»Kriege verstärken Ungleichheit«
Interview: Milan NowakSie rufen mit auf zur Friedensdemonstration »Nein zu Kriegen« am 3. Oktober in Berlin. Was hat Sie dazu bewegt?
Seit unserer Gründung 2005 setzen wir uns als Bundesverband der Migrantinnen für Frieden ein. Die aktuelle Weltlage ist besorgniserregend. Sie ist geprägt durch bewaffnete Konflikte, gewaltsamen Extremismus sowie schwere Menschenrechtsverletzungen. 2024 gibt es so viele bewaffnete Konflikte wie seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr. Die Zahl der Todesopfer ist auf einem Höchststand. Die Industriestaaten rüsten auf und provozieren Eskalationen, die zu einem weiteren Weltkrieg führen können. Verbale Drohungen mit Atomwaffen werden lauter. Am meisten leidet die zivile Bevölkerung, allen voran Frauen und Kinder. Es scheint kein Ende zu finden, weil immer weiter aufgerüstet wird.
Der Krieg in Gaza und im Westjordanland hat bis jetzt über 42.000 Menschen das Leben gekostet. Gaza ist zu mehr als 70 Prozent zerstört. Normales Leben ist dort für Jahrzehnte unmöglich. Die Liste der bewaffneten Auseinandersetzungen geht noch weiter, das Leid und Elend der Menschen wird immer größer.
Was folgt für Sie daraus?
Wir können nicht darüber hinwegsehen und so tun, als würde nichts passieren, zumal unsere Regierung mit Waffenlieferungen diese Kriege weiter anfeuert. Wir fordern ein Ende dieser Politik der Aufrüstung und Verschärfung von Konflikten und Kriegen! Der Fokus muss auf den Frieden gerichtet sein.
Die Politik und öffentliche Diskussion gegen Migranten und Geflüchtete wird immer aggressiver. Wie hängt das mit der Militarisierung zusammen?
Zunächst kann ich sagen, dass die Kriegspropaganda, die in Politik und Medien vorangetrieben wird, nicht alle in der Bevölkerung überzeugt. Es werden immer mehr Stimmen lauter, die ein Ende fordern. Aber in Zeiten der Aufrüstung muss das Geld dafür irgendwo herkommen. Das geht vor allem mit Kürzungen in sozialen Bereichen, bei Ausgaben für Integration und Migrationspolitik. Während der Unmut in der Bevölkerung wächst, werden Migranten und Geflüchtete in den Fokus politischer Diskussionen gerückt. Sie werden für soziale Ungleichheiten im Land verantwortlich gemacht und als »Schmarotzer« betitelt. Uns gehe es sowieso nicht gut, und deswegen könne man Migranten und Geflüchtete nicht finanzieren, heißt es. Zweitens wird durch Angstmache vor vermeintlichen Terroristen und Gewalttätern die Militarisierung wie auch der Ausbau des Polizeistaats legitimiert.
Ihr Verband ist auch im Deutschen Frauenrat vertreten. Welchen besonderen Gefahren sehen sich Frauen ausgesetzt?
Für Frauen und Mädchen bedeuten Kriege immer auch in höchstem Maße sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt. Krieg bringt eine besondere Verschlechterung der Lebensbedingungen von Frauen und LGBTQIA+-Menschen, die zunehmend Diskriminierungen und Unterdrückungen ausgesetzt sind. Kriege verstärken die Ungleichheit der Geschlechter und werfen hart erkämpfte Rechte um viele Jahre zurück. Geschlechtsspezifische Gewalt nimmt zu und Vergewaltigungen werden oft als Kriegswaffe eingesetzt.
Ende 2023 waren weltweit rund 118 Millionen Menschen auf der Flucht. Etwa die Hälfte sind Frauen und Mädchen, die auf ihrem Fluchtweg vielen Gefahren ausgesetzt sind. In einem fremden Land als Schutzsuchende angekommen, sind sie konfrontiert mit Rassismus, Diskriminierungen und Gewalt in Flüchtlingsunterkünften. Die Reform des europäischen Asylsystems hebelt die Menschenrechte von Geflüchteten und insbesondere asylsuchender Frauen, Mütter, Mädchen und Kinder aus und dient nur der weiteren Gewalteskalation an den EU-Außengrenzen.
Wie wirken Sie als Verband vor Ort für den Frieden?
Wir beziehen mit unseren Veröffentlichungen klar Position und rufen zur Teilnahme an Friedensveranstaltungen auf. Mit Veranstaltungen, Seminaren und Workshops laden wir ein, sich mit der weltpolitischen Lage auseinanderzusetzen, die Komplexität und die historischen Zusammenhänge zu verstehen. Die Ortsvereine wirken für ein friedliches Miteinander in Vielfalt und Solidarität. Des weiteren versuchen wir, geflüchteten Frauen konkrete bürokratische und soziale Hilfe zu leisten, damit sie ihr alltägliches Leben meistern.
Ceyda Tutan ist Vorsitzende des Bundesverbands der Migrantinnen e. V.
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