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Aus: Ausgabe vom 11.09.2024, Seite 12 / Thema
Pädagogik

Schule der Moral

Vor 300 Jahren wurde der aufklärerische Pädagoge Johann Bernhard Basedow geboren. Er stellte die Erziehung in den Dienst an der Gesellschaft
Von Christoph Horst
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Unterricht im Naturalienkabinett – Illustration aus Basedows »Elementarwerk« von Daniel Chodowiecki

Der Pädagoge Johann Bernhard Basedow ist zu seinem 300. Geburtstag so vergessen, dass der Buchhandel nur eines seiner Werke im Billigreprint und keinen einzigen Sekundärtitel lieferbar hat. Aktuellere Geschichten der Pädagogik handeln ihn mit nur wenigen Worten ab, universitäre (Abschluss-)Arbeiten werden kaum noch über ihn geschrieben. Zu Lebzeiten und einige Dekaden darüber hinaus jedoch war Basedow ein Star der pädagogischen Theorie und Praxis. Er wirkte durch die Gründung des Philanthropins, der ersten aufklärerischen Idealen verpflichteten Schule, und durch seine von Zeitgenossen viel gelesenen und diskutierten Schriften. Basedow rüttelte in der Mitte des 18. Jahrhunderts aus für Pädagogen aller Zeiten typischer Unzufriedenheit mit dem herrschenden Schulsystem an den Fundamenten der damaligen Erziehungs- und Unterrichtspraxis, um alles von Grund auf anders zu machen.

Doch nicht unbedingt nur besser: Ende der 1970er stand Basedow noch einmal im Zentrum einer Debatte, als Katharina Rutschky ihre Quellensammlung mit dem Schlagwort gewordenen Titel »Schwarze Pädagogik« veröffentlichte. Nicht nur waren hier einige seiner Texte veröffentlicht, sondern auch von seinen Mitstreitern, die den Umschlag von Aufklärung in eine strenge Moraldiktatur aufzeigen. Tatsächlich zeigen Basedows Schriften, wie die Hinwendung zum Kind kindfeindlich wird, indem die Aufklärer von oben herab dem Kind das für es und vor allem die Gesellschaft vermeintlich Beste aufzwingen.

Wunder lieber später

Basedow hatte sicherlich ein interessantes Leben, jedoch enthält seine Biographie im Gegensatz zu seinem Werk nicht viel, was nach 300 Jahren noch gewinnbringend zu erzählen wäre. 1724 wurde er in Hamburg geboren und hatte als Jugendlicher Anlaufschwierigkeiten in seiner Karriere, da er vor seinen Eltern in eine ungeplante Zukunft floh. Nach einem Studium der Theologie und Philosophie in Leipzig, wo der progressive Dichter Christian Fürchtegott Gellert großen Einfluss auf Basedow und die anderen Studenten hatte, wurde er schließlich 1752 in Kiel über die praktische Anwendung der Erziehungsmethoden John Lockes promoviert. Die Pädagogik als eigenständige wissenschaftliche Disziplin gab es damals noch nicht. Wertvolle Erfahrungen für seine Dissertation machte er als Hauslehrer. Diese Stelle, bei der er auch seine am kindlichen Alltag anknüpfende Vermittlung des Lateinischen ausprobierte, hatte ihm, wie Basedows Biograph Jürgen Overhoff vermutet (»wahrscheinlich«), Friedrich Gottlieb Klopstock mit seinen Beziehungen verschafft. Als Hochschullehrer erst in Dänemark und nach dortigen Konflikten in Altona geriet Basedow immer wieder wegen seiner liberalen Religionsauffassung und dem Konzept einer natürlichen Religion mit der protestantischen Amtskirche in Konflikt. So wurden er und seine Familie auch vom Abendmahl ausgeschlossen, damals eine der höchsten Strafen der Kirche, die vor allem auf soziale Isolation zielte. Die aufgewiegelten Gläubigen warfen ihm die Fensterscheiben ein. Aufgrund weltanschaulicher Differenzen galt er theologischen Kollegen als Ketzer, weil er beispielsweise bestritt, dass die Qualen der Hölle ewig andauern.

Interessanterweise wurde das organisierte Luthertum erst durch einen religionspädagogischen Streit innerhalb der Aufklärung auf Basedow aufmerksam. Basedows Ansatz, Kinder erst zu Jugendzeiten mit den Mysterien der Religion zu konfrontieren, wurde heftig kritisiert von Gotthold Ephraim Lessing, mit dem Basedow in Leipzig gemeinsam bei Gellert studiert hatte. Lessing fand, dass gerade kleine Kinder für Wunderglauben offen seien und man ihnen Offenbarungen und ähnlich Übernatürliches nicht vorenthalten dürfe. In diesem Streit zeigt sich exemplarisch, wie sehr die deutsche Aufklärung in religiösen Denkmustern verhaftet blieb. 1771 ging Basedow samt Familie ins Fürstentum Anhalt-Dessau, das Christoph Martin Wieland wegen der Politik des fortschrittlichen Herrschers Fürst Franz als »die Zierde und den Inbegriff des XVIII. Jahrhunderts« bezeichnete. Dort gründete er das Philanthropin und leitete es, bis er 1785 an eine Mädchenschule in Magdeburg wechselte, wo er 1790 auch verstarb.

Die Gründung des Philanthropins in Dessau, eine Schule, die das pädagogische Programm des Philanthropismus, also der aufgeklärten Menschenfreundlichkeit, in die Praxis übersetzte, gilt zu Recht als bis heute einflussreiche pädagogische Pioniertat. 1774 wurde die Einrichtung auf Betreiben und unter dem Schutz von Fürst Franz eröffnet und startete mit drei Schülern. Aber das Philanthropin wurde auch durch offensives Werben Basedows schnell Gesprächsstoff in Gelehrtenkreisen. Kant, der auch pädagogische Vorlesungen hielt, empfahl die Schule, ohne je dort gewesen zu sein und vermittelte einen Schüler. Viele tonangebende Intellektuelle besuchten und lobten sie. Führende Pädagogen der Zeit unterrichteten am Philanthropin.

Joachim Heinrich Campe, der mit seinen Jugendbüchern große Berühmtheit erlangte und das Revisionswerk, eine vielbändige pädagogische Sammlung, editierte, war kurzzeitig deren stellvertretender Leiter. Auch Christian Gotthilf Salzmann war hier Lehrer. Er gründete später in Schnepfenthal sein eigenes philanthropisches Institut und wurde ebenfalls als pädagogischer Schriftsteller bekannt (»Konrad Kiefer«, »Krebsbüchlein«, »Ameisenbüchlein«). Zu den bekanntesten Lehrern gehören auch Friedrich Eberhard von Rochow, der sich zuvor schon um die Bildung für alle in seinem Herrschaftsbereich Reckahn (bei Potsdam) bemühte und Christian Wolke, Basedows Sekretär und später Nachfolger in der Leitung. Auch Ernst Christian Trapp, ab 1779 der erste Pädagogikprofessor Deutschlands – zuvor wurde die Pädagogik von Theologen und Philosophen mitverantwortet – unterrichtete hier. Das Philanthropin bestand bis 1793. Erst 1947 wurde der im Gebäude ansässigen Schule wieder der bis heute bestehende Name Philanthropinum gegeben (so auch der ursprüngliche Name, der damals zur Vereinfachung im allgemeinen Sprachgebrauch gräzisiert wurde), mit dem an aufklärerische Traditionen angeknüpft werden sollte.

Zweck und Nutzen

Was Basedows Pädagogik zur Menschenfreundlichkeit ausmachte, war vor allem eine Hinwendung des Unterrichts zur Praxis. Schon als junger Hauslehrer unterrichtete er seinen Zögling im Lateinischen nicht durch Auswendiglernen der Grammatik, sondern durch Anschauung der Gegenstände. Und dies wollte er für alle Fächer durchgesetzt wissen: Die konkrete Natur bietet den Stoff, an dem Kinder lernen können. Diese didaktische Wende wird in der Pädagogikgeschichte zumeist mit dem Erscheinen von Rousseaus »Émile oder Über die Erziehung« in Verbindung gebracht. Und tatsächlich hat Basedow dessen Thesen in Deutschland popularisiert. Er hat sie jedoch nicht einfach übernommen und war auch kein reiner Verbreiter fremder Ideen, denn seine ersten pädagogischen Veröffentlichungen liegen schon einige Jahre vor dem Erscheinen des »Émile« 1772.

Zeitgenosse Goethe beschreibt Basedow in »Dichtung und Wahrheit« als hellen Kopf, aber schwierigen Charakter, der bei seinen Versuch, Spenden für pädagogische Projekte zu sammeln, potentielle Sympathisanten mit seinem offensivem Agitationsstil verprellte. Diese Erfahrung machte er bei einer gemeinsamen Urlaubsreise 1774 nach Bad Ems. Man sollte Goethe nicht ungeprüft jedes Wort glauben, aber dass Basedow aufbrausend war, wird auch von anderen Zeitgenossen bestätigt. Das war allerdings nicht der Grund, weshalb Campe das Philanthropin 1777 nach elf intensiven Monaten der Lehrtätigkeit fluchtartig verließ. Vielmehr schrieben die beiden sich in den Tagen nach Campes Weggang noch Briefe voller Hochachtung. Campe war eher der Unterlegene in einem Streit innerhalb des Kollegiums. Er stand für eine sittenstrenge Vernunftorientierung und war mit den Schwärmern und von ihm so verspotteten »Genies« aneinandergeraten, die im Bann eines Werther-Gefühls an der Schule eine gefühlsbetonte Laxheit einziehen ließen. Basedow war offenbar kein geeigneter Leiter, solche internen Differenzen ausbalancieren zu können. Dieser Konflikt führte letztlich auch zur Schließung der Einrichtung.

Basedow übertrug die Unterordnung des Individuums unter öffentliche Interessen auf das Erziehungswesen. Er propagierte eine Diktatur der Moral im Dienste von Gesellschaft und Nation. Albert Reble stellt als Herausgeber der ausgewählten Schriften Basedows (1965) als dessen Kernsatz heraus: »Der Hauptzweck der Erziehung soll sein, die Kinder zu einem gemeinnützigen, patriotischen und glückseligen Leben vorzubereiten.« Basedow war schriftgewandt genug, um diese Reihenfolge ernst zu nehmen. Ein Kind muss demnach zuvorderst der Gesellschaft und der Nation dienen, bevor sein Glück in den Blick gerät. Die Schriften Basedows sind durchzogen von einer disziplinierenden Strenge gegen sich und andere, wie sie der Aufklärung eigen ist. Alle Menschen haben sich dem moralischen Gesetz in ihnen zu unterwerfen, das historisch doch immer mit dem Gesetz des Staates problemlos in Einklang gebracht werden kann – egal um welchen Staatstypus es sich handelt. Für Basedow stand außer Frage, dass der Staat Bildung nicht nur organisiert, sondern über Bildung auch die Kinder zu Staatsbürgern macht, die sich seinen Interessen unterordnen müssen. Ihm war beispielsweise selbstverständlich, dass der Staat die Schüler danach sortiert, ob sie studieren dürfen und damit »von dem Staate selbst zu seinen wichtigen Diensten erzogen und gebildet werde(n)«.

Wie sehr der Umgang der Erwachsenen mit den Kindern im Philanthropismus verzweckt wird, erkennt man bei Basedow an seinen Forderungen an das Spiel. Er steht hier in erzieherischer Tradition, und bis heute ist Erziehern reines Spiel ohne das Zielen auf einen höheren Sinn suspekt. Ein aktueller Beitrag zur Grundschulpädagogik beginnt mit den Worten: »Spielen ist niemals nutzlos.« Für bürgerliche Erziehung mit ihrer Forderung nach Bildungseffizienz trifft dies zu. Bei Basedow wird schon der spielerische Umgang mit dem Säugling durchrationalisiert: »Kurz, jedes Spiel, jeder Scherz mit Säuglingen oder mit Kindern, die nicht viel älter sind, muss mit Absicht auf Kenntnis der Gegenstände und ihrer Namen und auf Vorübungen der Sprachglieder und anderer Teile des Leibes eingerichtet sein«, heißt es in den »Vorstellungen an Menschenfreunde und vermögende Männer über Schulen, Studien und ihren Einfluß in die öffentliche Wohlfahrt« (1768). Möglichst schnell möglichst viel ins Kind zu trichtern, ist Legitimation für das Spielerische schon beim Säugling. Dies ändert sich in den späteren Entwicklungsstadien der Kindern nicht: »Es ist also möglich, fast alle ihre Spiele lehrreich einzurichten, ohne ihnen die Lust daran zu benehmen.«

Dass Spiele überhaupt eingerichtet werden müssen und man den Kindern nicht einfach unvernutzte Zeit für sich zugesteht, ist ideologische Konsequenz von Erziehungszielen, von pädagogischer Teleologie, nach der ein Kind erzogen wird, um etwas ihm Äußeres zu erreichen. Schon Locke wollte alles, »was Kinder zu tun haben, zu vergnüglichem Spiel und Kurzweil« machen. Es lässt sich die Pflicht leichter ertragen, wenn man das Spiel zu ihrem Zwecke instrumentalisiert. Philanthropin-Lehrer Salzmann wird schließlich nur noch die Pflicht gelten lassen: »Sie spielen lassen? (…) wer sieht aber nicht, daß ihnen dies ebenso nachteilig sei als Mohnsaft, dessen die Kinderwärterinnen sich oft bedienen, um die Kinder zur Ruhe zu bringen.«

Konsequent strafen

Wie schwierig es für die philanthropische Pädagogik war, sich von der damals vorherrschenden Erziehung der Zucht und Strenge zu lösen, zeigt auch ihr Umgang mit Strafen. Diese sollten laut Basedow nicht sein, außer wenn sie wirklich nötig sind und dann aber gnadenlos: »Man sei gefaßt und ernsthaft, man kündige die Strafe an, man strafe und sage weiter nichts, bis die Handlung geendigt und der gestrafte kleine Verbrecher wieder fähig ist, neuen Rat und neue Befehle zu verstehen.« Dieser Ratschlag, wie zu strafen sei, um Gehorsam zu erzwingen, wird um eine Warnung vor Milde ergänzt. Wenn ein Kind um Gnade bittet, sollen die Erwachsenen hart bleiben: »Denn derjenige welcher züchtigt, darf niemals seinen Prozeß bei Widersetzlichkeit der Kinder oder wegen eines gewaltsamen Schreiens derselben verlieren. Sie müssen jedesmal durch die Tat überzeugt werden, daß alles dieses ihnen nicht helfe, sondern nur ihr Übel vermehre.« Produziert wird die totale Ohnmacht des Kindes gegenüber dem Erwachsenen.

Bei aller vorgeblichen Menschenfreundlichkeit zielen Basedows Erziehungsbemühungen nur auf einen Teil der Kinder. Zum einen anfangs ohnehin nur auf Jungen (auch wenn seine Tochter ebenfalls am Philanthropin unterrichtet wurde und Basdow sich später für die Mädchenbildung stark machte), zum anderen auf eine geistige und soziale Elite. Zwar hatte Basedow auch untere Schichten durchaus im Blick, aber wichtig waren ihm die Kinder aus besserem Hause. Nur diese konnten sich das Schulgeld leisten, aber auch nur sie waren dazu aufgerufen, als Gelehrte das »Salz der Nation« zu werden. Der »gemeine Haufen« sollte eine abgespeckte Bildung erhalten. Die Härte des Begriff muss etwas relativiert werden, ein Haufen ist tatsächlich damals als Mengenangabe gemeint. Auch Campe spricht zu Beginn seiner Privatlehrerlaufbahn davon, wenige Schüler (aus wohlhabendem Hause) aufzunehmen, »weil ich überzeugt bin, daß die sittliche Erziehung bey einem größeren Haufen nicht gelingen kann«. Es bleibt aber die Scheidung in die qua Geburt für Höheres Auserwählten und den Rest. Gleich am Anfang seines Methodenbuches (»Das Methodenbuch für Väter und Mütter der Familien und Völker«, 1771) ist sich Basedow dessen bewusst und will das Praktizierte zur programmatischen Ausnahme erklären: »Wir müssen aber ordentlicherweise für ein jedes unserer Kinder in gleichem Grade sorgen, außer in solchen seltenen Fällen, in welchem wir dem menschlichen Geschlechte und dem Vaterlande mehr dienen, wenn wir die innerlichen und äußerlichen Vorzüge einiger Kinder mehr zu befördern versuchen, als der anderen.« Kriterium für bevorzugende Förderung ist also nicht das Wohl des Individuums, sondern das des Vaterlands.

Die Sprache des 18. Jahrhunderts hat viele Dinge offen ausgesprochen, die heute verschleiert werden. So schrieb Basedow auch, dass die »Studierenden zu den abgeteilten Ständen der Gelehrten zubereitet werden.« Das Verb beinhaltet seine und eigentlich alle Pädagogik. Auf die Aufklärer trifft dies besonders zu, da sie das Kind als natürlich rein und unbeschrieben ansehen und mit ihm alles anstellen, es beliebig formen zu können glauben. In seinem »Methodenbuch« gibt Basedow ähnlich wie John Locke (»Some Thoughts Concerning Education«, 1693), mit dem er sich darin auch auseinandersetzte, Salzmann mit seinem »Ameisenbüchlein« (»oder: Anweisung zu einer vernünftigen Erziehung der Erzieher«, 1806) nach ihm und vielen anderen sehr konkrete Hinweise, wie Kinder zu behandeln seien – von der Beschaffenheit des Betts über gutes Strafen bis zum richtigen Frühstück. Janusz Korczak schrieb über diesen Literaturtyp, der noch heute als Erziehungsratgeber von vielen Autoren bedient wird, in »Wie man ein Kind lieben soll« (1918): »Ich weiß nicht und kann nicht wissen, wie mir unbekannte Eltern unter unbekannten Bedingungen ein mir unbekanntes Kind erziehen können.« Allerdings leitet er mit diesen Worten einen eigenen Ratgeber ein. Basedow wollte nicht weniger als die Schablonisierung der gesamten kindlichen Entwicklung unter dem Diktat der Moral. Und auch wenn er dabei die Position des »Menschenfreunds« einnahm, ist das Beste, was man über sein Programm sagen kann, dass er sich mit späteren romantischen Bestrebungen, die sich zeitweise intensiv an seiner Vernunftorientierung abarbeiteten, ehrende Gegnerschaft verschaffte.

Bekenntnisoffener Unterricht

Bis heute anhaltende Bedeutung erlangte Basedow auch dadurch, dass er eine Loslösung der Bildung aus der jahrhundertelangen Herrschaft der Kirche anstieß. Zwar war er selbst ausgebildeter Theologe und praktizierender protestantischer Christ, wollte Bekenntnisse aber aus dem Schulwesen heraushalten. In »Vorstellung an Menschenfreunde« plädierte er für eine staatliche anstatt kirchliche Aufsicht über das Bildungswesen und rüttelte zudem am zeitgenössischen Konsens, dass nur Christen bildungsbegabte Menschen seien: »Können Euklids Anfangsgründe, weil er ein Heide war, nicht nützlich sein?« (»Vorstellung an Menschenfreunde«, Paragraph 5, mit dem programmatischen Titel »Man muss die Person nicht ansehen, welche Vorschläge zur Verbesserung gibt«).

Basedow wollte Bildungsfragen einem fachlich, aber auch politisch besetztem »Kollegium« unterstellen. Möglicherweise wäre er mit den heutigen Bildungsministerien einverstanden. Dabei forderte er mehr, als heute umgesetzt wird, wenn er darauf drängte, dass Religion beim Zugang zur Bildung kein ausschließendes Kriterium sein darf. Denn noch immer gibt es in Deutschland öffentlich finanzierte Bekenntnisschulen (siehe jW-Thema, 3.5.2024). Den Religionsunterricht abschaffen wollte er aber nicht. Vielmehr plädierte er neben methodischen Fragen – Erklären anstatt Auswendiglernen der Glaubenssätze – für einen überkonfessionellen Unterricht in natürlicher Religion. Am Philanthropin wurde tatsächlich ein fast religionskundlicher, überkonfessioneller Religionsunterricht erteilt. Zudem setzte sich Basedow für religiöse Toleranz ein, wie sie auch seine Mitstreiter Moses Mendelssohn und Gotthold Ephraim Lessing vertraten, mit denen er korrespondierte. Für die christlichen Aufklärer bedeutete Toleranz aber nicht viel mehr, als in ihrem Gott weiterhin die offenbarte Wahrheit zu sehen und alle anderen trotz ihres Fehlglaubens generös zu dulden. Toleranz kann sich besonders der Privilegierte leisten. Dass dies ein historischer Fortschritt war, spricht Bände über die vorherige Epoche. Aber Basedow machte tatsächlich Ernst mit seinen Ideen: Ab 1778 wurden im Philanthropin auch jüdische Schüler zugelassen.

War Basedow nun ein »Prophet«, wie Goethe in seinem Nachruf auf ihn schrieb? Vom Staat her gedacht ganz sicherlich, vom Kind aus gedacht trotz einiger positiver Ansätze eher nicht, da er am Individuum in erster Linie die abstrakte Kindheit im Blick hatte, mit der es etwas anzufangen gilt, das über die Kinder hinausweist.

Christoph Horst schrieb an dieser Stelle zuletzt am 3. Mai 2024 über Religionsunterricht an öffentlichen Schulen.

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