40 Sekunden Brechreiz
Von Alexander ReichDas kostenfreie Mittagessen für Grundschüler wäre etwas, auf das sich Berlin im bundesweiten Vergleich etwas einbilden könnte – wenn es denn geliefert würde. In den ersten Wochen nach den Sommerferien war das an mehr als 70 Schulen nicht der Fall. Tausende Mägen blieben leer. Der Grund kann leichte Übelkeit verursachen: Mit der Versorgung von 50.000 Heranwachsenden an 108 Schulen wurde ein schriller Caterer beauftragt, der mit viel Aufwand tolle Speisen bewirbt, aber offenkundig nichts auf die Reihe kriegt. »40 Seconds« heißt das Unternehmen, zu dem auch zwei Restaurants und eine Bar gehören. Womöglich haben die Weichensteller im CDU-SPD-Senat dort gute Erfahrungen gemacht.
An den Schulen lief es nach den Ferien, wie gesagt, weniger gut. Entweder kam das Essen von »40 Seconds« gar nicht oder Stunden zu spät, als die Kinder schon zu Hause waren. Wo es doch einmal rechtzeitig eintraf, war das Gemüse verschimmelt. Zunächst sprach der neue Großversorger von Anlaufschwierigkeiten, die fix behoben würden. Man habe einige Aufträge erst in den Ferien erhalten, sei aber grundsätzlich dazu in der Lage, sie zu erfüllen. Am Dienstag guckten dann wieder mehr als 70 Schulen in die Röhre. »40 Seconds« wollte sich erst mit einem Stromausfall herausreden, dann wurde das Reißen einer Lieferkette als Erklärung angeboten. Probleme mit der Kühlung wurden eingeräumt. Auch ein Mangel an Personal sei nicht ganz von der Hand zu weisen. Im Prinzip aber sei alles in Ordnung, ließ der Caterer über einen Anwalt versichern. Von der Euphorie, mit der die »40-Seconds«-Spitzenmenüs auserwählt worden waren, war da schon längst nichts mehr übrig.
CDU-Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch muss sich nun einiges anhören von gestressten Lehrern und Eltern. Dass sie schleunigst selbst in Essensräumen Stullen schmieren solle, ist noch das freundlichste. Die Gewerkschaft Bildung und Erziehung (GEW) erklärte den Totalausfall am Donnerstag damit, »dass nur wenige Caterer das Schulessen in Berlin übernehmen und damit überfordert sind«. »Manche Schulen bestellen Pizzen, damit die Kinder etwas zum Mittag bekommen«, sagte die Landesvorsitzende Martina Regulin. Und das sei noch die bessere Variante: »Sehr vielen Berliner Schülerinnen und Schülern fehlt die vielleicht einzige warme und gesunde Mahlzeit am Tag.«
Die GEW Berlin hat das Land aufgefordert, ein Programm für die Reaktivierung der Schulküchen ins Leben zu rufen, damit wieder vor Ort gekocht werden kann. Von kommunalem Personal. Das wäre sicherlich am besten, ist aber für die nähere Zukunft kaum realistisch. Für die Zeit bis zum Wiedereinzug ins verlorene Paradies hat die Gewerkschaft auch einen Plan: Die Schulen sollten die Möglichkeit bekommen, sich einen Caterer im Kiez auszusuchen, der seine Mitarbeiter ordentlich bezahlt.
Im Abgeordnetenhaus erklärte Günther-Wünsch am Donnerstag, die Organisation der Schulspeisung sei letzten Endes Aufgabe der Bezirke, der Senat stecke nur den Rahmen ab. »Wir haben allen zwölf Bezirken Rechtsbeistand beiseite gestellt«, ergänzte die Senatorin mit Blick auf das »40 Seconds«-Chaos. Ein Bezirk ist mittlerweile raus aus der Nummer. Das Schulamt Pankow hat mit dem todschicken Caterer einen Aufhebungsvertrag zum 20. September geschlossen, wie es am Donnerstag mitteilte.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (13. September 2024 um 14:05 Uhr)Outsourcing, ein beliebtes Mittel »marktwirtschaftlicher« Experten, sich aus der staatlichen Verantwortung zu stehlen. Dabei wäre es so einfach, indem man eine entsprechend dimensionierte Großküche der Stadt errichtet, die für alle Schulen, Kitas, Pflegeheime und Krankenhäuser ein schmackhaftes und qualitätsgerechtes Essen zubereitet. Das kostet natürlich, aber wenn die richtigen Prioritäten gesetzt werden, sollte das kein Problem sein. Wenn aber, wie hierzulande, die Kriegstüchtigkeit und die Unterstützung eines NATO-Krieges gegen Russland an erster Stelle stehen, dann haben sich Heranwachsende mit ihren Bedürfnissen hinten anzustellen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (12. September 2024 um 22:11 Uhr)Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir. Wie wäre es, wenn die SchülerInnen kochen lernten? Also Schulküchen von SchülerInnen für SchülerInnen. Natürlich unter qualifizierter Anleitung, aber reihum für den Rest kochen, das wäre es doch! Nur Material- und Regiekosten fallen an, billiger geht es nicht.
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