Folklore zum Bestaunen
Von Carmela NegreteIn einer Zeit, in der die AfD einen Wahlerfolg nach dem anderen feiern kann und selbst vermeintlich Linke rechte Demagogie übernehmen, sind dokumentarische Beiträge über die immer schwächer werdende Antifabewegung wichtig und notwendig. So erscheint auch der Dokumentarfilm »Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte« zur richtigen Zeit. Seit dem 21. August ist er in ausgewählten Kinos zu sehen. In dem Film des Kollektivs »Leftvision« wird von Anfang an klar, dass es bekanntermaßen die Sieger sind, die die Geschichte schreiben.
»Zum ersten Mal sprechen fünf Antifaaktivist:innen ausführlich über die Hintergründe und Praktiken einer ungewöhnlich professionellen Bewegung, die der aufblühenden Neonaziszene im wiedervereinigten Deutschland nach 1989 entgegentrat«, beschreibt »Leftvision« den Film. Darin berichtet die Nazigegnerin Kessy von ihrer Arbeit im Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin (Apabiz) von 1998 bis 2011. Dort sammelte die Protagonistin gemeinsam mit ihren Genossen wichtige Informationen über die Neonaziszene und wertete die Erkenntnisse aus, was nicht nur Antifagruppen, sondern der breiten Öffentlichkeit zugute kam. Andere Akteure berichten in dem Film von ihren Erfahrungen mit Kampfsporttraining und der Verteidigung linker Zentren – dort, wo aus Sicht der Dokumentation »der Staat versagte«. Zudem werden die Mobilisierungen gegen faschistische Aufmärsche in großen und kleinen Orten quer durch die Republik thematisiert. Die Aktivisten trauen sich, vor der Kamera offen darüber zu sprechen, welche Schritte sie gegen Neonazis unternommen haben.
»Schulter an Schulter« verwendet eine einfache Sprache und stellt nur wenige, tiefgehende ideologische Fragen. Die fünf Protagonisten Nina, Kessy, Torsten, Navid und Laura wirken durch ihre geschilderten Erlebnisse dennoch keineswegs wie kopflose Jugendliche, die nur Aktionen gegen rechts organisierten. Die Dokumentation kann heutigen jungen Menschen durchaus als Anleitungsfilm für Taktiken und Erfahrungen der Antifabewegung dienen. »Antifa ist kein bloßer Rückblick, sondern eine inspirierende Aufforderung zur kritischen Reflexion über die Kraft des Widerstands gegen den aufkeimenden Neofaschismus«, heißt es entsprechend auf der Webseite zum Film.
Themen wie der Gazakrieg und die Spaltung der Antifabewegung durch linksliberale »Antideutsche« oder auch die Kritik der antiimperialistischen Antifa werden in der Dokumentation bewusst ausgeklammert. Das Lied, mit dem der Film endet, lässt jedoch eine Tendenz erkennen: »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« des Sängers Danger Dan, Mitglied der antideutschen Rapformation namens »Antilopen Gang«. Und obwohl drei der Interviewten aus dem Osten Deutschlands stammen, kommen Unterschiede zwischen Ost und West nur am Rande zur Sprache. Auch dass die aktuelle rechte Welle auch aus der Politik der »extremen Mitte« erwächst, sprengt offenbar den Rahmen und den Fokus dieser Dokumentation. Dennoch lohnen sich die 97 Minuten voller ernsthafter, humorvoller und emotionaler Erzählungen und Bilder.
Das linke Kollektiv »Leftvision« verfügt über eine beeindruckende Menge an Rohmaterial zu linken Demonstrationen, das es seit seinem Bestehen gesammelt und nun gekonnt mit weiteren Archivaufnahmen zusammengestellt hat. Die ehrenamtliche Gruppe produziert seit Jahren Mobilisierungs- und Demovideos, um, wie sie auf ihrer Webseite schreibt, »der erstarkenden rechten Öffentlichkeit auch im Web einen starken, kritischen und emanzipatorischen Akteur entgegenzusetzen«. Ihr Ziel ist es demnach, »gesellschaftskritische, antirassistische und antineoliberale Überzeugungen in Verbindung mit sozialen Bewegungen« auf wirkungsvolle Weise zu vermitteln.
2022 veröffentlichte das Kollektiv den Film »Rise up« über weltweite Proteste und bereits 2018 die Dokumentation »Hamburger Gitter« über die Repressionen nach dem G20-Gipfel in der Hansestadt. Für »Antifa« konnte das Kollektiv über 20.000 Euro per Crowdfunding sammeln. Nach der Kinotournee soll der Film im Winter online verfügbar sein.
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