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Aus: Ausgabe vom 13.09.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Israels »Schicksal«

Ständiger Krieg

Israels »Schicksal«: Fortgesetzte Aberkennung palästinensischer Staatlichkeit bietet dauerhaft Anlass für militärische Einsätze
Von Knut Mellenthin
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Angreifen, zerstören, töten und wieder abziehen: Israelische Kriegsstrategie der vergangenen Jahre (Tulkarm, 10.9.2024)

Wenn israelische Militärs und Politiker vom »Rasenmähen« sprechen, geht es in der Regel nicht um Gartenarbeit. Am vorigen Mittwoch trat Verteidigungsminister Joaw Gallant, der als kritischer Gegenspieler von Premierminister Benjamin Netanjahu in der Likud-Partei gilt, nach einer Lageberatung mit hochrangigen Offizieren vor die Presse. Die seit dem 28. August im besetzten Westjordanland laufende »Operation Sommerlager« der israelischen Streitkräfte (IDF) rechtfertigte Gallant bei dieser Gelegenheit als »Angriff, um dem Terror vorzubeugen«. »Wir mähen den Rasen, aber es wird auch der Moment kommen, wenn wir die Wurzeln ausreißen; das muss getan werden«, zitierte die Onlinetageszeitung Times of Israel den Minister. Die »Terrororganisationen« in den Städten Dschenin und Tulkarem, in den Flüchtlingslagern Nur Schams und Far’a müssten »ausgelöscht« werden. »Jeder Terrorist muss eliminiert werden«, oder »Wenn sie sich ergeben, nehmt sie fest.«

Im bisherigen Verlauf der »Operation Sommerlager« töteten die IDF nach eigenen Angaben mehr als 30 bewaffnete Palästinenser, darunter die örtlichen Leiter von Hamas und »Islamischem Dschihad« in Dschenin und in der Region Tulkarem. Insgesamt wurden seit dem 7. Oktober 2023 nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums mindestens 670 Bewohner der Westbank getötet, während die israelischen »Sicherheitskräfte« bei Kämpfen sechs Angehörige verloren. Es ist das aggressivste und umfangreichste Vorgehen der IDF auf der besetzten Westbank seit der »Operation Schutzschild« im Frühjahr 2002.

Die Theorie des »Rasenmähens« wurde zuerst von Efraim Inbar und Eitan Shamir in ihrem Aufsatz »Mowing the Grass: Israel’s Strategy for Protracted Intractable Conflict« entwickelt. Online war der Text schon seit Oktober 2013 zugänglich, gedruckt erschien er in der Februarausgabe 2014 der Zeitschrift Journal of Strategic Studies. Beide Autoren gehören zu den bedeutendsten Militärstrategen Israels, Shamir ist Geschäftsführer des Begin-Sadat Centers for Strategic Studies an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan bei Tel Aviv und Inbar Präsident des Jerusalemer Instituts für Strategie und Sicherheit.

Die Studie untersuchte die »Operation Schutzschild« im Westjordanland und im Gazastreifen (2002), den zweiten Libanonkrieg (2006) sowie die Operationen »Gegossenes Blei« (2008–2009) und »Säule der Verteidigung« (2012) im Gazastreifen. Die Grundannahme der Autoren war, dass Israel sich in einem langwierigen und dauerhaften Konflikt befinde. Weder könne es die Hamas aus der palästinensischen Gesellschaft entfernen, da sie fest darin verwurzelt sei, noch sei vermutlich eine politische Lösung erreichbar. Gewaltanwendung sei in einem derartigen Konflikt nicht darauf gerichtet, unmögliche politische Ziele zu verwirklichen, sondern diene einer »Abnutzungsstrategie« zur Schwächung der gegnerischen Kapazitäten. Durch deren Zerstörung und die damit verbundene »Abschreckung« könne Israel sich immer wieder »Ruhephasen« verschaffen, die es dringend benötige, und »Zeit gewinnen«. Dieser Vorgang müsse aber wie das Rasenmähen regelmäßig wiederholt werden. Ein »Abnutzungskrieg gegen die Hamas« werde vermutlich für lange Zeit »Israels Schicksal« bleiben.

Voraussetzung dieser scheinbar logischen Deduktionskette ist allerdings, dass Israel die Palästinenser der Westbank und des Gazastreifens weder als gleichberechtigte Staatsbürger integrieren noch in die Unabhängigkeit eines eigenen Staates entlassen will. Auf dieser selbstgemachten Basis muss tatsächlich ein ständiger Krieg bis zu irgendeinem »Verschwinden« der Palästinenser und des mit ihnen verbundenen Dauerproblems unvermeidlich erscheinen.

Naftali Bennett, damals Erziehungsminister in einer Netanjahu-Regierung und Chef einer inzwischen praktisch erloschenen Partei Ha-Bajit Ha-Jehudi (Jüdisches Haus), formulierte die Schlussfolgerung im April 2018 während der alljährlichen »Counter Terrorism«-Konferenz in Herzlia drastisch: »In unserer Gegend werden die, die das Gras nicht mähen, vom Gras gemäht«. Bennett bezog das damals ausdrücklich auf den Libanon, wo es wieder einmal Zeit sei, »den Rasen zu mähen, damit der Feind nicht blühen kann«. Da lag der letzte Krieg gegen den nördlichen Nachbarn schon »bedenkliche« zwölf Jahre zurück. Aber auch zum »Rasenmähen« im Gazastreifen drängte Bennett damals, denn anderenfalls drohe die Gefahr, »dass wir den Feind in weiteren zwei oder drei Jahren treffen«, wenn die Hamas vielleicht über 30.000 Raketen verfügen werde.

Der Krieg, den Israel nun schon seit elf Monaten im Gazastreifen führt, ist eine neuartige, zeitlich eng zusammengedrängte, konzentrierte Form der militärischen »Rasenpflege«. Während in der Vergangenheit zum Teil mehrere Jahre zwischen den einzelnen Feldzügen und Luftkriegskampagnen der israelischen Streitkräfte lagen, vollziehen die IDF seit Oktober vorigen Jahres eine rasche, kaum unterbrochene Abfolge von Vorstößen und Rückzügen, ohne dass es zur dauerhaften Besetzung von Städten, Lagern und Gebieten kommt. Die kontinuierliche Rekrutierung und Neuformierung bewaffneter palästinensischer Verbände ist der israelischen Seite geradezu erwünscht, die Wiederaufnahme sozialer und verwaltungsmäßiger Funktionen in den von den IDF geräumten Gebieten durch palästinensische Strukturen ist unvermeidlich. Israel lässt im Gazastreifen immer wieder »den Rasen« nachwachsen, um ihn dann erneut »mähen« zu können. Was die Palästinenser außerdem seit einigen Monaten erleben, ist die zunehmend genaue Übertragung dieser Methode auch auf die Westbank.

Hintergrund: Selbstgewähltes Dilemma

Israel will unter keinen Umständen einen palästinensischen Staat zulassen, hält aber für die Bewohner der seit 1967 besetzten Westbank und des abgeriegelten Gazastreifens auch keine andere Lösung bereit. Was die Regierungen der USA, der BRD und des gesamten Westens gern mit Phrasen zudecken, fasste das israelische Parlament am 17. Juli in einer eindeutigen Stellungnahme zusammen: »Israels Knesset lehnt die Schaffung eines palästinensischen Staates westlich vom Jordan mit Entschiedenheit ab. Die Schaffung eines palästinensischen Staates im Herzen Israels würde eine existentielle Gefahr für den Staat Israel und seine Bürger darstellen, den israelisch-palästinensischen Konflikt verewigen und die Region destabilisieren.«

Keine israelische Regierung, keine relevante israelische Partei hat jemals das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat anerkannt. Das gilt auch für den 1995 von einem ultrarechten jüdischen Fanatiker ermordeten Premierminister Jitzchak Rabin. Aber nie zuvor wurde die Ablehnung eines palästinensischen Staates als Parlamentsbeschluss verabschiedet.

Während die meisten Menschen weltweit davon ausgehen, dass die hartnäckige Verweigerung einer Lösung des Problems durch Israel den Konflikt als offene Wunde verewigt, hat die Knesset mit großer Mehrheit genau das entschieden. Gegen die Stellungnahme stimmten nur die Abgeordneten der arabischen Parteien. Die Vertreter der liberalen Partei Jesch Atid und der sozialdemokratischen Arbeitspartei verließen während der Abstimmung den Plenarsaal.

Die US-Regierung tat und tut so, als hätte sie nichts verstanden. Außenminister Antony Blinken verkündete nach der Abstimmung wie ein trotziges Kind, die »Zweistaatenlösung« sei nicht tot und könne es nicht sein. Und, selbstverständlich: »Die beiden heftigsten Gegner einer Zweistaatenlösung« seien der Iran und die Hamas. (km)

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