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Aus: Ausgabe vom 11.09.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kunst

Eine Frage der Selbstachtung

Erinnerungen an den Kunst- und Architekturhistoriker Friedrich Möbius
Von Peter Michel
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Ferdinand Hodler: »Aufbruch der Jenenser Studenten in den Freiheitskrieg 1813«, Öl auf Leinwand, 1908/09

Die ältere Generation der Kunstwissenschaftler und -publizisten, die bis zu den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in der DDR wirkte und Bedeutendes leistete, hat bis auf wenige Ausnahmen die Bühne des Lebens verlassen. Dazu zählen etwa Peter H. Feist, Wolfgang Hütt, Irma Emmrich und zahlreiche andere, deren wissenschaftliche Arbeit nun in ihren Publikationen weiterwirkt und von manchem der heute Jungen neu entdeckt wird.

Auch Friedrich Möbius gehörte dazu. Sein Hauptarbeitsgebiet war die sakrale Baukunst der karolingischen, ottonischen und folgenden romanischen Zeit. Er begriff sie nicht als pure Abfolge architektonischer Formungen; vielmehr begeisterte er seine Leser und Zuhörer mit umfassendem Wissen, mit einer Sicht auf die Ganzheit des gesellschaftlichen und religiösen Lebens jener Zeit.

Der von ihm ins Leben gerufene interdisziplinäre Jenaer Arbeitskreis für Ikonographie und Ikonologie entwickelte sich in den 80er Jahren zu einem Forum gesamtdeutscher Methodendiskussionen. Zwischen 1953 und 2015 publizierte er ungezählte Bücher und Aufsätze über Forschungsergebnisse in Fachzeitschriften und wissenschaftlichen Sammelwerken. Seit 1966 hatte er bereits über die Synthese von Architektur und bildender Kunst aus historischer Sicht geschrieben, über das Liebespaar als Thema der europäischen Kunst, hatte Bücher über Baumeisterbildnisse des Mittelalters oder über aktuelle Probleme architekturbezogener Kunst rezensiert. Doch beschäftigte er sich auch immer wieder mit der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, so mit dem Schaffen des Weimarer Graphikers Otto Paetz, mit den Graphiken Frans Masereels oder mit dem Gemälde »Auszug der Jenenser Studenten« von Ferdinand Hodler. Als in Weimar 1999 die unsägliche Ausstellung »Aufstieg und Fall der Moderne« installiert wurde, meldete er sich kritisch zu Wort.

Am 24. Mai 1928 wurde Friedrich Möbius in Dresden geboren, studierte 1948 bis 1952 Kunstgeschichte an der Leipziger Universität, promovierte 1958 in Jena über die Stadtkirche und habilitierte 1967 über das karolingische Westwerk. 1971 wurde er erstmals zum Professor für Kulturtheorie berufen. 1976 bis 1991 war er dann Professor für Kunstgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 1991 veröffentlichte Möbius seine Autobiographie »Wirklichkeit – Kunst – Leben«. Selten habe ich eine solche Selbstdarstellung gelesen; sie ist ein Lehrstück des ehrlichen Umgangs mit der individuellen Vergangenheit und mit den Umständen des eigenen Lebens. »Für mich war Wissenschaft niemals nur ein Job zum Geldverdienen, sondern immer Arbeit an der Selbstfindung«, notierte er dort. An keiner Stelle beschränkte er sich auf biographische Äußerlichkeiten, sondern zeichnete mutig und selbstkritisch geistige Metamorphosen nach, wie sie für viele seiner Generation typisch waren und wohl nur von jenen einfühlend nachvollzogen werden können, die unter ähnlichen Umständen ihren Lebenskreis gestalteten und nicht nach den derzeit gängigen Schemata urteilen.

Konsequent vertrat er die Auffassung, dass es auch für die Gegenwart keine ausgearbeitete Realismustheorie geben könne ohne wissenschaftliche Aufarbeitung des Wirklichkeitscharakters der religiös bestimmten Kunst der Feudalepoche. Auch der früh- und hochmittelalterliche Sakralbau war ihm ein »aufgeschlagenes Buch menschlicher Wesenskräfte«. Nahezu dramatisch ist die autobiographische Darstellung der Ereignisse, die 1991 zu seiner Entlassung aus dem Jenaer Hochschuldienst führten. Bis ins Detail beschriebt Friedrich Möbius jeden Schritt dieser Hexenjagd – als einen von Tausenden Vorgängen, die die massenhafte Ausgrenzung der Osteliten nach der »Wende« und die Herrschaft zweitrangiger Westeliten in der ostdeutschen Hochschullandschaft zum Ziel hatten. Dieses Buch macht deutlich: Solange die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR als Machtinstrument und nicht als kritisch zu wertende Quellensammlung für seriöse Historiker genutzt werden, kann von der inneren Einheit der Deutschen nicht die Rede sein. Doch es gab auch Solidarität: Die Universität Hamburg trug ihm für 1992/1993 eine Vertretungsprofessur an, und in den folgenden Jahren bis 1995 war er Gastprofessor an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Nicht nur sie wussten sein fundamentales Wissen und seine Methodik zu schätzen. Er war schon vor 1989/90 als führender Mediävist der DDR international gefragt. Das zählte – nicht die Machtspiele jener, die seine Selbstachtung nicht brechen konnten.

Nun ist auch er am 7. August 2024 gestorben. In seinen Memoiren steht melancholisch: »Der Weg, den ich gegangen bin, ist von der Geschichte nicht bestätigt worden. Dass ich einstmals so große Hoffnung mit dem verlorengegangenen Staat verbunden hatte, bleibt als Erinnerung.«

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