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Aus: Ausgabe vom 11.09.2024, Seite 8 / Ansichten

Wille zum Krieg

Aufmarsch des Westens vor China
Von Jörg Kronauer
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Die deutsche Fregatte »Baden-Württemberg« im Hafen von Incheon (6.9.2024)

Hätte die Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen auf Kuba internationales Recht gebrochen? Wohl kaum. Und dennoch entschied Moskau Ende Oktober 1962, auf den Schritt zu verzichten. Hätte es stur auf seinem Recht beharrt, wer weiß, ob heute noch irgend jemand einen Zeitungskommentar schreiben oder einen lesen könnte. Man tut gut daran, sich das zu vergegenwärtigen, wenn es um die immer häufiger wiederholten Fahrten westlicher Kriegsschiffe durch die Taiwanstraße geht.

Penetrant insistieren deutsche Politiker und Militärs, in den vergangenen Tagen etwa der CDU-Hardliner Roderich Kiesewetter und Bundeswehr-Generalinspekteur Carsten Breuer, sofern die Fregatte »Baden-Württemberg« und der Einsatzgruppenversorger »Frankfurt am Main« für ihre Fahrt aus Südkorea auf die Philippinen die Route zwischen Taiwan und dem chinesischen Festland wählten, anstatt ganz einfach östlich an Taiwan vorbeizufahren, sei das nur ihr gutes Recht. Das trifft zu, und das bestreitet auch niemand. Es gibt Unterschiede in der Auslegung des Seerechts bezüglich der Frage, was Kriegsschiffe tun dürfen, wenn sie vor fremden Küsten kreuzen. Zahlreiche einst kolonialisierte Länder sind dabei restriktiver. Sie haben ihre Erfahrungen mit der Kanonenbootpolitik der Kolonialmächte gemacht. Das Recht auf friedliche Durchfahrt in einer Entfernung von der Küste aber, wie sie an der Mittellinie der Taiwanstraße gemessen wird, bestreitet niemand grundsätzlich – auch China nicht.

Aber darum geht es gar nicht. Wer das militärische Geschehen in der Asien-Pazifik-Region verfolgt, weiß genau: Die westlichen Staaten rüsten dort gewaltig auf. Die USA machen sich mit ihren Streitkräften auf der gesamten ersten Inselkette von Japan über Taiwan bis hin zu den Philippinen breit. Ihre Präsenz auf Japans südwestlichsten Inseln löst bereits Proteste in der Bevölkerung aus. In den meisten Ländern Südostasiens – Ausnahme: die Philippinen – wird das Geschehen mit großer Sorge beobachtet. Einige der US-Spezialkräfte, die als Ausbilder nach Taiwan entsandt wurden, werden inzwischen auf den Penghu-Inseln in der Taiwanstraße und auf Kinmen eingesetzt; Kinmen ist kaum noch zwei Kilometer vom chinesischen Festland entfernt. Dass China es als Bedrohung begreift, wenn nun auch noch westliche Kriegsschiffe vor seiner Küste patrouillieren – wie einst die britische Flotte im Opiumkrieg oder später die Deutsche Marine vor der Niederschlagung der Boxerrebellion – das liegt nahe.

Man kann nun hart wie Kruppstahl auf einem Recht beharren, das niemand bestreitet, und Chinas begründete Sorgen ignorieren. Theoretisch könnte man auch handeln wie die Sowjetunion Ende Oktober 1962, die auf ihr Recht verzichtete, weil sie den Krieg nicht wollte. Dieser Wille aber geht den herrschenden Klassen im Westen, auch der deutschen, ab.

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  • Leserbrief von Max (13. September 2024 um 11:19 Uhr)
    Das Ergebnis der Kuba-Krise war ein Abkommen, nach dem sowohl die Sowjetunion ihre Raketen mit Sprengköpfen von Kuba abzog als auch die USA ihre Jupiter-Raketen mit Atomsprengköpfen aus der Türkei – also aus ähnlicher Nähe zur Sowjetunion. Es war also eher ein 50:50-Ergebnis. Die zweite Seite der Kuba-Krise wird in den westlichen (NATO-)Erzählungen permanent nicht erwähnt. In der jW sollte die Komplexität von historischen Ereignissen besser berücksichtigt werden.
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (11. September 2024 um 18:39 Uhr)
    Genau! Und ich wundere mich darüber, dass das undiplomatische BRD-Außen-Lieschen noch nicht die seinerzeitige »Hunnenrede« Kaiser Wilhelms II. (1900) abgesondert hat. Aber wahrscheinlich kennt ihr Souffleur Mr. Blinken diese erst gar nicht.
  • Leserbrief von m.lücke aus Berlin (11. September 2024 um 15:24 Uhr)
    https://www.bundestag.de/resource/blob/938168/b0f334e6c4cb428134df8c069e2e3d0c/WD-2-012-23-pdf-data.pdf
  • Leserbrief von Dr. Kai Merkel aus Wuppertal (11. September 2024 um 11:14 Uhr)
    Unserer Transatlantiker-Ampel reicht der Krieg in Europa noch nicht. Nein, es muss auch noch ein Krieg in Asien her. Wenn der amerikanische Exzeptionalismus bedroht wird, stehen die Vasallen bei Fuß. Ein asiatisches Land hat es gewagt, nachdem man seine Arbeitskräfte jahrzehntelang billig ausgenutzt hat, wirtschaftlich stärker zu werden als das Imperium. Damit ist es zu einer »Bedrohung« für unsere »westlichen Werte« (sic), (neusprech ist »regelbasierte Ordnung«) geworden. Diese militärischen Provokationen ggü. China sind dreist und völlig offensichtlich. Wenn dann irgendwann den Chinesen der Kragen platzt, und deren Führung wegen Glaubwürdigkeit reagieren muss? Tja, dann geht es hier wieder los, gegen eine »imperialistische Diktatur«, vor welchem wir, der »Westen«, die Welt ja schützen muss. Militärisch. Bis zum letzten Taiwaner. Selbstverständlich. Die Geschichte wiederholt sich. Klimawandel, Ungleichheit, Transformation der Industrie u. v. m. … man könnte meinen, die Menschheit hat dringendere Probleme als einen neuen großen Krieg in Asien.
  • Leserbrief von R.Brand (11. September 2024 um 08:50 Uhr)
    Taiwan ist laut Völkerrecht ein Teil Chinas, genauso wie Kinmen. Ich bezweifle, dass irgendein Land aus Natonazistan oder sonstwo ein Recht hat, dort mit Kriegsschiffen durchzufahren.

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