Die »Todesrennen« von Jharkhand
Von Thomas BergerSie hatten eine sichere Beschäftigung und Perspektiven für sich und ihre Familien erhofft. Doch nach einem Lauf in sengender Hitze kamen zwölf Polizeianwärter Ende August ums Leben. Sie hatten im indischen Unionsstaat Jharkhand bei einem Sporttest im Rahmen der aktuellen Einstellungsoffensive für den Polizeidienst teilgenommen und diesen nicht überlebt.
Am 22. August hatten die Tests für 583 offene Stellen begonnen – mit über 500.000 Bewerbern. Zum Fitnesstest vor den schriftlichen Prüfungen gehört laut Regelwerk ein Zehn-Kilometer-Lauf, der in weniger als einer Stunde zu vollenden ist. Oft war es bei dieser Prüfung extrem heiß mit Temperaturen über 30 Grad. So auch am 28. August, als eine Vielzahl von Kandidaten ihre Laufrunden auf dem Flugplatzgelände Chianki im Distrikt Palamu westlich von Jharkhands Regionalhauptstadt Ranchi absolvierten. Nicht alle hielten das durch. Einer derjenigen, die bereits vor dem Zieleinlauf zusammenbrachen, war der 25jährige Deepak Kumar Paswan, der noch bis zum 3. September lebte, als auch er schließlich in einem Krankenhaus in Ranchi starb. Damit stieg die Zahl der Todesopfer auf zwölf. Der Patient habe bei seiner Einlieferung bereits in Koma gelegen und sei an Multiorganversagen gestorben, erklärte ein Vertreter des Medanta Hospital gegenüber der Nachrichtenagentur PTI.
Aus vier der sieben Regionalzentren, wo die Einstellungsoffensive läuft, wurden ähnliche Fälle mit tödlichem Ausgang gemeldet, in Palamu waren mit inzwischen fünf die meisten Opfer zu beklagen. Die Untersuchungen der genauen Ursachen sind noch nicht abgeschlossen. Medizinisches Personal berichtete aber, Betroffene seien akut dehydriert gewesen. Auch die Vermutung, sie hätten fragwürdige leistungssteigernde Substanzen eingenommen, wurde mehrfach geäußert. Die Kombination von Hitze, körperlicher Anstrengung, Flüssigkeitsmangel und eventuell Drogen könne zu Herzversagen geführt haben, so Ärzte gegenüber einheimischen Medien. Die Einstellungstests hätten sich in ein »Todesrennen« verwandelt, schrieb die Zeitung The New Indian Express in einem Beitrag vom 1. September, als die Zahl der Todesopfer schon bei elf lag und insgesamt über 100 weitere Kandidaten in mehreren Krankenhäusern behandelt wurden. In einzelnen Berichten war zudem davon die Rede, die Betroffenen hätten bereits vor dem Lauf lange in der Hitze stehen müssen.
Insgesamt 127.772 junge Männer und Frauen hatten sich allein bis 30. August, als die Regionalregierung einen temporären Stopp verfügte, den Tests gestellt – 78.023 davon bestanden, wie Generalinspekteur Amol V. Homkar, ein leitender Polizeikommandeur, vor der Presse sagte. Chefminister Hemant Soren von der regierenden Regionalpartei Jharkhand Mukti Morcha (JMM) ließ ab 9. September zwar die Fortsetzung der Tests zu. Der Langstreckenlauf wird jetzt aber frühmorgens um 4.30 Uhr statt in der größten Nachmittagshitze absolviert. Zudem soll das Regelwerk überprüft werden. Dass statt früher nur 1,6 Kilometer inzwischen zehn Kilometer zu laufen sind, war eine Änderung der früheren Regionalregierung unter den Hindunationalisten der Bharatiya Janata Party (BJP) von Premier Narendra Modi (bis 2019). Mittlerweile in der Opposition, wirft sie der Soren-Administration nun besonders lautstark Versagen vor.
Die Todesfälle bezeichnete die Times of India als »Symptom« der hohen Erwerbslosigkeit und die Einstellungstests als »offene Kämpfe ums Überleben – um die Chance, sich den Lebensunterhalt zu sichern«. Regelmäßig kommen über 1.000 Anwärter auf eine der begehrten Stellen im Staatsdienst. Sie versprechen wenigstens einer Person aus den meist großen Familien Sicherheit und auskömmliche Bezahlung, im Alter sogar eine gewisse Pension. Das ist in einem Land, wo ein Großteil der Menschen ohne richtigen Arbeitsvertrag und längerfristige Perspektiven im informellen Sektor tätig ist und auch für junge Leute mit guter Bildung die Aussichten auf einen soliden Job eher düster sind, äußerst anziehend. Bewerber nehmen dafür viel auf sich. Sie riskieren ihr Leben.
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