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Aus: Ausgabe vom 12.09.2024, Seite 10 / Feuilleton
Pop

Altes neues Herz

25 Jahre »69 Lovesongs«: Die Bostoner Band Magnetic Fields begeht im Wiener Volkstheater das Jubiläum ihres legendären Albums
Von René Hamann
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»I’m Sorry I Love You« – The Magnetic Fields

Es sind wirklich 69 Lieder. 69 Lieder über die Liebe. Als physischer Tonträger füllt das Meisterwerk der Magnetic Fields drei CDs oder sechs LPs. An mir sind die Tonträger bisher vorbeigegangen, und ich fürchte, das wird auch weiter so sein. Dabei sind die »69 Lovesongs« ein Meilenstein im Indiebereich.

Woran also liegt es, dass ich mir das Werk nicht zulege? Drei bis vier Gründe: Erstens, bislang habe ich nur diesen hässlichen Dreier-CD-Plastikschrott in der Hand gehabt, auf Vinyl war das Werk kaum zu kriegen. Auch am Montag abend im Wiener Volkstheater, wo die Band das 25jährige Jubiläum des Albums beging, gab es zwar einen Stand mit Merch, aber keine Tonträger. Nur Kappen und T-Shirts. What the fuck!

Zweitens, vielleicht reichen auch zwei, drei Handvoll MP3s. Oder eben der Stream, man will ja mit der Zeit gehen. Das Meisterwerk »69 Lovesongs« hat nämlich naturgemäß ein paar Füller, sehr kurze Stücke, die die Zahl vollmachen sollten. Und dann Stücke, die eher so Geschmackssache sind und hie und da nicht ganz den meiningen treffen. Das sind oft die Stücke, die eben nicht von Mastermind und Komponist Stephin Merritt gesungen werden. Der hat nämlich eine tief schnarrende Stimme wie sonst vielleicht nur Calvin Johnson oder Lee Hazlewood. Einzige Ausnahmen sind die von und gemeinsam mit Shirley Simms gesungenen »I’m Sorry I Love You« und das Call-and-Response »Yeah! Oh yeah!«.

Auch die Experimente in Kammermusik oder Irish Folk müssen nicht sein, zeigen aber das Problem der Mag­netic Fields, diesem bereits 1991 in Boston gegründeten Bandprojekt, und mit ihm das des großen Songwriters Merritt. Der körperlich gar nicht so große, mittlerweile baseballkappenbewehrte, recht korpulente Mann gilt als einer der größten Songwriter der Popgeschichte seit mindestens Brian Wilson. Zumindest bei den Indies. Tatsächlich beherrscht er alle Stile und Formen von Country über Schrammelpop bis Disco. Und doch klingen Merritt-Songs immer irgendwie, sagen wir, ähnlich. Liebliche Melodienführung, klassischer Songaufbau. Soll halt Pop sein. Pop wie früher, ohne retro zu klingen. Pop wie in Popcorn oder Zuckerwatte. Schließlich geht es thematisch um die Liebe, das neunundsechzigjährige Gefühl.

Wobei – genug des Gemeckers – die Perlen tatsächlich echte Perlen sind. Heruntergedampft auf 14 Stücke, traditionelles Beatles-LP-Format, wären die »69 Lovesongs« als Titel nur ein Scherz – anzüglich ist die Platte eh nur in Spurenelementen – und doch der Oberhammer. Aber Merritt ist Konzeptkünstler. Nach »69 Lovesongs« kamen Alben mit »Distortion«, mit Stücken, die mit »i« wie ich anfangen (auf dem Album »i«) und 50 Lieder – eins pro Jahrgang – zu seinem 50. Geburtstag.

Am Montag abend im mehr als gut gefüllten Volkstheater musste ich feststellen, dass ich am falschen Abend im Theater saß, um mir die fünf Magnetischen Felder anzusehen. Schließlich spielten sie da das zweite Set, also die Stücke 35 bis 69, und »I Think I Need a New Heart«, mein absoluter Liebling, ein Stück, das wirklich seit 25 Jahren von einem Abspielgerät zum nächsten kopiert wird, wurde schon am Sonntag gespielt. Schade!

Aber es war trotzdem schön. Ukulele, Merritts Stimme, vom Barhocker aus vorgetragen, Beats aus der Kiste oder keine Beats, Gitarre, E-Cello, alles vom Feinsten. Ein Popkonzert auf Theaterstühlen ist zwar immer etwas seltsam, aber es sind schließlich 25 Jahre vergangen, und wir werden alle nicht jünger. Die möchte ich sehen, die noch leben, wenn »69 Lovesongs« 69 wird.

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