuerin des Haushalts und der Kinder sehen wollen. Außerdem versprach er zinslose Kredite, um Jugendlichen, Rentnern und Hausfrauen zu wirtschaftlicher Eigenaktivität zu verhelfen. Unausgesprochen blieb, dass das MSP prinzipiell eine neoliberale Wirtschaft anstrebt und staatliche Regulierungen ablehnt, weil diese angeblich den »spezifischen Grundsätzen« der Nation widersprächen. Problematisch wäre auch die von Hassani angemahnten Reformen des Bildungswesens, das seit der Unabhängigkeit nicht an zuwenig, sondern an zuviel islamistischem Einfluss krankt.
Es mag stimmen, dass die beiden Konkurrenten Tebbounes gezielt ausgewählt wurden, um eine höhere Wahlbeteiligung als 2019 zu erreichen. Damals waren nur 40 Prozent der Wahlberechtigten an die Urne gegangen, jetzt waren es immer noch magere 48.
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