Antimuslimischer Terror im »Bharat«
Von Thomas BergerBei den indischen Parlamentswahlen vor wenigen Monaten mag die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) von Premier Narendra Modi zwar einen Dämpfer bekommen haben. Doch in weiten Landesteilen sind die Hindu-Fundamentalisten nicht nur die weiterhin politisch dominante Kraft. Die rund 200 Millionen Muslime als größte Minderheit sind vielerorts in Sorge wegen fortgesetzter Anfeindungen und verfestigter lokaler Netzwerke der Rechten, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken. Schon länger macht sich bei dieser Volksgruppe ein Klima der Angst breit. Für die militant-nationalistischen Gruppen geht es darum, das »heilige Land« gegen angebliche Eindringlinge zu beschützen. Für sie ist Indien nicht der säkulare Staat mit einer vielgestaltigen Gesellschaft, wie verfassungsrechtlich fixiert, sondern »Bharat«, also eine Hindu-Nation.
Zu den Beispielen für Übergriffe gegen Muslime gehören die Ereignisse in der Kleinstadt Purola im Mai 2023. Nach der Entführung eines Mädchens fanden muslimische Geschäftsleute dort Zettel an ihren Läden vor, die sie explizit zum Weggehen aufforderten. Im Wissen, dass es nicht bei warnenden Worten bleiben mag, flohen 20 Familien – zumeist zu Verwandten in Dehradun, Regionalhauptstadt des Unionsstaates Uttarakhand. Viele kehrten zwar nach einem Monat zurück, als Medienberichte wie in der Hindustan Times von einer »Normalisierung der Lage« schrieben. Das Leben in Purola sei für die Bedrohten aber nicht mehr wie vorher, sagte ein Gewerbetreibender ein Jahr später gegenüber der Times of India (TOI). Einige Muslime hätten ihre Häuser schon verkauft. Andere sind nach der traumatischen Erfahrung nie zurückgekehrt. So wie der 36jährige Mohammad Salim, mit dem ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP dieser Tage an seinem Zufluchtsort Haridwar sprach. »Wäre ich an jenem Tag nicht entkommen, hätten sie mich und meine Familie umgebracht«, sagte der Vater dreier Töchter.
»Verschiedene Organisationen und Personen versuchen, mit Hass zwischen den Volksgruppen ihre eigenen Interessen durchzusetzen«, zitierte die TOI Samar Bhandari, Sozialaktivist und Mitglied der Kommunistischen Partei Indiens (CPI). Gerade das vermeintliche Argument des sogenannten »Love Jihad« (Entführung und Heirat von jungen Hindu-Frauen durch Muslime) dient Radikalen vielfach als Basis für Attacken auf die Minderheit. In der etwa 10.000 Einwohner zählenden Kleinstadt Purola waren es laut AFP mehrere hundert Männer, die sich in einer lokalen Hindu-Miliz zusammengeschlossen hatten.
Die Gruppen, die in Indien gemeinhin unter der Bezeichnung Safranfront oder Sangh Parivar subsumiert werden, sind ein ausgedehntes Netzwerk. Die BJP ist die parteipolitische Speerspitze bis in den parlamentarischen Raum, »Mutterorganisation« der Reichsfreiwilligenbund (Rashtriya Swayamsevak Sangh, RSS). An der Basis treten die Schlägertrupps der Bajrang Dal oder Mitglieder des Welthindurates (Vishwa Hindu Parishad, VHP) meist besonders radikal auf. Dass die national seit 2014 regierende BJP im gesellschaftspolitischen Diskurs zunehmend die Deutungshoheit ausübt, vergiftet das oft jahrzehntelang friedliche Zusammenleben hinduistischer und muslimischer Nachbarn. Muslime befürchten darum, die Pogrome von Gujarat 2002, die 2.000 Todesopfer gefordert hatten, könnten sich ähnlich andernorts wiederholen.
Die ideologischen Grundlagen für die Hetze sind 100 Jahre alt und stammen von Vinayak Damodar Savarkar, der als Begründer des Hindu-Nationalismus gilt. Auf Basis seiner Schriften gründete Keshav Baliram Hedgewar 1925 den RSS. »Steuert Indien auf einen antimuslimischen Genozid zu?« fragte schon 2021 das Time Magazine. Und während Modi vor einem Jahr beim G20-Gipfel Indien als funktionierende Demokratie anpries, hatte im Juli 2023 gerade ein Bahnpolizist in einem Zug das Feuer auf seinen Vorgesetzten und drei Passagiere – alle Muslime – eröffnet, mit tödlichem Ausgang. Unter anderem der katarische Sender Al-Dschasira und das progressive Portal Clarion India schrieben im Juni zudem über einen früheren BJP-Abgeordneten, der online drohte, »200.000 Muslime abzuschlachten«.
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