Das Popcorn schmeckt nicht
Von Maximilian SchäfferTim Burtons konsequent mittelmäßige Dramaturgie und seine grundsätzliche Bezugslosigkeit zu jedem Dialog, wog sich immer mit seiner inszenatorischen Phantasie und seinem unvergleichlichen Händchen für Besetzungen auf. Er erfand den massentauglichen Obskurantismus, das B-Movie als A-Movie. Die Liebe zum deutschen Expressionismus und eine starke Zuneigung zu den Geschichten aus der Gruft der britischen Hammer-Studios machte »Tiny Tim« als Regisseur wie kein anderer zu seiner unverwechselbaren »Brand« (Marke). Die großen Filmstudios, die seit den 1960er Jahren durch kreative Impulsgeber aus der Gegenkultur vor dem finanziellen Ruin bewahrt wurden, sich aber auf die Unberechenbarkeit so manches Enfant terrible nicht einlassen wollten, dankten es ihm nach kurzer Probephase mit großen Aufträgen. Mit »Beetlejuice« bewies Burton 1988, dass er aus American Gothic pures Gold machen konnte und wurde sogleich mit einer Batman-Adaption betraut.
Nicht bloß der Spielleiter, auch seine Hauptdarsteller waren auf einmal im ganz großen Geschäft. Michael Keaton, der in »Beetlejuice« nur magere 17 Minuten Spielzeit hat, improvisierte sich als rasender Zombieprolet in die Herzen der Zuschauer und Produzenten. Winona Ryder machte schüchterne, depressive Gruftimädels so sexy, wie sie unterm Trauerschleier im Grunde schon immer waren. Und Danny Elfman, der Komponist der Filmmusik von »Beetlejuice«, war als Reinkarnation von E. W. Korngold auf einmal so gefragt wie vielleicht nur John Williams.
Im Jahr 2024 sind die Märchen des Tim Burton und seiner kreativen Alliierten zum Haribo unter den Kinoereignissen geworden. Sie machen Kinder froh und Erwachsene ebenso. Aktuell kann man in Berlin sogar einen Indoor-Irrgarten des Meisters besuchen, »Tim Burton’s Labyrinth« wurde lizenziert. Wie das so ist, mit Gummibärchen und sonstiger zuckriger Ware: Sie ist billig, geht schnell den Hals runter und lässt hungrig zurück. »Beetlejuice Beetlejuice«, der zweite Teil der Spukhaussatire ist stellenweise niedlich und witzig, vor allem aber seltsam seelenlos für eine illustre Geistergeschichte.
Das liegt nicht allein an den Animationen, die nur manchmal die heitere Radikalität des Originals erreichen, weil man sich nicht getraut hat, konsequent erneut auf die schon 1988 antiquierten Tricktechniken namens »Stop-Motion« und »Claymation« zu vertrauen. Sie generierten einen Großteil des wackligen Charmes von Beetlejuices Streichen. Heute müssen Computereffekte alles glattstreichen, vom gierigen Wüstenwurm bis zum garstigen Monsterbaby.
Doch ist es gerade die Besetzung, die sich nicht wohlzufühlen scheint in Burtons stellenweise recht konfusem Aufguss. Besonders Winona Ryder als Lydia Deetz, die infolge ihrer Begegnung mit dem Übernatürlichen zur TV-Persönlichkeit geworden ist, quält sich in den ersten 40 Minuten durch öde Dialoge, die Handlungsstränge abhandeln, die niemanden interessieren. Parallel laufen vier Liebesgeschichten, die alle irgendwie mit der Therapiesucht und Geschwätzigkeit der modernen Welt zu tun haben. Gesellschaftskritik schön und gut, aber was hat sie so bleischwer in der wunderbaren Welt von Beetlejuices Schwerkraft verloren? Man möchte doch Schwänke aus dem Jenseits erzählt bekommen, nicht Lamenti der Postmoderne.
Einzig Catherine O’Hara als schrullige Künstlerin Delia Deetz schafft es, dem seltsamen trockenen Realismus mit überzeichnetem Spiel etwas entgegenzusetzen. Michael Keaton ist unter den dicken Schichten Schminke zwar physiognomisch kaum gealtert, aber die Taktfrequenz seiner Sprüche und Anzüglichkeiten scheint sich halbiert zu haben. Eine Rocky Horror Picture Show lebt, wie jede Komödie, vom Timing.
Erst gegen Ende bekommt Tim Burtons Rhythmus der Absurditäten popcornverträgliches Niveau. Nach 105 Minuten austauschbarem Hollywoodbums muss man aber schon dreimal wiederholen, welchen Film man gerade gesehen hat, um sich überhaupt zu erinnern: »Beetlejuice Beetlejuice«.
»Beetlejuice Beetlejuice«, Regie: Tim Burton, USA 2024, 104 Min., Kinostart: heute
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